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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Einige Bemerkungen zur genauer" Würdigung der taktischen
Bedeutung der russischen Feldartillerie.

, Ihr Berichterstatter geht von der Ansicht aus, daß für den praktischen
Militär kaum irgendetwas von höherer Bedeutung ist, als die möglichst rich¬
tige Werthkenntniß seines Gegners. In Preußen ist von jeher ein großes
Gewicht hierauf gelegt worden, ein nicht geringeres ist im neueren Oestreich
diesem, am besten im Frieden zu pflegenden Zweige des militärischen Nachrichten¬
wesens zugewendet worden; dagegen haben die Franzosen, wie sehr auch Na¬
poleon I. die Wichtigkeit desselben anerkannte, neuerdings darin überraschend
wenig geleistet, man kann vielleicht behaupten, nicht viel mehr, als die
Engländer. Daher geschah es, daß man sich seitens der Verbündeten nickt
nur in Betreff wichtiger Einzelheiten des Kriegstheaters irrte, sondern auch die
feindliche Armee, ihrem taktischen Werthe nach bedeutend unterschätzte, ein
Mißgriff, der um so bedenklicher und verhängnißvoller erscheinen muß, als
er allem Anschein nach zu dem Entstehen der Illusion das Seinige mit beigetragen
hat, als sei man französisch-englischerseits im Stande, mit nur 60,000 Mann
den Krieg in nachdrücklicher Weise gegen Nußland zu führen.

Was die einzelnen russischen Waffengattungen angeht, so hat man die
Güte keiner in so hohem Maße unterschätzt, wie die der Artillerie. Man ging
rücksichtlich der letztern von der vorgefaßten Meinung aus, daß dieselbe seit
den sogenannten Freiheitskriegen auf dem damals eingenommenen Stand¬
punkte stehen geblieben sei und stützte yiese Ansicht wesentlich auf die Thatsache,
daß die neuern artilleristischen Geschosse, zumal die Shrapnells, in Nußland noch
keine ausgedehnte Anwendung gefunden haben und die Blocklafette dort noch
immer nicht die Wandlafette ersetzt hat. Wenn auch diese beiden Punkte durchaus
nicht bedeutungslos sind, im Gegentheil die Hauptstadien des Fortschrittes
der in Rede stehenden Waffe bezeichnen, war es doch ein Fehler, seine Be¬
trachtungen allein hierauf zu beschränken und ununtersucht zu lassen, ob Nu߬
land seinen Geschützen nicht durch anderweitige Modifikationen und Neuerungen
eine ausgedehntere Wirksamkeit verliehen häbe. In der That ist letzteres der Fall.

Ueber die Einführung eines schweren Kalibers unter dem Namen Positions¬
geschütz durch den Zaren Nikolaus redete ich bereits in einem etwa vor drei
Monaten Ihnen zugesendeten Aufsatze. Ich kann hier darüber hingehen, weil die
Sache an der erwähnten Stelle ziemlich ausführlich und mit Berührung von De¬
tails erörtert worden ist. Dagegen sagte ich, soweit ich mich erinnere, noch nichts
über die Steigerung der Leistungsfähigkeit, welche die russische Feldartillerie durch
ihre treffliche Bespannung und die unvergleichliche Uebung ihrer Bedienung,
nicht sowol in Bezug auf Schießen behufs richtigen Treffens, sondern auf


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Einige Bemerkungen zur genauer» Würdigung der taktischen
Bedeutung der russischen Feldartillerie.

, Ihr Berichterstatter geht von der Ansicht aus, daß für den praktischen
Militär kaum irgendetwas von höherer Bedeutung ist, als die möglichst rich¬
tige Werthkenntniß seines Gegners. In Preußen ist von jeher ein großes
Gewicht hierauf gelegt worden, ein nicht geringeres ist im neueren Oestreich
diesem, am besten im Frieden zu pflegenden Zweige des militärischen Nachrichten¬
wesens zugewendet worden; dagegen haben die Franzosen, wie sehr auch Na¬
poleon I. die Wichtigkeit desselben anerkannte, neuerdings darin überraschend
wenig geleistet, man kann vielleicht behaupten, nicht viel mehr, als die
Engländer. Daher geschah es, daß man sich seitens der Verbündeten nickt
nur in Betreff wichtiger Einzelheiten des Kriegstheaters irrte, sondern auch die
feindliche Armee, ihrem taktischen Werthe nach bedeutend unterschätzte, ein
Mißgriff, der um so bedenklicher und verhängnißvoller erscheinen muß, als
er allem Anschein nach zu dem Entstehen der Illusion das Seinige mit beigetragen
hat, als sei man französisch-englischerseits im Stande, mit nur 60,000 Mann
den Krieg in nachdrücklicher Weise gegen Nußland zu führen.

Was die einzelnen russischen Waffengattungen angeht, so hat man die
Güte keiner in so hohem Maße unterschätzt, wie die der Artillerie. Man ging
rücksichtlich der letztern von der vorgefaßten Meinung aus, daß dieselbe seit
den sogenannten Freiheitskriegen auf dem damals eingenommenen Stand¬
punkte stehen geblieben sei und stützte yiese Ansicht wesentlich auf die Thatsache,
daß die neuern artilleristischen Geschosse, zumal die Shrapnells, in Nußland noch
keine ausgedehnte Anwendung gefunden haben und die Blocklafette dort noch
immer nicht die Wandlafette ersetzt hat. Wenn auch diese beiden Punkte durchaus
nicht bedeutungslos sind, im Gegentheil die Hauptstadien des Fortschrittes
der in Rede stehenden Waffe bezeichnen, war es doch ein Fehler, seine Be¬
trachtungen allein hierauf zu beschränken und ununtersucht zu lassen, ob Nu߬
land seinen Geschützen nicht durch anderweitige Modifikationen und Neuerungen
eine ausgedehntere Wirksamkeit verliehen häbe. In der That ist letzteres der Fall.

Ueber die Einführung eines schweren Kalibers unter dem Namen Positions¬
geschütz durch den Zaren Nikolaus redete ich bereits in einem etwa vor drei
Monaten Ihnen zugesendeten Aufsatze. Ich kann hier darüber hingehen, weil die
Sache an der erwähnten Stelle ziemlich ausführlich und mit Berührung von De¬
tails erörtert worden ist. Dagegen sagte ich, soweit ich mich erinnere, noch nichts
über die Steigerung der Leistungsfähigkeit, welche die russische Feldartillerie durch
ihre treffliche Bespannung und die unvergleichliche Uebung ihrer Bedienung,
nicht sowol in Bezug auf Schießen behufs richtigen Treffens, sondern auf


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[0475] Einige Bemerkungen zur genauer» Würdigung der taktischen Bedeutung der russischen Feldartillerie. , Ihr Berichterstatter geht von der Ansicht aus, daß für den praktischen Militär kaum irgendetwas von höherer Bedeutung ist, als die möglichst rich¬ tige Werthkenntniß seines Gegners. In Preußen ist von jeher ein großes Gewicht hierauf gelegt worden, ein nicht geringeres ist im neueren Oestreich diesem, am besten im Frieden zu pflegenden Zweige des militärischen Nachrichten¬ wesens zugewendet worden; dagegen haben die Franzosen, wie sehr auch Na¬ poleon I. die Wichtigkeit desselben anerkannte, neuerdings darin überraschend wenig geleistet, man kann vielleicht behaupten, nicht viel mehr, als die Engländer. Daher geschah es, daß man sich seitens der Verbündeten nickt nur in Betreff wichtiger Einzelheiten des Kriegstheaters irrte, sondern auch die feindliche Armee, ihrem taktischen Werthe nach bedeutend unterschätzte, ein Mißgriff, der um so bedenklicher und verhängnißvoller erscheinen muß, als er allem Anschein nach zu dem Entstehen der Illusion das Seinige mit beigetragen hat, als sei man französisch-englischerseits im Stande, mit nur 60,000 Mann den Krieg in nachdrücklicher Weise gegen Nußland zu führen. Was die einzelnen russischen Waffengattungen angeht, so hat man die Güte keiner in so hohem Maße unterschätzt, wie die der Artillerie. Man ging rücksichtlich der letztern von der vorgefaßten Meinung aus, daß dieselbe seit den sogenannten Freiheitskriegen auf dem damals eingenommenen Stand¬ punkte stehen geblieben sei und stützte yiese Ansicht wesentlich auf die Thatsache, daß die neuern artilleristischen Geschosse, zumal die Shrapnells, in Nußland noch keine ausgedehnte Anwendung gefunden haben und die Blocklafette dort noch immer nicht die Wandlafette ersetzt hat. Wenn auch diese beiden Punkte durchaus nicht bedeutungslos sind, im Gegentheil die Hauptstadien des Fortschrittes der in Rede stehenden Waffe bezeichnen, war es doch ein Fehler, seine Be¬ trachtungen allein hierauf zu beschränken und ununtersucht zu lassen, ob Nu߬ land seinen Geschützen nicht durch anderweitige Modifikationen und Neuerungen eine ausgedehntere Wirksamkeit verliehen häbe. In der That ist letzteres der Fall. Ueber die Einführung eines schweren Kalibers unter dem Namen Positions¬ geschütz durch den Zaren Nikolaus redete ich bereits in einem etwa vor drei Monaten Ihnen zugesendeten Aufsatze. Ich kann hier darüber hingehen, weil die Sache an der erwähnten Stelle ziemlich ausführlich und mit Berührung von De¬ tails erörtert worden ist. Dagegen sagte ich, soweit ich mich erinnere, noch nichts über die Steigerung der Leistungsfähigkeit, welche die russische Feldartillerie durch ihre treffliche Bespannung und die unvergleichliche Uebung ihrer Bedienung, nicht sowol in Bezug auf Schießen behufs richtigen Treffens, sondern auf V!»*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/475>, abgerufen am 01.07.2024.