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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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mir kurzweiliger. Ich hatte noch viele Jahre für mich könne" Geisen hüten,
eh ich den Zehntheil von dem allen einen worden wäre, was ich da gar in
kurzem vernahm. Sie waren alle größer und älter als ich -- fast aufge¬
schossene Bengel, bei denen schon alle argen Leidenschaften aufgewacht. Schmu^'ge
Zotten waren alle ihre Reden, und unzüchtig alle ihre Lieder; bei deren An--
boren ich freilich oft Maul und Augen aufthat, oft aber auch aus Schamröthe
niederschlug. Ueber meinen bisherigen Zeitvertreib lachten sie sich die Haut
volN Späne und junge Vögel galten ihnen gleich viel, äussert wenn sie
glaubten Geld aus einem zu lösen; sonst schmissen sie dieselben sammt den
Nestern fort. Das that mir anfangs weh; doch macht ichs bald mit. So
geschwind konnten sie mich hingegen nicht überreden, schamlos zu baden wie
sie. Einer besonders war ein rechter Unflath; aber sonst weder streit- noch
zanksüchtig, und darum nur desto verführerischer. Ein ander war aus alles
erpicht, womit er einen Batzen verdienen konnte; der liebte darum die Vögel
mehr als die andern, die nämlich, welche man ißt; suchte allerlei Waldkräuter,
Harz, Zunderschwamm u. tgi. Von dem lernt ich manche Pflanze kennen,
aber auch, was der Geiz ist. Noch einer war etwas besser als die schlimmern;
er machte mit, aber furchtsam. Jedem ging sein Hang sein Lebenlang nach.
Jacoble ist noch ein guter Mann; der andre blieb ein geiler Schwätzer, und
ward zuletzt ein miserabler hinkender Tropf; der dritte hatte mit List und
Ränken etwas erworben, aber nie kein Glück dabei. Vom vierten weiß ich
nicht, wo er hinkommen ist.

Daheim durst ich nichts merken lassen von dem, was ich bei diesen Ka¬
meraden sah und hörte; genoß aber nicht mehr meine vorige Fröhlichkeit und
Gemüthsruhe. Die Kerls hatten Leidenschaften in mir rege gemacht, die ich
noch selbst nicht.kannte -- und doch merkte, daß es nicht richtig stuhnd. Im
Herbst, wo die Fahrt frei war, hütete ich meist allein; trug ein Büchlein,
das mir blos darum jetzt noch lieb ist, bei mir, und las oft darin. Noch
weiß' ich verschiedene sonderbare Stellen auswendig, die mich damals bis zu
Thränen rührten. Jetzt kamen mir die bösen Neigungen in meinem Busen
abscheulich vor, und machten mir angst und bang. Ich betete, rang die
Hände, sah zum Himmel, bis mir die hellen Thränen über die Backen rollten;
faßte einen Vorsatz über den andern, und machte mir so strenge Pläne für
ein künftiges frommes Leben, daß ich darüber allen Frohmuth verlor. Ich
versagte mir alle Arten Von Freude, und hatte z. E. lang einen ernstlichen
Kampf mit mir selber wegen einem Distelfink, der mir sehr lieb war, ob ich
ihn weggeben oder, behalten sollte? Ueber diesen einzigen Vogel dacht ich oft
weit und breit herum. Bald kam mir die Frommkcit, wie ich mir solche damals
vorstellte, als ein unersteiglicher Berg, bald wieder federleicht vor. Meine
Geschwister möcht ich herzlich lieben; aber jemehr ichs wollte, jemehr sah ich


mir kurzweiliger. Ich hatte noch viele Jahre für mich könne» Geisen hüten,
eh ich den Zehntheil von dem allen einen worden wäre, was ich da gar in
kurzem vernahm. Sie waren alle größer und älter als ich — fast aufge¬
schossene Bengel, bei denen schon alle argen Leidenschaften aufgewacht. Schmu^'ge
Zotten waren alle ihre Reden, und unzüchtig alle ihre Lieder; bei deren An--
boren ich freilich oft Maul und Augen aufthat, oft aber auch aus Schamröthe
niederschlug. Ueber meinen bisherigen Zeitvertreib lachten sie sich die Haut
volN Späne und junge Vögel galten ihnen gleich viel, äussert wenn sie
glaubten Geld aus einem zu lösen; sonst schmissen sie dieselben sammt den
Nestern fort. Das that mir anfangs weh; doch macht ichs bald mit. So
geschwind konnten sie mich hingegen nicht überreden, schamlos zu baden wie
sie. Einer besonders war ein rechter Unflath; aber sonst weder streit- noch
zanksüchtig, und darum nur desto verführerischer. Ein ander war aus alles
erpicht, womit er einen Batzen verdienen konnte; der liebte darum die Vögel
mehr als die andern, die nämlich, welche man ißt; suchte allerlei Waldkräuter,
Harz, Zunderschwamm u. tgi. Von dem lernt ich manche Pflanze kennen,
aber auch, was der Geiz ist. Noch einer war etwas besser als die schlimmern;
er machte mit, aber furchtsam. Jedem ging sein Hang sein Lebenlang nach.
Jacoble ist noch ein guter Mann; der andre blieb ein geiler Schwätzer, und
ward zuletzt ein miserabler hinkender Tropf; der dritte hatte mit List und
Ränken etwas erworben, aber nie kein Glück dabei. Vom vierten weiß ich
nicht, wo er hinkommen ist.

Daheim durst ich nichts merken lassen von dem, was ich bei diesen Ka¬
meraden sah und hörte; genoß aber nicht mehr meine vorige Fröhlichkeit und
Gemüthsruhe. Die Kerls hatten Leidenschaften in mir rege gemacht, die ich
noch selbst nicht.kannte — und doch merkte, daß es nicht richtig stuhnd. Im
Herbst, wo die Fahrt frei war, hütete ich meist allein; trug ein Büchlein,
das mir blos darum jetzt noch lieb ist, bei mir, und las oft darin. Noch
weiß' ich verschiedene sonderbare Stellen auswendig, die mich damals bis zu
Thränen rührten. Jetzt kamen mir die bösen Neigungen in meinem Busen
abscheulich vor, und machten mir angst und bang. Ich betete, rang die
Hände, sah zum Himmel, bis mir die hellen Thränen über die Backen rollten;
faßte einen Vorsatz über den andern, und machte mir so strenge Pläne für
ein künftiges frommes Leben, daß ich darüber allen Frohmuth verlor. Ich
versagte mir alle Arten Von Freude, und hatte z. E. lang einen ernstlichen
Kampf mit mir selber wegen einem Distelfink, der mir sehr lieb war, ob ich
ihn weggeben oder, behalten sollte? Ueber diesen einzigen Vogel dacht ich oft
weit und breit herum. Bald kam mir die Frommkcit, wie ich mir solche damals
vorstellte, als ein unersteiglicher Berg, bald wieder federleicht vor. Meine
Geschwister möcht ich herzlich lieben; aber jemehr ichs wollte, jemehr sah ich


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[0437] mir kurzweiliger. Ich hatte noch viele Jahre für mich könne» Geisen hüten, eh ich den Zehntheil von dem allen einen worden wäre, was ich da gar in kurzem vernahm. Sie waren alle größer und älter als ich — fast aufge¬ schossene Bengel, bei denen schon alle argen Leidenschaften aufgewacht. Schmu^'ge Zotten waren alle ihre Reden, und unzüchtig alle ihre Lieder; bei deren An-- boren ich freilich oft Maul und Augen aufthat, oft aber auch aus Schamröthe niederschlug. Ueber meinen bisherigen Zeitvertreib lachten sie sich die Haut volN Späne und junge Vögel galten ihnen gleich viel, äussert wenn sie glaubten Geld aus einem zu lösen; sonst schmissen sie dieselben sammt den Nestern fort. Das that mir anfangs weh; doch macht ichs bald mit. So geschwind konnten sie mich hingegen nicht überreden, schamlos zu baden wie sie. Einer besonders war ein rechter Unflath; aber sonst weder streit- noch zanksüchtig, und darum nur desto verführerischer. Ein ander war aus alles erpicht, womit er einen Batzen verdienen konnte; der liebte darum die Vögel mehr als die andern, die nämlich, welche man ißt; suchte allerlei Waldkräuter, Harz, Zunderschwamm u. tgi. Von dem lernt ich manche Pflanze kennen, aber auch, was der Geiz ist. Noch einer war etwas besser als die schlimmern; er machte mit, aber furchtsam. Jedem ging sein Hang sein Lebenlang nach. Jacoble ist noch ein guter Mann; der andre blieb ein geiler Schwätzer, und ward zuletzt ein miserabler hinkender Tropf; der dritte hatte mit List und Ränken etwas erworben, aber nie kein Glück dabei. Vom vierten weiß ich nicht, wo er hinkommen ist. Daheim durst ich nichts merken lassen von dem, was ich bei diesen Ka¬ meraden sah und hörte; genoß aber nicht mehr meine vorige Fröhlichkeit und Gemüthsruhe. Die Kerls hatten Leidenschaften in mir rege gemacht, die ich noch selbst nicht.kannte — und doch merkte, daß es nicht richtig stuhnd. Im Herbst, wo die Fahrt frei war, hütete ich meist allein; trug ein Büchlein, das mir blos darum jetzt noch lieb ist, bei mir, und las oft darin. Noch weiß' ich verschiedene sonderbare Stellen auswendig, die mich damals bis zu Thränen rührten. Jetzt kamen mir die bösen Neigungen in meinem Busen abscheulich vor, und machten mir angst und bang. Ich betete, rang die Hände, sah zum Himmel, bis mir die hellen Thränen über die Backen rollten; faßte einen Vorsatz über den andern, und machte mir so strenge Pläne für ein künftiges frommes Leben, daß ich darüber allen Frohmuth verlor. Ich versagte mir alle Arten Von Freude, und hatte z. E. lang einen ernstlichen Kampf mit mir selber wegen einem Distelfink, der mir sehr lieb war, ob ich ihn weggeben oder, behalten sollte? Ueber diesen einzigen Vogel dacht ich oft weit und breit herum. Bald kam mir die Frommkcit, wie ich mir solche damals vorstellte, als ein unersteiglicher Berg, bald wieder federleicht vor. Meine Geschwister möcht ich herzlich lieben; aber jemehr ichs wollte, jemehr sah ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/437>, abgerufen am 01.07.2024.