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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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nicht eigentlich productiv sei und salles chon in Dresden angefangen, den Tasso
zu übersetzen. Sein Vater verlangte nun endlich eine ernsthafte Lebensbeschäfti¬
gung. Er sollte nach Göttingen gehen und dort eifriger, als bisher geschehen,
den juristischen Studien obliegen. Der Abschied wurde ihm schwer, nament¬
lich von Karoline Schlegel, Schiller und Fichte, der in derselben Zeit aus
Jena vertrieben wurde. Ostern 1799 kam er nach Göttingen, wo er nun in
der That juristische Collegia hörte, nebenbei aber an seiner Uebersetzung des
Tasso fortarbeitete, für die er während eines Besuchs in Jena, September
1799 einen Verleger fand. Er brachte das Manuscript im März 1800 nach
Jena. Dort war der Kreis Karoline Schlegels, die bereits mit Schelling in
einem intimen Verhältniß stand, durch Fr. Schlegel, Dorothea Veit und Tieck
vermehrt, der schon damals stark an der Gicht litt. Das Manuscript wurde
angebracht und zugleich Gries von seinen Freunden gewissermaßen genöthigt,
das juristische Doctoreramen zu machen, welches man ihm sehr erleichterte. Im
Juli 1800 machte er eine Reise durch Deutschland, hielt sich vier Wochen in
Frankfurt auf, wo er mit Savigny, seiner spätern Gemahlin Kunigunde Bren¬
tano und deren Bruder Clemens vielfach verkehrte und kam dann im September
nach Bamberg, welches damals unter den Universitäten einen Mittelpunkt für
die Medicin bildete. Dort fand er Schelling, A. W. Schlegel und seine Frau,
die eben ihre Tochter Auguste verloren hatte. Schelling theilte einen Brief
von Goethe mit, worin dieser ihm sagte, daß seine Philosophie bisher die
einzige sei, zu welcher er sich hingezogen fühle und die er jetzt eifrig studire. Mit
der ganzen Gesellschaft kehrte Gries im October nach Jena zurück; A. W. Schlegel
ging weiter nach Berlin. Fr. Schlegel, als Dichter der "Lucinde" etwas ver¬
rufen, hatte in seiner Stellung als Docent gegen die ältern Professoren einen
harten Stand, doch benahm et sich, wie ihm Schiller selbst bezeugt, in diesem
Streit würdig und besonnen. Auch Hegel erschien in dieser Zeit in Jena und
trat bald in ein näheres Verhältniß zu Gries.

Die Uebersetzung des Tasso war mittlerweile in vier Bänden 1800--180Ä
erschienen, das erste größere Werk der romantischen Poesie, mit welcher das
deutsche Publicum jetzt überflutet werden sollte. Das Werk machte ein außer¬
ordentliches Glück, in nicht langer Zeir erschienen vier Auflagen, jede derselben
von Gries sehr sorgfältig verbessert. Dieser Erfolg bestimmte Gries, bei seiner
Thätigkeit zu bleiben; an die juristische Laufbahn dachte er nicht mehr, er war
mit dem Tasso noch nicht fertig, als er schon den Ariost begann. Gegen sei¬
nen ersten Dichter-, wie gegen seinen ersten Uebersetzungsversuch war er später
ungerecht. Die Ehrlichkeit Tassos in seinen Sympathien und seine regelmäßige
Form mußten den Romantikern bei ihrer Vorliebe für die Ironie und für die
romantische Verwirrung anstößig sein, und die Einflüsse der Schule auf den
Einzelnen waren doch mächtig, trotz aller Bemühungen, selbstständig zu sein.


nicht eigentlich productiv sei und salles chon in Dresden angefangen, den Tasso
zu übersetzen. Sein Vater verlangte nun endlich eine ernsthafte Lebensbeschäfti¬
gung. Er sollte nach Göttingen gehen und dort eifriger, als bisher geschehen,
den juristischen Studien obliegen. Der Abschied wurde ihm schwer, nament¬
lich von Karoline Schlegel, Schiller und Fichte, der in derselben Zeit aus
Jena vertrieben wurde. Ostern 1799 kam er nach Göttingen, wo er nun in
der That juristische Collegia hörte, nebenbei aber an seiner Uebersetzung des
Tasso fortarbeitete, für die er während eines Besuchs in Jena, September
1799 einen Verleger fand. Er brachte das Manuscript im März 1800 nach
Jena. Dort war der Kreis Karoline Schlegels, die bereits mit Schelling in
einem intimen Verhältniß stand, durch Fr. Schlegel, Dorothea Veit und Tieck
vermehrt, der schon damals stark an der Gicht litt. Das Manuscript wurde
angebracht und zugleich Gries von seinen Freunden gewissermaßen genöthigt,
das juristische Doctoreramen zu machen, welches man ihm sehr erleichterte. Im
Juli 1800 machte er eine Reise durch Deutschland, hielt sich vier Wochen in
Frankfurt auf, wo er mit Savigny, seiner spätern Gemahlin Kunigunde Bren¬
tano und deren Bruder Clemens vielfach verkehrte und kam dann im September
nach Bamberg, welches damals unter den Universitäten einen Mittelpunkt für
die Medicin bildete. Dort fand er Schelling, A. W. Schlegel und seine Frau,
die eben ihre Tochter Auguste verloren hatte. Schelling theilte einen Brief
von Goethe mit, worin dieser ihm sagte, daß seine Philosophie bisher die
einzige sei, zu welcher er sich hingezogen fühle und die er jetzt eifrig studire. Mit
der ganzen Gesellschaft kehrte Gries im October nach Jena zurück; A. W. Schlegel
ging weiter nach Berlin. Fr. Schlegel, als Dichter der „Lucinde" etwas ver¬
rufen, hatte in seiner Stellung als Docent gegen die ältern Professoren einen
harten Stand, doch benahm et sich, wie ihm Schiller selbst bezeugt, in diesem
Streit würdig und besonnen. Auch Hegel erschien in dieser Zeit in Jena und
trat bald in ein näheres Verhältniß zu Gries.

Die Uebersetzung des Tasso war mittlerweile in vier Bänden 1800—180Ä
erschienen, das erste größere Werk der romantischen Poesie, mit welcher das
deutsche Publicum jetzt überflutet werden sollte. Das Werk machte ein außer¬
ordentliches Glück, in nicht langer Zeir erschienen vier Auflagen, jede derselben
von Gries sehr sorgfältig verbessert. Dieser Erfolg bestimmte Gries, bei seiner
Thätigkeit zu bleiben; an die juristische Laufbahn dachte er nicht mehr, er war
mit dem Tasso noch nicht fertig, als er schon den Ariost begann. Gegen sei¬
nen ersten Dichter-, wie gegen seinen ersten Uebersetzungsversuch war er später
ungerecht. Die Ehrlichkeit Tassos in seinen Sympathien und seine regelmäßige
Form mußten den Romantikern bei ihrer Vorliebe für die Ironie und für die
romantische Verwirrung anstößig sein, und die Einflüsse der Schule auf den
Einzelnen waren doch mächtig, trotz aller Bemühungen, selbstständig zu sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/52>, abgerufen am 03.07.2024.