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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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hatte er nicht mehr Raum, den Säbel frei zu gebrauchen und griff zum Re¬
volver. In dem Augenblick, wo er mit zwei Schüssen die seinem Pferve in
die Zügel gefallenen beiden Kosacken niedergestreckt, gibt er jenem die Sporen'
und setzt, mit dem Pistol seinen Kops deckend, über einen zusammenbrechenden
russischen Reiter hinweg, aus der engen Umgarnung heraus. Bei dieser Ge¬
legenheit war es, wo er den Hieb erhielt, welcher ihm den Gebrauch' der
meisten Finger seiner Säbelhand gekostet. Der mächtige Schwertschlag hatte
den Bügel des Revolvers durchschnitten und den kleinen Finger vom Gelenk
getrennt. Ein lautes Afarim Stender Beg empfing ihn, als er zur zunächst
haltenden türkischen Schwadron sich durchgeschlagen hatte.

Was Elender Pascha im Felde sucht, ist nicht die Gelegenheit, mit dem
Schwerte in der Hand für ein Princip einzutreten; kaum auch ist es Ehre und
Ruhm, dem er zustrebt, denn in den frühern Kriegen, gegen Bosnier und
Montenegriner, war daran nicht viel zu verdienen; sondern er fühlt sich an¬
gezogen mit magischer Gewalt von jenem unsteten und abenteuervollen Leben,
welches der Soldat in der Campagne, zumal der Reiter, führt. Die Auf¬
regung inmitten von Freund und Feind und wenn hinter ihm der Hufschlag
seiner Getreuen dröhnt und die Kosacken vor ihm zerstieben, ist das Element,
in dem er sich wohl fühlt. Hat er sie nicht, so sucht er sie anderswo oder in
andrer Form, am häusigsten am Spieltische. Dieser wunderbare Mann schläft
nicht wie andre Menschenkinder des Nachts, in der naturbestimmten Zeit, etwa
von Mitternacht an; Schlafen ist überhaupt für ihn nichts, was der Regel
unterworfen ist. Er genügt dem Bedürfniß, zu welcher Zeit es sein mag und
wo es immer ist, ja wäre es im Sattel. Am häufigsten sieht man ihn im
jetzigen Feldlager zu Eupatoria auf einem gewaltigen Koffer ruhen, zu dem sein
Diener Schakir den Schlüssel führt und sich nicht eben scheut, wenn er daraus
eines Gegenstandes bedarf, den Pascha dann und wann aufzustören, waS
diesen nicht im mindesten genirt. Zwischen Diener und Herrn herrscht übrigens
ein Verhältniß, einerseits der Leutseligkeit und Herablassung und andrerseits
der Treue und Ergebenheit, wie man es eben nur im Orient findet. (Bei¬
läufig gesagt, ist es eine durchaus falsche Annahme, daß türkische Diener un¬
menschlich behandelt werden.) Als nach dem letzterwähnten Gefecht Stender
Beg verwundet zu Bett gebracht wurde, verpflichtete sich der Diener, sein
Lager nicht zu verlassen, ehe er nicht genesen sein würde und er hielt redlich
Wort; aber er machte eine Bedingung: gleich daraus eine ebenso lange Zeit
als Freiherr leben zu können, d. h. Schakir wollte in dieser Periode in Hin¬
sicht aus die freie Benutzung der Rumflasche und des Bordeaux unbeschränkt
sein. Großmüthig wurde ihm alles zugestanden.





*) Bravo, Stender Beg.

hatte er nicht mehr Raum, den Säbel frei zu gebrauchen und griff zum Re¬
volver. In dem Augenblick, wo er mit zwei Schüssen die seinem Pferve in
die Zügel gefallenen beiden Kosacken niedergestreckt, gibt er jenem die Sporen'
und setzt, mit dem Pistol seinen Kops deckend, über einen zusammenbrechenden
russischen Reiter hinweg, aus der engen Umgarnung heraus. Bei dieser Ge¬
legenheit war es, wo er den Hieb erhielt, welcher ihm den Gebrauch' der
meisten Finger seiner Säbelhand gekostet. Der mächtige Schwertschlag hatte
den Bügel des Revolvers durchschnitten und den kleinen Finger vom Gelenk
getrennt. Ein lautes Afarim Stender Beg empfing ihn, als er zur zunächst
haltenden türkischen Schwadron sich durchgeschlagen hatte.

Was Elender Pascha im Felde sucht, ist nicht die Gelegenheit, mit dem
Schwerte in der Hand für ein Princip einzutreten; kaum auch ist es Ehre und
Ruhm, dem er zustrebt, denn in den frühern Kriegen, gegen Bosnier und
Montenegriner, war daran nicht viel zu verdienen; sondern er fühlt sich an¬
gezogen mit magischer Gewalt von jenem unsteten und abenteuervollen Leben,
welches der Soldat in der Campagne, zumal der Reiter, führt. Die Auf¬
regung inmitten von Freund und Feind und wenn hinter ihm der Hufschlag
seiner Getreuen dröhnt und die Kosacken vor ihm zerstieben, ist das Element,
in dem er sich wohl fühlt. Hat er sie nicht, so sucht er sie anderswo oder in
andrer Form, am häusigsten am Spieltische. Dieser wunderbare Mann schläft
nicht wie andre Menschenkinder des Nachts, in der naturbestimmten Zeit, etwa
von Mitternacht an; Schlafen ist überhaupt für ihn nichts, was der Regel
unterworfen ist. Er genügt dem Bedürfniß, zu welcher Zeit es sein mag und
wo es immer ist, ja wäre es im Sattel. Am häufigsten sieht man ihn im
jetzigen Feldlager zu Eupatoria auf einem gewaltigen Koffer ruhen, zu dem sein
Diener Schakir den Schlüssel führt und sich nicht eben scheut, wenn er daraus
eines Gegenstandes bedarf, den Pascha dann und wann aufzustören, waS
diesen nicht im mindesten genirt. Zwischen Diener und Herrn herrscht übrigens
ein Verhältniß, einerseits der Leutseligkeit und Herablassung und andrerseits
der Treue und Ergebenheit, wie man es eben nur im Orient findet. (Bei¬
läufig gesagt, ist es eine durchaus falsche Annahme, daß türkische Diener un¬
menschlich behandelt werden.) Als nach dem letzterwähnten Gefecht Stender
Beg verwundet zu Bett gebracht wurde, verpflichtete sich der Diener, sein
Lager nicht zu verlassen, ehe er nicht genesen sein würde und er hielt redlich
Wort; aber er machte eine Bedingung: gleich daraus eine ebenso lange Zeit
als Freiherr leben zu können, d. h. Schakir wollte in dieser Periode in Hin¬
sicht aus die freie Benutzung der Rumflasche und des Bordeaux unbeschränkt
sein. Großmüthig wurde ihm alles zugestanden.





*) Bravo, Stender Beg.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/474>, abgerufen am 22.07.2024.