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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Unterdeß ging der Tag ganz hinunter und es wurde sehr dunkel, bis der
Wirth an den Tisch kam. Als er unser hoch Verlangen und Begierde nach dem
M. Luther vernommen, sprach er: "Liebe Gesellen, wäret ihr vor zwei Tagen hier
gewesen, so wär es euch gelungen; denn hier an dem Tisch hat er gesessen und"
-- er zeigte mit dem Finger -- "an der Stelle." Das verdroß uns sehr und
zürnten, daß wir uns versäumt hatten, ließen den Zorn an dem kothigen und
schlechten Weg aus, der uns verhindert hatte. Doch sprachen wir: "Nun
freuet uns doch, daß wir in dem Haus und an dem Tisch sitzen, wo er saß.
Darüber mußte der Wirth lachen und ging so zur Thür hinaus.

Nach einer kleinen Weil ruft mich der Wirth, ich soll vor die Stubenthür
zu ihm herauskommen. Ich erschrak und dachte bei mir, was ich Unschickliches
gethan, oder was mir ohne meine Schuld verarge würde.

Da sprach der Wirth zu mir: "Dieweil ich erkenne, daß ihr den Luther
zu hören und sehen begehrt; -- der ists, der bei euch sitzet."

Diese Worte nahm ich für Spott und sprach: "Ja, Herr Wirth, ihr wollt
mich gern foppen und meine Begier durch des Luthers Trugbild ersättigen."
Er antwortet: "Er ist eS gewißlich. Doch thue nicht, als ob du ihn dafür
hattest und erkennst." Ich ließ dem Wirth Recht, ich konnt es aber nit glau¬
ben. Ich ging wieder in die Stube, setzte mich wieder zu dem Tisch und hätte
es doch gern meinem Gesellen gesagt, was mir der Wirth eröffnet hatte. End¬
lich warte ich mich zu ihm und raunte heimlich: "Der Wirth hat mir gesagt,
der sei der Lucher." Er wollt es auch, wie ich, nicht gleich glauben und sprach:
"Er hat vielleicht gesagt, es sei der Hütten, und du haft ihn nicht recht ver¬
standen." -- Weil mich nun die Neiterkleidung und Geberde mehr an den
Hütten, denn als den Luther, als einen Mönch, gemähnten, ließ ich mich be¬
reden, er hätte gesprochen, "es ist der Hütten", da die Anfänge beider Namen
schier zusammenklingen. Was ich deshalb ferner redete, geschah so, als ob ich
mit Herrn Huldrich ab Hütten, Ritter, redete.

Während alle dem kamen zwei Kaufleute, die auch allda über Nacht blei¬
ben wollten, und nachdem sie 'sich entkleidet und entspornt, legte einer neben
sich ein uneingebundenes Buch. Da fragte "Martinus", was das für ein
Buch wäre, er sprach: "Es ist Doctor Luthers Auslegung etlicher Evangelien
und Episteln; erst neu gedruckt und ausgegangen, habt ihr die nie gesehen?"
Sprach'Martinus: "sie werden mir auch bald zukommen. Da sprach der Wirth:
"nun verfügt euch zum Tisch, wir wollen essen;" wir aber sprächen und baten
den Wirth, er möchte mit-uns Nachsicht haben und uns Etwas besonders ge¬
ben. Da sprach der Wirth: "Liebe Gesellen, setzt euch nur zu den Herren an
den Tisch, ich will euch anständig halten. Da das Martinus hörte, sprach er:
^,Kommt herzu, ich will die Zehrung mit dem Wirth schon abmachen."

Unter dem Essen sprach Martinus viel gottselige, freundliche Reden, daß


Unterdeß ging der Tag ganz hinunter und es wurde sehr dunkel, bis der
Wirth an den Tisch kam. Als er unser hoch Verlangen und Begierde nach dem
M. Luther vernommen, sprach er: „Liebe Gesellen, wäret ihr vor zwei Tagen hier
gewesen, so wär es euch gelungen; denn hier an dem Tisch hat er gesessen und"
— er zeigte mit dem Finger — „an der Stelle." Das verdroß uns sehr und
zürnten, daß wir uns versäumt hatten, ließen den Zorn an dem kothigen und
schlechten Weg aus, der uns verhindert hatte. Doch sprachen wir: „Nun
freuet uns doch, daß wir in dem Haus und an dem Tisch sitzen, wo er saß.
Darüber mußte der Wirth lachen und ging so zur Thür hinaus.

Nach einer kleinen Weil ruft mich der Wirth, ich soll vor die Stubenthür
zu ihm herauskommen. Ich erschrak und dachte bei mir, was ich Unschickliches
gethan, oder was mir ohne meine Schuld verarge würde.

Da sprach der Wirth zu mir: „Dieweil ich erkenne, daß ihr den Luther
zu hören und sehen begehrt; — der ists, der bei euch sitzet."

Diese Worte nahm ich für Spott und sprach: „Ja, Herr Wirth, ihr wollt
mich gern foppen und meine Begier durch des Luthers Trugbild ersättigen."
Er antwortet: „Er ist eS gewißlich. Doch thue nicht, als ob du ihn dafür
hattest und erkennst." Ich ließ dem Wirth Recht, ich konnt es aber nit glau¬
ben. Ich ging wieder in die Stube, setzte mich wieder zu dem Tisch und hätte
es doch gern meinem Gesellen gesagt, was mir der Wirth eröffnet hatte. End¬
lich warte ich mich zu ihm und raunte heimlich: „Der Wirth hat mir gesagt,
der sei der Lucher." Er wollt es auch, wie ich, nicht gleich glauben und sprach:
„Er hat vielleicht gesagt, es sei der Hütten, und du haft ihn nicht recht ver¬
standen." — Weil mich nun die Neiterkleidung und Geberde mehr an den
Hütten, denn als den Luther, als einen Mönch, gemähnten, ließ ich mich be¬
reden, er hätte gesprochen, „es ist der Hütten", da die Anfänge beider Namen
schier zusammenklingen. Was ich deshalb ferner redete, geschah so, als ob ich
mit Herrn Huldrich ab Hütten, Ritter, redete.

Während alle dem kamen zwei Kaufleute, die auch allda über Nacht blei¬
ben wollten, und nachdem sie 'sich entkleidet und entspornt, legte einer neben
sich ein uneingebundenes Buch. Da fragte „Martinus", was das für ein
Buch wäre, er sprach: „Es ist Doctor Luthers Auslegung etlicher Evangelien
und Episteln; erst neu gedruckt und ausgegangen, habt ihr die nie gesehen?"
Sprach'Martinus: „sie werden mir auch bald zukommen. Da sprach der Wirth:
„nun verfügt euch zum Tisch, wir wollen essen;" wir aber sprächen und baten
den Wirth, er möchte mit-uns Nachsicht haben und uns Etwas besonders ge¬
ben. Da sprach der Wirth: „Liebe Gesellen, setzt euch nur zu den Herren an
den Tisch, ich will euch anständig halten. Da das Martinus hörte, sprach er:
^,Kommt herzu, ich will die Zehrung mit dem Wirth schon abmachen."

Unter dem Essen sprach Martinus viel gottselige, freundliche Reden, daß


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[0394] Unterdeß ging der Tag ganz hinunter und es wurde sehr dunkel, bis der Wirth an den Tisch kam. Als er unser hoch Verlangen und Begierde nach dem M. Luther vernommen, sprach er: „Liebe Gesellen, wäret ihr vor zwei Tagen hier gewesen, so wär es euch gelungen; denn hier an dem Tisch hat er gesessen und" — er zeigte mit dem Finger — „an der Stelle." Das verdroß uns sehr und zürnten, daß wir uns versäumt hatten, ließen den Zorn an dem kothigen und schlechten Weg aus, der uns verhindert hatte. Doch sprachen wir: „Nun freuet uns doch, daß wir in dem Haus und an dem Tisch sitzen, wo er saß. Darüber mußte der Wirth lachen und ging so zur Thür hinaus. Nach einer kleinen Weil ruft mich der Wirth, ich soll vor die Stubenthür zu ihm herauskommen. Ich erschrak und dachte bei mir, was ich Unschickliches gethan, oder was mir ohne meine Schuld verarge würde. Da sprach der Wirth zu mir: „Dieweil ich erkenne, daß ihr den Luther zu hören und sehen begehrt; — der ists, der bei euch sitzet." Diese Worte nahm ich für Spott und sprach: „Ja, Herr Wirth, ihr wollt mich gern foppen und meine Begier durch des Luthers Trugbild ersättigen." Er antwortet: „Er ist eS gewißlich. Doch thue nicht, als ob du ihn dafür hattest und erkennst." Ich ließ dem Wirth Recht, ich konnt es aber nit glau¬ ben. Ich ging wieder in die Stube, setzte mich wieder zu dem Tisch und hätte es doch gern meinem Gesellen gesagt, was mir der Wirth eröffnet hatte. End¬ lich warte ich mich zu ihm und raunte heimlich: „Der Wirth hat mir gesagt, der sei der Lucher." Er wollt es auch, wie ich, nicht gleich glauben und sprach: „Er hat vielleicht gesagt, es sei der Hütten, und du haft ihn nicht recht ver¬ standen." — Weil mich nun die Neiterkleidung und Geberde mehr an den Hütten, denn als den Luther, als einen Mönch, gemähnten, ließ ich mich be¬ reden, er hätte gesprochen, „es ist der Hütten", da die Anfänge beider Namen schier zusammenklingen. Was ich deshalb ferner redete, geschah so, als ob ich mit Herrn Huldrich ab Hütten, Ritter, redete. Während alle dem kamen zwei Kaufleute, die auch allda über Nacht blei¬ ben wollten, und nachdem sie 'sich entkleidet und entspornt, legte einer neben sich ein uneingebundenes Buch. Da fragte „Martinus", was das für ein Buch wäre, er sprach: „Es ist Doctor Luthers Auslegung etlicher Evangelien und Episteln; erst neu gedruckt und ausgegangen, habt ihr die nie gesehen?" Sprach'Martinus: „sie werden mir auch bald zukommen. Da sprach der Wirth: „nun verfügt euch zum Tisch, wir wollen essen;" wir aber sprächen und baten den Wirth, er möchte mit-uns Nachsicht haben und uns Etwas besonders ge¬ ben. Da sprach der Wirth: „Liebe Gesellen, setzt euch nur zu den Herren an den Tisch, ich will euch anständig halten. Da das Martinus hörte, sprach er: ^,Kommt herzu, ich will die Zehrung mit dem Wirth schon abmachen." Unter dem Essen sprach Martinus viel gottselige, freundliche Reden, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/394>, abgerufen am 22.07.2024.