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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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aus dem bisherigen Stand des Feldlagers in einen geordneten Besitz überge¬
gangen ist, sich den Rücken gedeckt zu sehen. Gesetzt, es käme jetzt wirklich
zum Bürgerkriege, Preußen würde zertrümmert oder wenigstens sehr geschwächt,
so steht Oestreich, wenn es auch für den Augenblick einen neuen Erwerb machen
mag, gleichfalls am Vorabend seines Unterganges; denn sobald nicht mehr
ein mächtiger kriegerischer Staat in Norddeutschland das Wort führt, so werden
aufs neue russische und französische Einflüsse sich geltendmachen und, um
Oestreich zu paralysiren, auch revolutionäre Mittel nicht verschmähen.

Andrerseits hat aber Oestreich ganz recht, an dem Bund mit den West¬
mächten entschieden festzuhalten. Hat es nun alles darangesetzt, um Preußen
in diesen Bund mit hineinzuziehen? Officiell sind zwar seine Schritte alle zu
rechtfertigen, aber ists.dem preußischen Cabinet mit jenem offenen Vertrauen
entgegengekommen, das bei der Subjektivität der preußischen Politiker doch so
wichtig gewesen wäre? Wir sind natürlich in die geheimen Verhandlungen
nicht eingeweiht, aber mehr oder minder ist doch die officielle und officiöse Presse
ein Abklatsch dieser Verhandlungen, und wenn wir nach dieser urtheilen wollen,
so war das Verfahren Oestreichs gegen Preußen von vornherein hart und
rücksichtslos. Bon Frankreich finden wir ein solches Auftreten ganz natürlich,
von Oestreich müssen wir es bedauern, obgleich wir es begreifen. Freilich hät¬
ten wir es viel lieber gesehen, wenn Preußen einer solchen Schonung nicht
bedurft hätte, wie es denn auch in der That, wenn es seine Kräfte zusammen¬
nimmt, einer Schonung nicht bedarf. Aber da die Nouärun merläleL Politik
einmal vorhanden ist, so sollte Oestreich im eignen Interesse wie im Interesse
Deutschlands sich daran erinnern, daß Preußen, wenn auch sein Rival, doch
sein Waffenbruder ist, und es sollte ihm den Schritt, den es zu fordern berech¬
tigt und genöthigt ist, durch ein ehrenvolles Aussehen wenigstens erleichtern.

Und dazu seine Regierung anzuregen hat jeder östreichische Patriot die
Verpflichtung. Die schwarzgelbe Berserkerwuth des Jahres 18i8, in der selbst
der radicale Wieöner die Hegemonie über Deutschland in Anspruch nahm, weil
er 800,000 Mann hinter sich habe, ist hoffentlich jetzt verbraucht. Der aufge¬
klärte Oestreicher wird das Gedeihen Preußens wünschen, wie der aufgeklärte
Preuße das Gedeihen Oestreichs wünscht. Beide Staaten können ihr inneres
Wohl fördern, ihre äußere Macht vergrößern, beides zur Ehre und zum Vor¬
theil Deutschlands, ohne sich je in den Weg zu kommen. Nur ein völliges
Mißverständniß aller positiven Interessen, nur ein Ueberwiegen der Stimmung
über die Vernunft kann zwei Staaten feindlich gegeneinanderführen, die in
ewiger Waffeubrüderschaft vereinigt sein sollten.




aus dem bisherigen Stand des Feldlagers in einen geordneten Besitz überge¬
gangen ist, sich den Rücken gedeckt zu sehen. Gesetzt, es käme jetzt wirklich
zum Bürgerkriege, Preußen würde zertrümmert oder wenigstens sehr geschwächt,
so steht Oestreich, wenn es auch für den Augenblick einen neuen Erwerb machen
mag, gleichfalls am Vorabend seines Unterganges; denn sobald nicht mehr
ein mächtiger kriegerischer Staat in Norddeutschland das Wort führt, so werden
aufs neue russische und französische Einflüsse sich geltendmachen und, um
Oestreich zu paralysiren, auch revolutionäre Mittel nicht verschmähen.

Andrerseits hat aber Oestreich ganz recht, an dem Bund mit den West¬
mächten entschieden festzuhalten. Hat es nun alles darangesetzt, um Preußen
in diesen Bund mit hineinzuziehen? Officiell sind zwar seine Schritte alle zu
rechtfertigen, aber ists.dem preußischen Cabinet mit jenem offenen Vertrauen
entgegengekommen, das bei der Subjektivität der preußischen Politiker doch so
wichtig gewesen wäre? Wir sind natürlich in die geheimen Verhandlungen
nicht eingeweiht, aber mehr oder minder ist doch die officielle und officiöse Presse
ein Abklatsch dieser Verhandlungen, und wenn wir nach dieser urtheilen wollen,
so war das Verfahren Oestreichs gegen Preußen von vornherein hart und
rücksichtslos. Bon Frankreich finden wir ein solches Auftreten ganz natürlich,
von Oestreich müssen wir es bedauern, obgleich wir es begreifen. Freilich hät¬
ten wir es viel lieber gesehen, wenn Preußen einer solchen Schonung nicht
bedurft hätte, wie es denn auch in der That, wenn es seine Kräfte zusammen¬
nimmt, einer Schonung nicht bedarf. Aber da die Nouärun merläleL Politik
einmal vorhanden ist, so sollte Oestreich im eignen Interesse wie im Interesse
Deutschlands sich daran erinnern, daß Preußen, wenn auch sein Rival, doch
sein Waffenbruder ist, und es sollte ihm den Schritt, den es zu fordern berech¬
tigt und genöthigt ist, durch ein ehrenvolles Aussehen wenigstens erleichtern.

Und dazu seine Regierung anzuregen hat jeder östreichische Patriot die
Verpflichtung. Die schwarzgelbe Berserkerwuth des Jahres 18i8, in der selbst
der radicale Wieöner die Hegemonie über Deutschland in Anspruch nahm, weil
er 800,000 Mann hinter sich habe, ist hoffentlich jetzt verbraucht. Der aufge¬
klärte Oestreicher wird das Gedeihen Preußens wünschen, wie der aufgeklärte
Preuße das Gedeihen Oestreichs wünscht. Beide Staaten können ihr inneres
Wohl fördern, ihre äußere Macht vergrößern, beides zur Ehre und zum Vor¬
theil Deutschlands, ohne sich je in den Weg zu kommen. Nur ein völliges
Mißverständniß aller positiven Interessen, nur ein Ueberwiegen der Stimmung
über die Vernunft kann zwei Staaten feindlich gegeneinanderführen, die in
ewiger Waffeubrüderschaft vereinigt sein sollten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/46>, abgerufen am 01.07.2024.