Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Haus kam, waren meine Geisen schon eine halbe Stunde daheim, Etliche
Tag lang fühlt ich von dieser Partie keinerlei Ungemach; aber mit Eins
fingen meine Fuß zu sieden an, als wenn man sie in einem Kessel kochte,
dann kamen die Schmerzen. Mein Vater sah nach, und fand mitten an der
einen Fußsohle ein groß Loch, und Moos und Gras darinnen. Nun erinnert
ich miet erst, daß ich an einem spitzen Weißtannast aufgesprungen war:
Moos und Gras war mithineingegangen. Der Aeti grub mirs mit einem
Messer heraus, und verband mir den Fuß. Nun mußt ich freilich ein paar
Tage meinen Geisen langsam nachhinken; dann verlor ich die Binde: Koth
und Dreck füllten jetzt das Loch, und es war bald wieder besser. -- Viel andre
Mal, wenns durch die Felsen ging, liefen die Thiere ob mir weg, und rollten
große Steine herab, die mir hart an den Ohren vorbeipfiffen. Oft stieg ich
einen Wälschtraubenknöpfli, Frauenschuhlin, oder andern Blümchen über Klippen
nach, daß es eine halsbrechende Arbeit war. Wieder zündete ich große, halb¬
verdorrte Tannen von unten an. die bisweilen acht bis ^eben Tag aneinander
fortbrannten, bis sie fielen. Alle Morgen und Abend sah ich dann nach, wies
mit ihnen stund. Einst hätte mich eine maustodt schlagen können: denn indem
ich meine Geisen forttrieb, daß sie nicht getroffen wurden, krachte sie hart an
mir in Stücken zusammen. -- Soviel? Gefahren drohten mir während meinem
Hirtenstand mehrmal, Leibs und Lebens verlustig zu werden, ohne daß ichs
viel achtete, oder dock alles bald wieder vergaß, und leider damals nie daran
dachte, daß du allein es warst, mein unendlich guter himmlischer Vater und
Erhalter! der in den Winkeln cluster Wüste die Raben nährt, und auch
Sorge sür mein junges Leben trug.

Mein Vater hatte bisweilen aus der Geismilch Käse gemacht, bisweilen
Kälber gesäugt, und feine Wiesen mit dem Mist geänfnet. Dies reizte unsre
Nachbarn, daß ihrer vier auch Geisen anschafften, und beim Kloster um Er¬
laubniß baten, ebenfalls im Kohlwald hüten zu dürfen. Da gabs nun Kam¬
radschaft. Unser drü oder vier Geisbuben kamen alle Tage zusammen. Ich
will nicht sagen, ob ich der beste oder schlimmste unter ihnen gewesen -- aber
gewiß ein purer Narr gegen die andern -- bis auf einen, der ein gutes
Bürschchen war. Einmal die übrigen alle gaben uns leider kein gutes Erempel.
Ich wurde ein Bißlein witziger, aber desto schlimmer. Auch sass mein Vater
gar nicht gern, daß ich mit ihnen laichte, und sagte mir, ich sollte lieber allein
hüten, und alle Tage auf eine andere Gegend treiben. Aber Gesellschaft war
mir zu neu und zu angenehm; und wenn ich auch etwa einen Tag den Rath
befolgt, und hörte dann die andern super und jolen, so wars, als wenn wich
ein Paar beim Rock zerrten, bis ich sie erreicht hatte. Bisweilen gab es Zän¬
kereien; dann fuhr ich wieder einen Morgen allein, oder mit dem guten Jacoble;
von dem, hab ich selten ein unnützes Wort gehört, aber die andern waren


Haus kam, waren meine Geisen schon eine halbe Stunde daheim, Etliche
Tag lang fühlt ich von dieser Partie keinerlei Ungemach; aber mit Eins
fingen meine Fuß zu sieden an, als wenn man sie in einem Kessel kochte,
dann kamen die Schmerzen. Mein Vater sah nach, und fand mitten an der
einen Fußsohle ein groß Loch, und Moos und Gras darinnen. Nun erinnert
ich miet erst, daß ich an einem spitzen Weißtannast aufgesprungen war:
Moos und Gras war mithineingegangen. Der Aeti grub mirs mit einem
Messer heraus, und verband mir den Fuß. Nun mußt ich freilich ein paar
Tage meinen Geisen langsam nachhinken; dann verlor ich die Binde: Koth
und Dreck füllten jetzt das Loch, und es war bald wieder besser. — Viel andre
Mal, wenns durch die Felsen ging, liefen die Thiere ob mir weg, und rollten
große Steine herab, die mir hart an den Ohren vorbeipfiffen. Oft stieg ich
einen Wälschtraubenknöpfli, Frauenschuhlin, oder andern Blümchen über Klippen
nach, daß es eine halsbrechende Arbeit war. Wieder zündete ich große, halb¬
verdorrte Tannen von unten an. die bisweilen acht bis ^eben Tag aneinander
fortbrannten, bis sie fielen. Alle Morgen und Abend sah ich dann nach, wies
mit ihnen stund. Einst hätte mich eine maustodt schlagen können: denn indem
ich meine Geisen forttrieb, daß sie nicht getroffen wurden, krachte sie hart an
mir in Stücken zusammen. — Soviel? Gefahren drohten mir während meinem
Hirtenstand mehrmal, Leibs und Lebens verlustig zu werden, ohne daß ichs
viel achtete, oder dock alles bald wieder vergaß, und leider damals nie daran
dachte, daß du allein es warst, mein unendlich guter himmlischer Vater und
Erhalter! der in den Winkeln cluster Wüste die Raben nährt, und auch
Sorge sür mein junges Leben trug.

Mein Vater hatte bisweilen aus der Geismilch Käse gemacht, bisweilen
Kälber gesäugt, und feine Wiesen mit dem Mist geänfnet. Dies reizte unsre
Nachbarn, daß ihrer vier auch Geisen anschafften, und beim Kloster um Er¬
laubniß baten, ebenfalls im Kohlwald hüten zu dürfen. Da gabs nun Kam¬
radschaft. Unser drü oder vier Geisbuben kamen alle Tage zusammen. Ich
will nicht sagen, ob ich der beste oder schlimmste unter ihnen gewesen — aber
gewiß ein purer Narr gegen die andern — bis auf einen, der ein gutes
Bürschchen war. Einmal die übrigen alle gaben uns leider kein gutes Erempel.
Ich wurde ein Bißlein witziger, aber desto schlimmer. Auch sass mein Vater
gar nicht gern, daß ich mit ihnen laichte, und sagte mir, ich sollte lieber allein
hüten, und alle Tage auf eine andere Gegend treiben. Aber Gesellschaft war
mir zu neu und zu angenehm; und wenn ich auch etwa einen Tag den Rath
befolgt, und hörte dann die andern super und jolen, so wars, als wenn wich
ein Paar beim Rock zerrten, bis ich sie erreicht hatte. Bisweilen gab es Zän¬
kereien; dann fuhr ich wieder einen Morgen allein, oder mit dem guten Jacoble;
von dem, hab ich selten ein unnützes Wort gehört, aber die andern waren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99822"/>
              <p xml:id="ID_1480" prev="#ID_1479"> Haus kam, waren meine Geisen schon eine halbe Stunde daheim, Etliche<lb/>
Tag lang fühlt ich von dieser Partie keinerlei Ungemach; aber mit Eins<lb/>
fingen meine Fuß zu sieden an, als wenn man sie in einem Kessel kochte,<lb/>
dann kamen die Schmerzen. Mein Vater sah nach, und fand mitten an der<lb/>
einen Fußsohle ein groß Loch, und Moos und Gras darinnen. Nun erinnert<lb/>
ich miet erst, daß ich an einem spitzen Weißtannast aufgesprungen war:<lb/>
Moos und Gras war mithineingegangen. Der Aeti grub mirs mit einem<lb/>
Messer heraus, und verband mir den Fuß. Nun mußt ich freilich ein paar<lb/>
Tage meinen Geisen langsam nachhinken; dann verlor ich die Binde: Koth<lb/>
und Dreck füllten jetzt das Loch, und es war bald wieder besser. &#x2014; Viel andre<lb/>
Mal, wenns durch die Felsen ging, liefen die Thiere ob mir weg, und rollten<lb/>
große Steine herab, die mir hart an den Ohren vorbeipfiffen. Oft stieg ich<lb/>
einen Wälschtraubenknöpfli, Frauenschuhlin, oder andern Blümchen über Klippen<lb/>
nach, daß es eine halsbrechende Arbeit war. Wieder zündete ich große, halb¬<lb/>
verdorrte Tannen von unten an. die bisweilen acht bis ^eben Tag aneinander<lb/>
fortbrannten, bis sie fielen. Alle Morgen und Abend sah ich dann nach, wies<lb/>
mit ihnen stund. Einst hätte mich eine maustodt schlagen können: denn indem<lb/>
ich meine Geisen forttrieb, daß sie nicht getroffen wurden, krachte sie hart an<lb/>
mir in Stücken zusammen. &#x2014; Soviel? Gefahren drohten mir während meinem<lb/>
Hirtenstand mehrmal, Leibs und Lebens verlustig zu werden, ohne daß ichs<lb/>
viel achtete, oder dock alles bald wieder vergaß, und leider damals nie daran<lb/>
dachte, daß du allein es warst, mein unendlich guter himmlischer Vater und<lb/>
Erhalter! der in den Winkeln cluster Wüste die Raben nährt, und auch<lb/>
Sorge sür mein junges Leben trug.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_1481" next="#ID_1482"> Mein Vater hatte bisweilen aus der Geismilch Käse gemacht, bisweilen<lb/>
Kälber gesäugt, und feine Wiesen mit dem Mist geänfnet. Dies reizte unsre<lb/>
Nachbarn, daß ihrer vier auch Geisen anschafften, und beim Kloster um Er¬<lb/>
laubniß baten, ebenfalls im Kohlwald hüten zu dürfen. Da gabs nun Kam¬<lb/>
radschaft. Unser drü oder vier Geisbuben kamen alle Tage zusammen. Ich<lb/>
will nicht sagen, ob ich der beste oder schlimmste unter ihnen gewesen &#x2014; aber<lb/>
gewiß ein purer Narr gegen die andern &#x2014; bis auf einen, der ein gutes<lb/>
Bürschchen war. Einmal die übrigen alle gaben uns leider kein gutes Erempel.<lb/>
Ich wurde ein Bißlein witziger, aber desto schlimmer. Auch sass mein Vater<lb/>
gar nicht gern, daß ich mit ihnen laichte, und sagte mir, ich sollte lieber allein<lb/>
hüten, und alle Tage auf eine andere Gegend treiben. Aber Gesellschaft war<lb/>
mir zu neu und zu angenehm; und wenn ich auch etwa einen Tag den Rath<lb/>
befolgt, und hörte dann die andern super und jolen, so wars, als wenn wich<lb/>
ein Paar beim Rock zerrten, bis ich sie erreicht hatte. Bisweilen gab es Zän¬<lb/>
kereien; dann fuhr ich wieder einen Morgen allein, oder mit dem guten Jacoble;<lb/>
von dem, hab ich selten ein unnützes Wort gehört, aber die andern waren</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] Haus kam, waren meine Geisen schon eine halbe Stunde daheim, Etliche Tag lang fühlt ich von dieser Partie keinerlei Ungemach; aber mit Eins fingen meine Fuß zu sieden an, als wenn man sie in einem Kessel kochte, dann kamen die Schmerzen. Mein Vater sah nach, und fand mitten an der einen Fußsohle ein groß Loch, und Moos und Gras darinnen. Nun erinnert ich miet erst, daß ich an einem spitzen Weißtannast aufgesprungen war: Moos und Gras war mithineingegangen. Der Aeti grub mirs mit einem Messer heraus, und verband mir den Fuß. Nun mußt ich freilich ein paar Tage meinen Geisen langsam nachhinken; dann verlor ich die Binde: Koth und Dreck füllten jetzt das Loch, und es war bald wieder besser. — Viel andre Mal, wenns durch die Felsen ging, liefen die Thiere ob mir weg, und rollten große Steine herab, die mir hart an den Ohren vorbeipfiffen. Oft stieg ich einen Wälschtraubenknöpfli, Frauenschuhlin, oder andern Blümchen über Klippen nach, daß es eine halsbrechende Arbeit war. Wieder zündete ich große, halb¬ verdorrte Tannen von unten an. die bisweilen acht bis ^eben Tag aneinander fortbrannten, bis sie fielen. Alle Morgen und Abend sah ich dann nach, wies mit ihnen stund. Einst hätte mich eine maustodt schlagen können: denn indem ich meine Geisen forttrieb, daß sie nicht getroffen wurden, krachte sie hart an mir in Stücken zusammen. — Soviel? Gefahren drohten mir während meinem Hirtenstand mehrmal, Leibs und Lebens verlustig zu werden, ohne daß ichs viel achtete, oder dock alles bald wieder vergaß, und leider damals nie daran dachte, daß du allein es warst, mein unendlich guter himmlischer Vater und Erhalter! der in den Winkeln cluster Wüste die Raben nährt, und auch Sorge sür mein junges Leben trug. Mein Vater hatte bisweilen aus der Geismilch Käse gemacht, bisweilen Kälber gesäugt, und feine Wiesen mit dem Mist geänfnet. Dies reizte unsre Nachbarn, daß ihrer vier auch Geisen anschafften, und beim Kloster um Er¬ laubniß baten, ebenfalls im Kohlwald hüten zu dürfen. Da gabs nun Kam¬ radschaft. Unser drü oder vier Geisbuben kamen alle Tage zusammen. Ich will nicht sagen, ob ich der beste oder schlimmste unter ihnen gewesen — aber gewiß ein purer Narr gegen die andern — bis auf einen, der ein gutes Bürschchen war. Einmal die übrigen alle gaben uns leider kein gutes Erempel. Ich wurde ein Bißlein witziger, aber desto schlimmer. Auch sass mein Vater gar nicht gern, daß ich mit ihnen laichte, und sagte mir, ich sollte lieber allein hüten, und alle Tage auf eine andere Gegend treiben. Aber Gesellschaft war mir zu neu und zu angenehm; und wenn ich auch etwa einen Tag den Rath befolgt, und hörte dann die andern super und jolen, so wars, als wenn wich ein Paar beim Rock zerrten, bis ich sie erreicht hatte. Bisweilen gab es Zän¬ kereien; dann fuhr ich wieder einen Morgen allein, oder mit dem guten Jacoble; von dem, hab ich selten ein unnützes Wort gehört, aber die andern waren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/436>, abgerufen am 01.10.2024.