Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Denkwürdigkeiten zur Geschichte der deutschen Literatur.

Es gibt einen Zeitraum in unsrer Geschichte, der freilich nur ein halbes
Jahrhundert umfaßt, in welchem die Literatur der wirkliche Lebensinhalt unsres
Volks war. Für das Verständniß dieser Zeit ist es wichtig, die Wandlungen,
die sich in der Poesie zeigen, auch in dem Leben der einzelnen Menschen zu
verfolgen. Ueber Goethe, den Mittelpunkt dieser Entwicklungsperiode, sind
so zahlreiche biographische Commentare erschienen, daß man sich allmälig daran
gewöhnt hat, seine einzelnen Werke nur als Erläuterungen zu dein Kunstwerk
seines Lebens zu betrachten, was auch in gewisser Beziehung ganz dem Sach¬
verhalt entspricht; es ist aber nothwendig, darüber die Lebensbeziehungen >>r
gleichzeitigen Dichter nicht zu übersehen und auch diejenigen Männer ins Auge zu
fassen, die mehr recipirender, als productiver Natur waren, die uns aber, wie
der Chor in der alten Tragödie, die Stimmung versinnlichen, in welcher wir die
Action der eigentlichen Helden aufzufassen und zu verstehe" haben. Es sind
nun sehr schätzenswerthe Beiträge erschienen, die aber verstreut und zum Theil
schon gänzlich verschollen sind. Wir wollen einige derselben wieder ins Ge¬
dächtniß des Publicums zurückrufen, welches sich zwar für die vereinzelte
Biographie eines an sich nicht sehr bedeutenden Mannes wenig interessirt,
wenn es sich aber gewöhnt, alle diese Erscheinungen im Zusammenhang zu be¬
trachten, auch den fragmentarischen Darstellungen seine Theilnahme schenken
wird. -- Wir beginnen mit einem neuen Werk, welches zwar als Handschrift
gedruckt ist, welches aber wohl verdient, in den Buchhandel überzugehen, da
es höchst schätzbare Mittheilungen über die Blüte der Kunstperiode von Jena
enthält.

Aus dem Leben von Johann Dietrich Gries. Nach seinen eigenen und
den Briefen seiner Zeitgenossen. (Als Handschrist gedruckt.) -I8so. --

In den Jahren 1793--97 bildete sich in Jena, der Brutalität des gewöhn¬
lichen Studentenlebens und namentlich der Ordensverbindungen gegenüber, ein
literarisches Kränzchen, welches sich die Gesellschaft der freien Männer
nannte und mit den damaligen Führern der Literatur, mit Goethe und


Grenzbvien. II. I8uti. > , , 6
Denkwürdigkeiten zur Geschichte der deutschen Literatur.

Es gibt einen Zeitraum in unsrer Geschichte, der freilich nur ein halbes
Jahrhundert umfaßt, in welchem die Literatur der wirkliche Lebensinhalt unsres
Volks war. Für das Verständniß dieser Zeit ist es wichtig, die Wandlungen,
die sich in der Poesie zeigen, auch in dem Leben der einzelnen Menschen zu
verfolgen. Ueber Goethe, den Mittelpunkt dieser Entwicklungsperiode, sind
so zahlreiche biographische Commentare erschienen, daß man sich allmälig daran
gewöhnt hat, seine einzelnen Werke nur als Erläuterungen zu dein Kunstwerk
seines Lebens zu betrachten, was auch in gewisser Beziehung ganz dem Sach¬
verhalt entspricht; es ist aber nothwendig, darüber die Lebensbeziehungen >>r
gleichzeitigen Dichter nicht zu übersehen und auch diejenigen Männer ins Auge zu
fassen, die mehr recipirender, als productiver Natur waren, die uns aber, wie
der Chor in der alten Tragödie, die Stimmung versinnlichen, in welcher wir die
Action der eigentlichen Helden aufzufassen und zu verstehe» haben. Es sind
nun sehr schätzenswerthe Beiträge erschienen, die aber verstreut und zum Theil
schon gänzlich verschollen sind. Wir wollen einige derselben wieder ins Ge¬
dächtniß des Publicums zurückrufen, welches sich zwar für die vereinzelte
Biographie eines an sich nicht sehr bedeutenden Mannes wenig interessirt,
wenn es sich aber gewöhnt, alle diese Erscheinungen im Zusammenhang zu be¬
trachten, auch den fragmentarischen Darstellungen seine Theilnahme schenken
wird. — Wir beginnen mit einem neuen Werk, welches zwar als Handschrift
gedruckt ist, welches aber wohl verdient, in den Buchhandel überzugehen, da
es höchst schätzbare Mittheilungen über die Blüte der Kunstperiode von Jena
enthält.

Aus dem Leben von Johann Dietrich Gries. Nach seinen eigenen und
den Briefen seiner Zeitgenossen. (Als Handschrist gedruckt.) -I8so. —

In den Jahren 1793—97 bildete sich in Jena, der Brutalität des gewöhn¬
lichen Studentenlebens und namentlich der Ordensverbindungen gegenüber, ein
literarisches Kränzchen, welches sich die Gesellschaft der freien Männer
nannte und mit den damaligen Führern der Literatur, mit Goethe und


Grenzbvien. II. I8uti. > , , 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0049" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99435"/>
        <div n="1">
          <head> Denkwürdigkeiten zur Geschichte der deutschen Literatur.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_144"> Es gibt einen Zeitraum in unsrer Geschichte, der freilich nur ein halbes<lb/>
Jahrhundert umfaßt, in welchem die Literatur der wirkliche Lebensinhalt unsres<lb/>
Volks war. Für das Verständniß dieser Zeit ist es wichtig, die Wandlungen,<lb/>
die sich in der Poesie zeigen, auch in dem Leben der einzelnen Menschen zu<lb/>
verfolgen. Ueber Goethe, den Mittelpunkt dieser Entwicklungsperiode, sind<lb/>
so zahlreiche biographische Commentare erschienen, daß man sich allmälig daran<lb/>
gewöhnt hat, seine einzelnen Werke nur als Erläuterungen zu dein Kunstwerk<lb/>
seines Lebens zu betrachten, was auch in gewisser Beziehung ganz dem Sach¬<lb/>
verhalt entspricht; es ist aber nothwendig, darüber die Lebensbeziehungen &gt;&gt;r<lb/>
gleichzeitigen Dichter nicht zu übersehen und auch diejenigen Männer ins Auge zu<lb/>
fassen, die mehr recipirender, als productiver Natur waren, die uns aber, wie<lb/>
der Chor in der alten Tragödie, die Stimmung versinnlichen, in welcher wir die<lb/>
Action der eigentlichen Helden aufzufassen und zu verstehe» haben. Es sind<lb/>
nun sehr schätzenswerthe Beiträge erschienen, die aber verstreut und zum Theil<lb/>
schon gänzlich verschollen sind. Wir wollen einige derselben wieder ins Ge¬<lb/>
dächtniß des Publicums zurückrufen, welches sich zwar für die vereinzelte<lb/>
Biographie eines an sich nicht sehr bedeutenden Mannes wenig interessirt,<lb/>
wenn es sich aber gewöhnt, alle diese Erscheinungen im Zusammenhang zu be¬<lb/>
trachten, auch den fragmentarischen Darstellungen seine Theilnahme schenken<lb/>
wird. &#x2014; Wir beginnen mit einem neuen Werk, welches zwar als Handschrift<lb/>
gedruckt ist, welches aber wohl verdient, in den Buchhandel überzugehen, da<lb/>
es höchst schätzbare Mittheilungen über die Blüte der Kunstperiode von Jena<lb/>
enthält.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> Aus dem Leben von Johann Dietrich Gries.  Nach seinen eigenen und<lb/>
den Briefen seiner Zeitgenossen.  (Als Handschrist gedruckt.) -I8so. &#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_145" next="#ID_146"> In den Jahren 1793&#x2014;97 bildete sich in Jena, der Brutalität des gewöhn¬<lb/>
lichen Studentenlebens und namentlich der Ordensverbindungen gegenüber, ein<lb/>
literarisches  Kränzchen,  welches  sich  die  Gesellschaft  der freien Männer<lb/>
nannte und mit den damaligen Führern der Literatur,  mit Goethe und</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbvien. II. I8uti.   &gt; ,   , 6</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0049] Denkwürdigkeiten zur Geschichte der deutschen Literatur. Es gibt einen Zeitraum in unsrer Geschichte, der freilich nur ein halbes Jahrhundert umfaßt, in welchem die Literatur der wirkliche Lebensinhalt unsres Volks war. Für das Verständniß dieser Zeit ist es wichtig, die Wandlungen, die sich in der Poesie zeigen, auch in dem Leben der einzelnen Menschen zu verfolgen. Ueber Goethe, den Mittelpunkt dieser Entwicklungsperiode, sind so zahlreiche biographische Commentare erschienen, daß man sich allmälig daran gewöhnt hat, seine einzelnen Werke nur als Erläuterungen zu dein Kunstwerk seines Lebens zu betrachten, was auch in gewisser Beziehung ganz dem Sach¬ verhalt entspricht; es ist aber nothwendig, darüber die Lebensbeziehungen >>r gleichzeitigen Dichter nicht zu übersehen und auch diejenigen Männer ins Auge zu fassen, die mehr recipirender, als productiver Natur waren, die uns aber, wie der Chor in der alten Tragödie, die Stimmung versinnlichen, in welcher wir die Action der eigentlichen Helden aufzufassen und zu verstehe» haben. Es sind nun sehr schätzenswerthe Beiträge erschienen, die aber verstreut und zum Theil schon gänzlich verschollen sind. Wir wollen einige derselben wieder ins Ge¬ dächtniß des Publicums zurückrufen, welches sich zwar für die vereinzelte Biographie eines an sich nicht sehr bedeutenden Mannes wenig interessirt, wenn es sich aber gewöhnt, alle diese Erscheinungen im Zusammenhang zu be¬ trachten, auch den fragmentarischen Darstellungen seine Theilnahme schenken wird. — Wir beginnen mit einem neuen Werk, welches zwar als Handschrift gedruckt ist, welches aber wohl verdient, in den Buchhandel überzugehen, da es höchst schätzbare Mittheilungen über die Blüte der Kunstperiode von Jena enthält. Aus dem Leben von Johann Dietrich Gries. Nach seinen eigenen und den Briefen seiner Zeitgenossen. (Als Handschrist gedruckt.) -I8so. — In den Jahren 1793—97 bildete sich in Jena, der Brutalität des gewöhn¬ lichen Studentenlebens und namentlich der Ordensverbindungen gegenüber, ein literarisches Kränzchen, welches sich die Gesellschaft der freien Männer nannte und mit den damaligen Führern der Literatur, mit Goethe und Grenzbvien. II. I8uti. > , , 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/49
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/49>, abgerufen am 01.07.2024.