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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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stiegen, und hatte meine größte Lust daran, so in den fürchterlichen Abgrund
zu schauen, und zu sehen, wie ein Bächlein Neben mir herunterstürzte, und sich
in Staub zermalmte. Aber einst schwebte mir diese Gegend im Traum so
schauderhaft vor, daß ich von da an nicht mehr hinging. -- Ein ander Mal'
befand ich mich mit meinen Geisen jenseits der Aueralp, auf der Dürrwälder-
seite gegen den Rodenstein. Ein Junges hatte sich zwischen zwei Felsen ver¬
stiegen, und ließ eine jämmerliche Melodie von sich hören. Ich kletterte nach,
um ihm zu helfen. Es ging so eng und gäh, und zick zaak zwischen Klippen
durch, daß ich weder obsich noch niedsich sehen konnte, und oft auf allen
Vieren kriechen mußte. Endlich verstieg ich mich gänzlich. Ueber mich stuhnd
ein uncrklimmbarer Fels; unter mir schiens fast senkrecht -- ich weiß selbst
nicht wie weit hinab. Ich fing an rufen und beten, so laut ich konnte. In
einer kleinen Entfernung sah ich zwei Menschen,durch eine Wiese marschiren.
Ich gewahrt es gar wohl, sie hörten mich; aber sie spotteten meiner, und
gingen ihre Straße. Endlich entschloß ich mich, das Aeußerste zu wagen, und
lieber mit eins des Todes zu sein, als noch weiter in dieser peinlichen Lage
zu verharxen, und doch nicht lange mehr ausharren zu können. Ich schrie zu
Gott in Angst und Noth,, ließ mich auf den Bauch nieder, meine Händ ob
sich verspreitet, daß ich mich an den kahlen Fels so gut als möglich anklammern
könne. Aber ich war tvdtmüd, fuhr wie ein Pfeil hinunter -- zum Glück
wars nicht so hoch, als ich in Schrecken glaubte -- und blieb wunderbar ebenrecht
in einem Schlund stecken, wo ich mich wieder halten konnte. Freilich hat ich Haut
und Kleider zerrissen und blutete an Händen und Füßen. Aber wie glücklich schätzt
ich mich nicht, daß ich nur mit dem Leben und unzerbrochnen Gliedern davonkam'.
Mein Geischen mag sich auch durch einen Sprung gerettet haben; einmal fand ichs
schon wieder bei den übrigen. -- Ein ander Mal, da ich an einem schönen
Sommertage mit meiner Herde herumgetrillert, überzog sich der Himmel gegen
Abend mit schwarzen Wolken; es sing gewaltig an blitzen und donnern. Ich
eilte nach einer Felshöhle -- diese oder eine große Wettertanne waren in solchen
Fällen immer mein Zufluchtsort -- und rief dann meine Geisen zusammen.
Die, weils sonst bald Zeit war, meinten es gelte zur Heimfahrt, und sprangen
über Kopf und Hals mir vor, daß ich bald keine" Schwanz mehr sah. Ich
eilte ihnen nach. Es fing entsetzlich an zu hageln, daß mir Kopf und Rücken
von den Püffen sausten. Der Boden war dicht mit Steinen bedeckt; ich
rannte in vollem Galopp darüber sort, siel aber oft auf den Hintern, und
fuhr große Stücke weit wie, auf einem Schlitten. Endlich in einem Wald,
wos jäh zwischen Felsen hinunterging, konnt ich vollends nicht anhalten,
und glitschte bis zu äußerst auf eiuen Rand, von dem ich, wenn mich nicht
Gott und seine guten Engel behütet hätten, viele Klafter tief herabgestürzt und
zermürft worden wäre. Jetzt ließ das Wetter allmälig nach, und als ich nach
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stiegen, und hatte meine größte Lust daran, so in den fürchterlichen Abgrund
zu schauen, und zu sehen, wie ein Bächlein Neben mir herunterstürzte, und sich
in Staub zermalmte. Aber einst schwebte mir diese Gegend im Traum so
schauderhaft vor, daß ich von da an nicht mehr hinging. — Ein ander Mal'
befand ich mich mit meinen Geisen jenseits der Aueralp, auf der Dürrwälder-
seite gegen den Rodenstein. Ein Junges hatte sich zwischen zwei Felsen ver¬
stiegen, und ließ eine jämmerliche Melodie von sich hören. Ich kletterte nach,
um ihm zu helfen. Es ging so eng und gäh, und zick zaak zwischen Klippen
durch, daß ich weder obsich noch niedsich sehen konnte, und oft auf allen
Vieren kriechen mußte. Endlich verstieg ich mich gänzlich. Ueber mich stuhnd
ein uncrklimmbarer Fels; unter mir schiens fast senkrecht — ich weiß selbst
nicht wie weit hinab. Ich fing an rufen und beten, so laut ich konnte. In
einer kleinen Entfernung sah ich zwei Menschen,durch eine Wiese marschiren.
Ich gewahrt es gar wohl, sie hörten mich; aber sie spotteten meiner, und
gingen ihre Straße. Endlich entschloß ich mich, das Aeußerste zu wagen, und
lieber mit eins des Todes zu sein, als noch weiter in dieser peinlichen Lage
zu verharxen, und doch nicht lange mehr ausharren zu können. Ich schrie zu
Gott in Angst und Noth,, ließ mich auf den Bauch nieder, meine Händ ob
sich verspreitet, daß ich mich an den kahlen Fels so gut als möglich anklammern
könne. Aber ich war tvdtmüd, fuhr wie ein Pfeil hinunter — zum Glück
wars nicht so hoch, als ich in Schrecken glaubte — und blieb wunderbar ebenrecht
in einem Schlund stecken, wo ich mich wieder halten konnte. Freilich hat ich Haut
und Kleider zerrissen und blutete an Händen und Füßen. Aber wie glücklich schätzt
ich mich nicht, daß ich nur mit dem Leben und unzerbrochnen Gliedern davonkam'.
Mein Geischen mag sich auch durch einen Sprung gerettet haben; einmal fand ichs
schon wieder bei den übrigen. — Ein ander Mal, da ich an einem schönen
Sommertage mit meiner Herde herumgetrillert, überzog sich der Himmel gegen
Abend mit schwarzen Wolken; es sing gewaltig an blitzen und donnern. Ich
eilte nach einer Felshöhle — diese oder eine große Wettertanne waren in solchen
Fällen immer mein Zufluchtsort — und rief dann meine Geisen zusammen.
Die, weils sonst bald Zeit war, meinten es gelte zur Heimfahrt, und sprangen
über Kopf und Hals mir vor, daß ich bald keine« Schwanz mehr sah. Ich
eilte ihnen nach. Es fing entsetzlich an zu hageln, daß mir Kopf und Rücken
von den Püffen sausten. Der Boden war dicht mit Steinen bedeckt; ich
rannte in vollem Galopp darüber sort, siel aber oft auf den Hintern, und
fuhr große Stücke weit wie, auf einem Schlitten. Endlich in einem Wald,
wos jäh zwischen Felsen hinunterging, konnt ich vollends nicht anhalten,
und glitschte bis zu äußerst auf eiuen Rand, von dem ich, wenn mich nicht
Gott und seine guten Engel behütet hätten, viele Klafter tief herabgestürzt und
zermürft worden wäre. Jetzt ließ das Wetter allmälig nach, und als ich nach
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/435>, abgerufen am 22.07.2024.