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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Erhaltung des Friedens gelegen sein, vorausgesetzt, daß seine eigne Ehre dabei
nicht beleidigt wird. Das ist aber keineswegs der Fall, denn Sachsen hat im
Rathe der Großmächte keine Stimme, es kann es süglich den übrigen Mächten
überlassen, sich durch Diplomaten oder durch Heere darüber zu einigen, wie
die Angelegenheit im Orient geschlichtet werden soll. -- , Ferner hat Sachsen
keinen Grund, den schädlichen Einfluß Rußlands unmittelbar zu empfinden.
Dieser drückt nur auf Oestreich und Preußen und wenn er bis zu Sachsen
dringt, so geschieht es nur durch die Vermittlung dieser beiden Großstaaten.
Wir finden also die gegenwärtige Politik bei dem sächsischen Cabinet ebenso
begreiflich, als wir sie beim preußischen Cabinet unbegreiflich finden.

Aber nun die Anwendung. Ungefähr in der nämlichen Lage wie Sachsen
finden sich die meisten der deutschen Staaten; solange" also zwischen den beiden
deutschen Mächten über eine große Frage Zwiespalt herrscht, wird die Summe
der Interessen der deutschen Staaten niemals als Facit das Interesse der
Nation geben; und wohl gemerkt, wir sprechen hier nicht von Fürsten, die sich
lediglich durch das persönliche oder durch das Familieninteresse bestimmen lassen,
sondern von Fürsten, die das sind, was sie sein sollen, die Vertreter der In¬
teressen ihres Volks.

Also noch einmal was heißt Einheit Deutschlands? -- Nichts anderes
als Einheit zwischen Oestreich und Preußen. Sobald diese hergestellt ist, bildet
sich in der Nation, zu der auch die Fürsten gehören, eine öffentliche Meinung,
die alle Sonderinteressen mit sich fortreißt. Wenn die ganze Nation in den
Kampf geht, wird ein edler Fürst und zwar in der vollsten Uebereinstimmung
mit seinen Unterthanen, das endliche Wohl um der Ehre seiner Nation willen
hintansetzen.

Dagegen für die Ehre Oestreichs oder für die Ehre Preußens einzustehen
und dieser die Interessen ihres Staates aufzuopfern, kann man den deutschen
Fürsten nicht zumuthen, und hier möchten wir die östreichischen Staatsmänner
und die östreichischen Patrioten auf einen Umstand aufmerksam machen, den sie
bisher übersehen zu haben scheinen. Zwar hat die Noncwm menclies Politik
den östreichischen Staatsmännern soviel Veranlassung zu leichten Triumphen
einerseits, zu gereizter Stimmung andererseits gegeben, daß wir ihr Verhalten nicht
anfechten wollen; aber ein weiser Staatsmann denkt nicht an die Stimmung des
Augenblicks, er denkt an die Zufunft. Wir wollen einen edlen Ehrgeiz, wie
hochfliegend er auch sein mag, gern gelten lassen, aber er darf nicht an das
Unmögliche gehen. Oestreich kann nicht daran denken, und es denkt auch wol
nicht daran, die ghibellinische Politik der alten Kaiser wieder aufzunehmen.
Oestreichs Staatskräfte sind groß, aber nicht so groß, um die widerstrebende
Cultur Norddeutschlands sich zu assimiliren. Dies vorausgesetzt muß Oestreich
alles daran liegen, durch ein mächtiges Preußen, durch ein Preußen, welches


Erhaltung des Friedens gelegen sein, vorausgesetzt, daß seine eigne Ehre dabei
nicht beleidigt wird. Das ist aber keineswegs der Fall, denn Sachsen hat im
Rathe der Großmächte keine Stimme, es kann es süglich den übrigen Mächten
überlassen, sich durch Diplomaten oder durch Heere darüber zu einigen, wie
die Angelegenheit im Orient geschlichtet werden soll. — , Ferner hat Sachsen
keinen Grund, den schädlichen Einfluß Rußlands unmittelbar zu empfinden.
Dieser drückt nur auf Oestreich und Preußen und wenn er bis zu Sachsen
dringt, so geschieht es nur durch die Vermittlung dieser beiden Großstaaten.
Wir finden also die gegenwärtige Politik bei dem sächsischen Cabinet ebenso
begreiflich, als wir sie beim preußischen Cabinet unbegreiflich finden.

Aber nun die Anwendung. Ungefähr in der nämlichen Lage wie Sachsen
finden sich die meisten der deutschen Staaten; solange« also zwischen den beiden
deutschen Mächten über eine große Frage Zwiespalt herrscht, wird die Summe
der Interessen der deutschen Staaten niemals als Facit das Interesse der
Nation geben; und wohl gemerkt, wir sprechen hier nicht von Fürsten, die sich
lediglich durch das persönliche oder durch das Familieninteresse bestimmen lassen,
sondern von Fürsten, die das sind, was sie sein sollen, die Vertreter der In¬
teressen ihres Volks.

Also noch einmal was heißt Einheit Deutschlands? — Nichts anderes
als Einheit zwischen Oestreich und Preußen. Sobald diese hergestellt ist, bildet
sich in der Nation, zu der auch die Fürsten gehören, eine öffentliche Meinung,
die alle Sonderinteressen mit sich fortreißt. Wenn die ganze Nation in den
Kampf geht, wird ein edler Fürst und zwar in der vollsten Uebereinstimmung
mit seinen Unterthanen, das endliche Wohl um der Ehre seiner Nation willen
hintansetzen.

Dagegen für die Ehre Oestreichs oder für die Ehre Preußens einzustehen
und dieser die Interessen ihres Staates aufzuopfern, kann man den deutschen
Fürsten nicht zumuthen, und hier möchten wir die östreichischen Staatsmänner
und die östreichischen Patrioten auf einen Umstand aufmerksam machen, den sie
bisher übersehen zu haben scheinen. Zwar hat die Noncwm menclies Politik
den östreichischen Staatsmännern soviel Veranlassung zu leichten Triumphen
einerseits, zu gereizter Stimmung andererseits gegeben, daß wir ihr Verhalten nicht
anfechten wollen; aber ein weiser Staatsmann denkt nicht an die Stimmung des
Augenblicks, er denkt an die Zufunft. Wir wollen einen edlen Ehrgeiz, wie
hochfliegend er auch sein mag, gern gelten lassen, aber er darf nicht an das
Unmögliche gehen. Oestreich kann nicht daran denken, und es denkt auch wol
nicht daran, die ghibellinische Politik der alten Kaiser wieder aufzunehmen.
Oestreichs Staatskräfte sind groß, aber nicht so groß, um die widerstrebende
Cultur Norddeutschlands sich zu assimiliren. Dies vorausgesetzt muß Oestreich
alles daran liegen, durch ein mächtiges Preußen, durch ein Preußen, welches


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[0045] Erhaltung des Friedens gelegen sein, vorausgesetzt, daß seine eigne Ehre dabei nicht beleidigt wird. Das ist aber keineswegs der Fall, denn Sachsen hat im Rathe der Großmächte keine Stimme, es kann es süglich den übrigen Mächten überlassen, sich durch Diplomaten oder durch Heere darüber zu einigen, wie die Angelegenheit im Orient geschlichtet werden soll. — , Ferner hat Sachsen keinen Grund, den schädlichen Einfluß Rußlands unmittelbar zu empfinden. Dieser drückt nur auf Oestreich und Preußen und wenn er bis zu Sachsen dringt, so geschieht es nur durch die Vermittlung dieser beiden Großstaaten. Wir finden also die gegenwärtige Politik bei dem sächsischen Cabinet ebenso begreiflich, als wir sie beim preußischen Cabinet unbegreiflich finden. Aber nun die Anwendung. Ungefähr in der nämlichen Lage wie Sachsen finden sich die meisten der deutschen Staaten; solange« also zwischen den beiden deutschen Mächten über eine große Frage Zwiespalt herrscht, wird die Summe der Interessen der deutschen Staaten niemals als Facit das Interesse der Nation geben; und wohl gemerkt, wir sprechen hier nicht von Fürsten, die sich lediglich durch das persönliche oder durch das Familieninteresse bestimmen lassen, sondern von Fürsten, die das sind, was sie sein sollen, die Vertreter der In¬ teressen ihres Volks. Also noch einmal was heißt Einheit Deutschlands? — Nichts anderes als Einheit zwischen Oestreich und Preußen. Sobald diese hergestellt ist, bildet sich in der Nation, zu der auch die Fürsten gehören, eine öffentliche Meinung, die alle Sonderinteressen mit sich fortreißt. Wenn die ganze Nation in den Kampf geht, wird ein edler Fürst und zwar in der vollsten Uebereinstimmung mit seinen Unterthanen, das endliche Wohl um der Ehre seiner Nation willen hintansetzen. Dagegen für die Ehre Oestreichs oder für die Ehre Preußens einzustehen und dieser die Interessen ihres Staates aufzuopfern, kann man den deutschen Fürsten nicht zumuthen, und hier möchten wir die östreichischen Staatsmänner und die östreichischen Patrioten auf einen Umstand aufmerksam machen, den sie bisher übersehen zu haben scheinen. Zwar hat die Noncwm menclies Politik den östreichischen Staatsmännern soviel Veranlassung zu leichten Triumphen einerseits, zu gereizter Stimmung andererseits gegeben, daß wir ihr Verhalten nicht anfechten wollen; aber ein weiser Staatsmann denkt nicht an die Stimmung des Augenblicks, er denkt an die Zufunft. Wir wollen einen edlen Ehrgeiz, wie hochfliegend er auch sein mag, gern gelten lassen, aber er darf nicht an das Unmögliche gehen. Oestreich kann nicht daran denken, und es denkt auch wol nicht daran, die ghibellinische Politik der alten Kaiser wieder aufzunehmen. Oestreichs Staatskräfte sind groß, aber nicht so groß, um die widerstrebende Cultur Norddeutschlands sich zu assimiliren. Dies vorausgesetzt muß Oestreich alles daran liegen, durch ein mächtiges Preußen, durch ein Preußen, welches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/45>, abgerufen am 01.07.2024.