Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Nun haben wir im Laufe des letzten Jahres zwar bereits mehrfach an¬
gedeutet, daß wir den gegenwärtigen Augenblick zur Durchführung einer neuen
Constituirung Deutschlands keineswegs für geeignet erachten; aber unsre Ideen
sind dieselben geblieben. Was wir seit acht Jahren über die natürliche Fort¬
entwicklung Deutschlands gedacht haben, ist noch heute unsre Ueberzeugung;
sie wird es bleiben, solange ein Preußen, dem man die Mission der Zukunft
übertragen kann, eristirt. Eine falsche Richtung des Staats kann uns nicht
irreführen, solange diese nur nicht der Eristenz des Staats Gefahr droht.
Das letzte ist zwar gegenwärtig der Fall, die ^onäum menclivs Politik bringt
Preußen in die Gefahr des Untergangs, aber noch immer haben wir die
Ueberzeugung, daß es diese Krisis glücklich überstehen wird, und sobald dies
der Fall ist, werden wir sofort mit unsern alten Ideen bei der Hand sein.
In dieser Beziehung > möchten wir uns gern mit den östreichischen Patrioten
verständigen, wir möchten ihnen gern die Ueberzeugung beibringen, daß die
wahren Freunde Oestreichs in unsrem Lager sind, daß jeder Oestreicher, dem
es um den Fortschritt seines Staats zu thun ist, auf unsre Ideen ein¬
gehen muß.

Freilich wäre ein solches Verständniß unmöglich, wenn man uns wieder
mit den alten Phrasen antwortet: Oestreich wird sich nicht aus Deutschland
herauswerfen lassen! Einheit des deutschen Reichs! Nationalparlament, Kaiser-
thum u. s. w. Wo das Geheul anfängt, hört freilich die Vernunft auf.

Was heißt Einheit Deutschlands? Nicht Einheit eines in der Luft schwe¬
benden Deutschlands, das man aus den Klopstockscher Bardieten heraussuche"
muß, sondern Einheit des wirklichen Deutschland.

Einheit Deutschlands heißt nicht Gesammtverfassung desselben mit monarchi¬
scher Grundlage und republikanischer Spitze, nicht Herstellung eines länder¬
losen Kaisertums über ländermächtige Sonderstaaten, sie kann auch nicht aus
der Berathung der am Bundestag vertretenen Fürsten hervorgehen. Das
letztere erlaube man uns an einem einzelnen Beispiele zu begründen.

In diesem Augenblick sind Preußen und Sachsen über ihre Haltung zur
orientalischen Frage vollkommen einig; allein während wir das preußische
Cabinet deswegen aufs heftigste angreifen müssen, können wir den Gründen
der sächsischen Politik nicht das Mindeste entgegensetzen. Woran muß dem
König von Sachsen, den nicht sein eigner Wille, sondern seine Geburt in
seine historische Stellung gebracht hat, woran muß dem sächsischen Ministerium
gelegen sein? Doch wol an den nächstliegenden Interessen seiner Staatsbürger-
Was in aller Welt geht es Sachsen an, ob die Russen in Sebastopol sitzen,
ob die Griechen oder die Lateiner das heilige Grab behaupten? Im Kriege
kann Sachsen nichts gewinnen, im Gegentheil werden die Interessen aller seiner
Staatsbürger dabei beschädigt. Dem sächsischen Cabinet muß also alles an der


Nun haben wir im Laufe des letzten Jahres zwar bereits mehrfach an¬
gedeutet, daß wir den gegenwärtigen Augenblick zur Durchführung einer neuen
Constituirung Deutschlands keineswegs für geeignet erachten; aber unsre Ideen
sind dieselben geblieben. Was wir seit acht Jahren über die natürliche Fort¬
entwicklung Deutschlands gedacht haben, ist noch heute unsre Ueberzeugung;
sie wird es bleiben, solange ein Preußen, dem man die Mission der Zukunft
übertragen kann, eristirt. Eine falsche Richtung des Staats kann uns nicht
irreführen, solange diese nur nicht der Eristenz des Staats Gefahr droht.
Das letzte ist zwar gegenwärtig der Fall, die ^onäum menclivs Politik bringt
Preußen in die Gefahr des Untergangs, aber noch immer haben wir die
Ueberzeugung, daß es diese Krisis glücklich überstehen wird, und sobald dies
der Fall ist, werden wir sofort mit unsern alten Ideen bei der Hand sein.
In dieser Beziehung > möchten wir uns gern mit den östreichischen Patrioten
verständigen, wir möchten ihnen gern die Ueberzeugung beibringen, daß die
wahren Freunde Oestreichs in unsrem Lager sind, daß jeder Oestreicher, dem
es um den Fortschritt seines Staats zu thun ist, auf unsre Ideen ein¬
gehen muß.

Freilich wäre ein solches Verständniß unmöglich, wenn man uns wieder
mit den alten Phrasen antwortet: Oestreich wird sich nicht aus Deutschland
herauswerfen lassen! Einheit des deutschen Reichs! Nationalparlament, Kaiser-
thum u. s. w. Wo das Geheul anfängt, hört freilich die Vernunft auf.

Was heißt Einheit Deutschlands? Nicht Einheit eines in der Luft schwe¬
benden Deutschlands, das man aus den Klopstockscher Bardieten heraussuche»
muß, sondern Einheit des wirklichen Deutschland.

Einheit Deutschlands heißt nicht Gesammtverfassung desselben mit monarchi¬
scher Grundlage und republikanischer Spitze, nicht Herstellung eines länder¬
losen Kaisertums über ländermächtige Sonderstaaten, sie kann auch nicht aus
der Berathung der am Bundestag vertretenen Fürsten hervorgehen. Das
letztere erlaube man uns an einem einzelnen Beispiele zu begründen.

In diesem Augenblick sind Preußen und Sachsen über ihre Haltung zur
orientalischen Frage vollkommen einig; allein während wir das preußische
Cabinet deswegen aufs heftigste angreifen müssen, können wir den Gründen
der sächsischen Politik nicht das Mindeste entgegensetzen. Woran muß dem
König von Sachsen, den nicht sein eigner Wille, sondern seine Geburt in
seine historische Stellung gebracht hat, woran muß dem sächsischen Ministerium
gelegen sein? Doch wol an den nächstliegenden Interessen seiner Staatsbürger-
Was in aller Welt geht es Sachsen an, ob die Russen in Sebastopol sitzen,
ob die Griechen oder die Lateiner das heilige Grab behaupten? Im Kriege
kann Sachsen nichts gewinnen, im Gegentheil werden die Interessen aller seiner
Staatsbürger dabei beschädigt. Dem sächsischen Cabinet muß also alles an der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99430"/>
          <p xml:id="ID_126"> Nun haben wir im Laufe des letzten Jahres zwar bereits mehrfach an¬<lb/>
gedeutet, daß wir den gegenwärtigen Augenblick zur Durchführung einer neuen<lb/>
Constituirung Deutschlands keineswegs für geeignet erachten; aber unsre Ideen<lb/>
sind dieselben geblieben. Was wir seit acht Jahren über die natürliche Fort¬<lb/>
entwicklung Deutschlands gedacht haben, ist noch heute unsre Ueberzeugung;<lb/>
sie wird es bleiben, solange ein Preußen, dem man die Mission der Zukunft<lb/>
übertragen kann, eristirt. Eine falsche Richtung des Staats kann uns nicht<lb/>
irreführen, solange diese nur nicht der Eristenz des Staats Gefahr droht.<lb/>
Das letzte ist zwar gegenwärtig der Fall, die ^onäum menclivs Politik bringt<lb/>
Preußen in die Gefahr des Untergangs, aber noch immer haben wir die<lb/>
Ueberzeugung, daß es diese Krisis glücklich überstehen wird, und sobald dies<lb/>
der Fall ist, werden wir sofort mit unsern alten Ideen bei der Hand sein.<lb/>
In dieser Beziehung &gt; möchten wir uns gern mit den östreichischen Patrioten<lb/>
verständigen, wir möchten ihnen gern die Ueberzeugung beibringen, daß die<lb/>
wahren Freunde Oestreichs in unsrem Lager sind, daß jeder Oestreicher, dem<lb/>
es um den Fortschritt seines Staats zu thun ist, auf unsre Ideen ein¬<lb/>
gehen muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_127"> Freilich wäre ein solches Verständniß unmöglich, wenn man uns wieder<lb/>
mit den alten Phrasen antwortet: Oestreich wird sich nicht aus Deutschland<lb/>
herauswerfen lassen! Einheit des deutschen Reichs! Nationalparlament, Kaiser-<lb/>
thum u. s. w.  Wo das Geheul anfängt, hört freilich die Vernunft auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_128"> Was heißt Einheit Deutschlands? Nicht Einheit eines in der Luft schwe¬<lb/>
benden Deutschlands, das man aus den Klopstockscher Bardieten heraussuche»<lb/>
muß, sondern Einheit des wirklichen Deutschland.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_129"> Einheit Deutschlands heißt nicht Gesammtverfassung desselben mit monarchi¬<lb/>
scher Grundlage und republikanischer Spitze, nicht Herstellung eines länder¬<lb/>
losen Kaisertums über ländermächtige Sonderstaaten, sie kann auch nicht aus<lb/>
der Berathung der am Bundestag vertretenen Fürsten hervorgehen. Das<lb/>
letztere erlaube man uns an einem einzelnen Beispiele zu begründen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_130" next="#ID_131"> In diesem Augenblick sind Preußen und Sachsen über ihre Haltung zur<lb/>
orientalischen Frage vollkommen einig; allein während wir das preußische<lb/>
Cabinet deswegen aufs heftigste angreifen müssen, können wir den Gründen<lb/>
der sächsischen Politik nicht das Mindeste entgegensetzen. Woran muß dem<lb/>
König von Sachsen, den nicht sein eigner Wille, sondern seine Geburt in<lb/>
seine historische Stellung gebracht hat, woran muß dem sächsischen Ministerium<lb/>
gelegen sein? Doch wol an den nächstliegenden Interessen seiner Staatsbürger-<lb/>
Was in aller Welt geht es Sachsen an, ob die Russen in Sebastopol sitzen,<lb/>
ob die Griechen oder die Lateiner das heilige Grab behaupten? Im Kriege<lb/>
kann Sachsen nichts gewinnen, im Gegentheil werden die Interessen aller seiner<lb/>
Staatsbürger dabei beschädigt. Dem sächsischen Cabinet muß also alles an der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0044] Nun haben wir im Laufe des letzten Jahres zwar bereits mehrfach an¬ gedeutet, daß wir den gegenwärtigen Augenblick zur Durchführung einer neuen Constituirung Deutschlands keineswegs für geeignet erachten; aber unsre Ideen sind dieselben geblieben. Was wir seit acht Jahren über die natürliche Fort¬ entwicklung Deutschlands gedacht haben, ist noch heute unsre Ueberzeugung; sie wird es bleiben, solange ein Preußen, dem man die Mission der Zukunft übertragen kann, eristirt. Eine falsche Richtung des Staats kann uns nicht irreführen, solange diese nur nicht der Eristenz des Staats Gefahr droht. Das letzte ist zwar gegenwärtig der Fall, die ^onäum menclivs Politik bringt Preußen in die Gefahr des Untergangs, aber noch immer haben wir die Ueberzeugung, daß es diese Krisis glücklich überstehen wird, und sobald dies der Fall ist, werden wir sofort mit unsern alten Ideen bei der Hand sein. In dieser Beziehung > möchten wir uns gern mit den östreichischen Patrioten verständigen, wir möchten ihnen gern die Ueberzeugung beibringen, daß die wahren Freunde Oestreichs in unsrem Lager sind, daß jeder Oestreicher, dem es um den Fortschritt seines Staats zu thun ist, auf unsre Ideen ein¬ gehen muß. Freilich wäre ein solches Verständniß unmöglich, wenn man uns wieder mit den alten Phrasen antwortet: Oestreich wird sich nicht aus Deutschland herauswerfen lassen! Einheit des deutschen Reichs! Nationalparlament, Kaiser- thum u. s. w. Wo das Geheul anfängt, hört freilich die Vernunft auf. Was heißt Einheit Deutschlands? Nicht Einheit eines in der Luft schwe¬ benden Deutschlands, das man aus den Klopstockscher Bardieten heraussuche» muß, sondern Einheit des wirklichen Deutschland. Einheit Deutschlands heißt nicht Gesammtverfassung desselben mit monarchi¬ scher Grundlage und republikanischer Spitze, nicht Herstellung eines länder¬ losen Kaisertums über ländermächtige Sonderstaaten, sie kann auch nicht aus der Berathung der am Bundestag vertretenen Fürsten hervorgehen. Das letztere erlaube man uns an einem einzelnen Beispiele zu begründen. In diesem Augenblick sind Preußen und Sachsen über ihre Haltung zur orientalischen Frage vollkommen einig; allein während wir das preußische Cabinet deswegen aufs heftigste angreifen müssen, können wir den Gründen der sächsischen Politik nicht das Mindeste entgegensetzen. Woran muß dem König von Sachsen, den nicht sein eigner Wille, sondern seine Geburt in seine historische Stellung gebracht hat, woran muß dem sächsischen Ministerium gelegen sein? Doch wol an den nächstliegenden Interessen seiner Staatsbürger- Was in aller Welt geht es Sachsen an, ob die Russen in Sebastopol sitzen, ob die Griechen oder die Lateiner das heilige Grab behaupten? Im Kriege kann Sachsen nichts gewinnen, im Gegentheil werden die Interessen aller seiner Staatsbürger dabei beschädigt. Dem sächsischen Cabinet muß also alles an der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/44
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/44>, abgerufen am 01.07.2024.