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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Wir sagten: "Wir haben Briefe ein sie." Da frugen wir ihn wieder:
"Mein Herr, wißt ihr uns nicht zu bescheiden, ob Martinus Luther jetzt zu
Wittenberg oder an welchem Ort er sonst sei?"

Antwortete er: "Ich habe gewisse Kundschaft, daß der Luther jetzt nicht
zu Wittenberg 'ist; er wird aber bald dahin kommen. Philippus Melanchthon
aber ist da, er lehrt die griechische Sprache, so auch andre die hebräische
lehren. In Treue will ich euch rathen, beide zu studiren; denn sie sind
nothwendig, die heilige Schrift zu versteht!." Sprachen wir: "Gott sei gelobt!
Denn (so Gott unser Leben fristet), wollen wir nicht ablassen, bis wir den
Mann sehen und hören; denn seinetwegen haben wir diese Fahrt unternommen,
da wir vernahmen, daß er das Priesterthum sammt der Messe als einen un¬
gegründeten Gottesdienst umstoßen will. Dieweil wir von Jugend auf von
unsern Eltern dazu gezogen und bestimmt sind, Priester zu werden, wollen wir
gern hören, was er uns für einen Unterricht geben wird und mit welchem
Fug er solchen Vorsatz zu Wege bringen will."

Nach solchen Worten fragte er: "Wo habt ihr bis jetzt studirt?" --
Antwort: "Zu Basel". -- Da sagteer: "Wie steht es zu Basel? ist Eras-
mus Roterdamus noch" daselbst, was thut er?"

"Mein Herr", sprachen wir: "Wir wissen nicht anders, als daß es wol
steht; auch ist Erasmus da; was er aber treibe, ist jedermann unbekannt und
verborgen, da er sich gar still und heimlich verhält."

Diese Reden kamen uns gar fremd an dem Reiter vor; daß er von beiden
Schurpsen, von Philipps und Erasmo, desgleichen von der Erforderniß beider,
der griechischen und hebräischen Zunge zu reden wußte. Zudem sprach er
dazwischen etliche lateinische Worte, so daß uns bedünken wollte, er sei eine
andre Person, als ein gemeiner Reiter.

"Lieber," fragte er uns, "was hält man im Schweizer Land von dem
Luther? "

"Mein Herr, es sind, wie allenthalben, mancherlei Meinungen. Manche
können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit
durch ihn geoffenbart und die Irrthümer zu erkennen gegeben hat, manche
aber verdammen ihn als einen verruchten Ketzer und vor andern die Geistlichen."

Da sprach er: "Ich denke mirs wol, es sind die Pfaffen."

Unter solchem Gespräch ward er uns gar heimlich, so daß mein Gesell
das Bündel, das vor ihm lag, aushob und sperrte es auf. Es war ein hebräi¬
scher Psalter. Da legte er es schnell wieder hin und der Reiter nahm es zu
sich. Und mein Gesell sprach: "Ich wollte einen Finger voll der Hand her¬
geben, daß ich diese Sprache verstünde." Antwortete er: "Ihr werdet sie wol
begreifen, wenn ihr anders Fleiß anwendet; auch ich begehre sie weiter zu
erlernen und übe mich täglich darin."


Grenzboten. II. 49

Wir sagten: „Wir haben Briefe ein sie." Da frugen wir ihn wieder:
„Mein Herr, wißt ihr uns nicht zu bescheiden, ob Martinus Luther jetzt zu
Wittenberg oder an welchem Ort er sonst sei?"

Antwortete er: „Ich habe gewisse Kundschaft, daß der Luther jetzt nicht
zu Wittenberg 'ist; er wird aber bald dahin kommen. Philippus Melanchthon
aber ist da, er lehrt die griechische Sprache, so auch andre die hebräische
lehren. In Treue will ich euch rathen, beide zu studiren; denn sie sind
nothwendig, die heilige Schrift zu versteht!." Sprachen wir: „Gott sei gelobt!
Denn (so Gott unser Leben fristet), wollen wir nicht ablassen, bis wir den
Mann sehen und hören; denn seinetwegen haben wir diese Fahrt unternommen,
da wir vernahmen, daß er das Priesterthum sammt der Messe als einen un¬
gegründeten Gottesdienst umstoßen will. Dieweil wir von Jugend auf von
unsern Eltern dazu gezogen und bestimmt sind, Priester zu werden, wollen wir
gern hören, was er uns für einen Unterricht geben wird und mit welchem
Fug er solchen Vorsatz zu Wege bringen will."

Nach solchen Worten fragte er: „Wo habt ihr bis jetzt studirt?" —
Antwort: „Zu Basel". — Da sagteer: „Wie steht es zu Basel? ist Eras-
mus Roterdamus noch» daselbst, was thut er?"

„Mein Herr", sprachen wir: „Wir wissen nicht anders, als daß es wol
steht; auch ist Erasmus da; was er aber treibe, ist jedermann unbekannt und
verborgen, da er sich gar still und heimlich verhält."

Diese Reden kamen uns gar fremd an dem Reiter vor; daß er von beiden
Schurpsen, von Philipps und Erasmo, desgleichen von der Erforderniß beider,
der griechischen und hebräischen Zunge zu reden wußte. Zudem sprach er
dazwischen etliche lateinische Worte, so daß uns bedünken wollte, er sei eine
andre Person, als ein gemeiner Reiter.

„Lieber," fragte er uns, „was hält man im Schweizer Land von dem
Luther? "

„Mein Herr, es sind, wie allenthalben, mancherlei Meinungen. Manche
können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit
durch ihn geoffenbart und die Irrthümer zu erkennen gegeben hat, manche
aber verdammen ihn als einen verruchten Ketzer und vor andern die Geistlichen."

Da sprach er: „Ich denke mirs wol, es sind die Pfaffen."

Unter solchem Gespräch ward er uns gar heimlich, so daß mein Gesell
das Bündel, das vor ihm lag, aushob und sperrte es auf. Es war ein hebräi¬
scher Psalter. Da legte er es schnell wieder hin und der Reiter nahm es zu
sich. Und mein Gesell sprach: „Ich wollte einen Finger voll der Hand her¬
geben, daß ich diese Sprache verstünde." Antwortete er: „Ihr werdet sie wol
begreifen, wenn ihr anders Fleiß anwendet; auch ich begehre sie weiter zu
erlernen und übe mich täglich darin."


Grenzboten. II. 49
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[0393] Wir sagten: „Wir haben Briefe ein sie." Da frugen wir ihn wieder: „Mein Herr, wißt ihr uns nicht zu bescheiden, ob Martinus Luther jetzt zu Wittenberg oder an welchem Ort er sonst sei?" Antwortete er: „Ich habe gewisse Kundschaft, daß der Luther jetzt nicht zu Wittenberg 'ist; er wird aber bald dahin kommen. Philippus Melanchthon aber ist da, er lehrt die griechische Sprache, so auch andre die hebräische lehren. In Treue will ich euch rathen, beide zu studiren; denn sie sind nothwendig, die heilige Schrift zu versteht!." Sprachen wir: „Gott sei gelobt! Denn (so Gott unser Leben fristet), wollen wir nicht ablassen, bis wir den Mann sehen und hören; denn seinetwegen haben wir diese Fahrt unternommen, da wir vernahmen, daß er das Priesterthum sammt der Messe als einen un¬ gegründeten Gottesdienst umstoßen will. Dieweil wir von Jugend auf von unsern Eltern dazu gezogen und bestimmt sind, Priester zu werden, wollen wir gern hören, was er uns für einen Unterricht geben wird und mit welchem Fug er solchen Vorsatz zu Wege bringen will." Nach solchen Worten fragte er: „Wo habt ihr bis jetzt studirt?" — Antwort: „Zu Basel". — Da sagteer: „Wie steht es zu Basel? ist Eras- mus Roterdamus noch» daselbst, was thut er?" „Mein Herr", sprachen wir: „Wir wissen nicht anders, als daß es wol steht; auch ist Erasmus da; was er aber treibe, ist jedermann unbekannt und verborgen, da er sich gar still und heimlich verhält." Diese Reden kamen uns gar fremd an dem Reiter vor; daß er von beiden Schurpsen, von Philipps und Erasmo, desgleichen von der Erforderniß beider, der griechischen und hebräischen Zunge zu reden wußte. Zudem sprach er dazwischen etliche lateinische Worte, so daß uns bedünken wollte, er sei eine andre Person, als ein gemeiner Reiter. „Lieber," fragte er uns, „was hält man im Schweizer Land von dem Luther? " „Mein Herr, es sind, wie allenthalben, mancherlei Meinungen. Manche können ihn nicht genugsam erheben und Gott danken, daß er seine Wahrheit durch ihn geoffenbart und die Irrthümer zu erkennen gegeben hat, manche aber verdammen ihn als einen verruchten Ketzer und vor andern die Geistlichen." Da sprach er: „Ich denke mirs wol, es sind die Pfaffen." Unter solchem Gespräch ward er uns gar heimlich, so daß mein Gesell das Bündel, das vor ihm lag, aushob und sperrte es auf. Es war ein hebräi¬ scher Psalter. Da legte er es schnell wieder hin und der Reiter nahm es zu sich. Und mein Gesell sprach: „Ich wollte einen Finger voll der Hand her¬ geben, daß ich diese Sprache verstünde." Antwortete er: „Ihr werdet sie wol begreifen, wenn ihr anders Fleiß anwendet; auch ich begehre sie weiter zu erlernen und übe mich täglich darin." Grenzboten. II. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/393>, abgerufen am 22.07.2024.