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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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erwarten zu können glaubte. Statt der Capitulation scheint mit jedem Tage
der Augenblick näher heranzurücken, welcher durch den Untergang der vergebens
so tapferen Heere den fatalen Ausgang einer übel berechneten Erpedition bezeich¬
nen wird.

Man schlägt sich mit bewundernswürdiger Tapferkeit bei Nacht und bei
Tage in den Laufgräben. Aber der Kampf führt zu nichts weiter, als das weite
Todtenfeld von Sebastopol mit' neuen Leichen zu füllen. Als ob ein Dutzend
solcher mörderischer Kämpfe viel weniger an Menschen kostete, als ein einziger
concentrisch ausgeführter herzhafter Sturm?

Die bisherige erfolglose Anstrengung, das vergebliche Würgen hat die
Erbitterung der Belagerer zur Wuth aufgestachelt; alle sind nur von einem
Wunsche belebt, vom Wunsche zu -- stürmen! Aber ihre Sehnsucht blieb
eben Sehnsucht! Die Flamme des Muthes, welche die Herzen der tapfern
Soldaten jetzt noch erwärmt, musz endlich in sich selbst zusammensinken und lang¬
sam erlöschen. Gleich der Lampe, der es an Nahrung gebricht, verraucht des
Kriegers Feuer, wenn es nicht benutzt wird; grollend beugt ersieh endlich nur
noch der Disciplin.

Wunderbarerweise ist aber auch von Seite der Russen, die so zahlreich in
der Nähe versammelt sein sollen, noch kein Versuch gemacht, die bedrängte
Festung zu entsetzen, die Belagerer ins Meer zu werfen, wie es ein Feldherr
Napoleons, dem eine solche Macht zu Gebote gestanden, unfehlbar gethan
haben würde. Will man vielleicht über den feinen russischen Unterhandlungen
einen zweiten Winter herankommen lassen, um dem verbündeten Heere den
Todesstoß zu versetzen?' Möglich!--

Während man sich nun in diesen Tagen vergebens anstrengt, den Ur¬
sachen deS gegenseitigen Unterlassens auf den Grund zu kommen, ist es ein¬
fach zu begreifen, wenn unter den Beobachtern dieser nicht gewöhnlichen Ver¬
hältnisse einige, unter diesen aber besonders Leute von Fach, Veranlassung
nehmen, zwischen der gegenwärtigen Belagerung von Sebastopol und den Be¬
lagerungen und Eroberungen andrer fester Platze, von denen sie, selbst noch
wol während der letzten Kriege Augenzeugen gewesen, prüfende Vergleiche zu
ziehen.

Läßt man die Reihe von Belagerungen, die während der von Napoleon >.
geführten Kriege stattfanden, an sich vorübergehen, so dürste man vielleicht die
Belagerung einer Festung gan; besonders als eine solche erkennen, welche
sowol hinsichtlich der Oertlichkeit als in Betracht der Belagerung und Ver¬
theidigung mit Sebastopol in Vergleich gestellt werden könnte. Wir meine"
die spanische Festung Tarragona in Eatalvnien, welche im Jahre 1"it
nach S7tägiger Belagerung vom Marschall Suchet mit Sturm eingenommen
wurde.


erwarten zu können glaubte. Statt der Capitulation scheint mit jedem Tage
der Augenblick näher heranzurücken, welcher durch den Untergang der vergebens
so tapferen Heere den fatalen Ausgang einer übel berechneten Erpedition bezeich¬
nen wird.

Man schlägt sich mit bewundernswürdiger Tapferkeit bei Nacht und bei
Tage in den Laufgräben. Aber der Kampf führt zu nichts weiter, als das weite
Todtenfeld von Sebastopol mit' neuen Leichen zu füllen. Als ob ein Dutzend
solcher mörderischer Kämpfe viel weniger an Menschen kostete, als ein einziger
concentrisch ausgeführter herzhafter Sturm?

Die bisherige erfolglose Anstrengung, das vergebliche Würgen hat die
Erbitterung der Belagerer zur Wuth aufgestachelt; alle sind nur von einem
Wunsche belebt, vom Wunsche zu — stürmen! Aber ihre Sehnsucht blieb
eben Sehnsucht! Die Flamme des Muthes, welche die Herzen der tapfern
Soldaten jetzt noch erwärmt, musz endlich in sich selbst zusammensinken und lang¬
sam erlöschen. Gleich der Lampe, der es an Nahrung gebricht, verraucht des
Kriegers Feuer, wenn es nicht benutzt wird; grollend beugt ersieh endlich nur
noch der Disciplin.

Wunderbarerweise ist aber auch von Seite der Russen, die so zahlreich in
der Nähe versammelt sein sollen, noch kein Versuch gemacht, die bedrängte
Festung zu entsetzen, die Belagerer ins Meer zu werfen, wie es ein Feldherr
Napoleons, dem eine solche Macht zu Gebote gestanden, unfehlbar gethan
haben würde. Will man vielleicht über den feinen russischen Unterhandlungen
einen zweiten Winter herankommen lassen, um dem verbündeten Heere den
Todesstoß zu versetzen?' Möglich!--

Während man sich nun in diesen Tagen vergebens anstrengt, den Ur¬
sachen deS gegenseitigen Unterlassens auf den Grund zu kommen, ist es ein¬
fach zu begreifen, wenn unter den Beobachtern dieser nicht gewöhnlichen Ver¬
hältnisse einige, unter diesen aber besonders Leute von Fach, Veranlassung
nehmen, zwischen der gegenwärtigen Belagerung von Sebastopol und den Be¬
lagerungen und Eroberungen andrer fester Platze, von denen sie, selbst noch
wol während der letzten Kriege Augenzeugen gewesen, prüfende Vergleiche zu
ziehen.

Läßt man die Reihe von Belagerungen, die während der von Napoleon >.
geführten Kriege stattfanden, an sich vorübergehen, so dürste man vielleicht die
Belagerung einer Festung gan; besonders als eine solche erkennen, welche
sowol hinsichtlich der Oertlichkeit als in Betracht der Belagerung und Ver¬
theidigung mit Sebastopol in Vergleich gestellt werden könnte. Wir meine»
die spanische Festung Tarragona in Eatalvnien, welche im Jahre 1»it
nach S7tägiger Belagerung vom Marschall Suchet mit Sturm eingenommen
wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/410>, abgerufen am 22.07.2024.