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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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für. die Pilger und Fremdlinge trägt. Da haben wir uns aus der Slave
wieder herausgewandt, um weiter zu gehen, ob wir ein Dorf erreichten, wo
man uns doch beherbergen wollte. Indem begegnete uns unter dem Thor ein
ehrbarer Mann, sprach freundlich zu uns und fragte, wo wir doch so spät
hinwollten, da wir in keiner Nähe weder Haus noch Hos, wo man uns be¬
hielte, vor finstrer Nacht erreichen würoen. Zudem sei es ein Weg, leicht zu
fehlen und sich zu verirren; deshalb wolle er uns rathen, allhier zu bleiben.

Wir antworteten: "Lieber Vater, wir sind bei allen Wirthshäusern ge¬
wesen, wohin man uns hin und her gewiesen hat, allenthalben aber hat man
uns abgewiesen und Herberge versagt; müssen also aus Noth fürbaß ziehn."
Da sprach er, ob wir auch im Wirthshaus zum schwarzen Bar gefragt hätten?
Da sprachen wir: ,,Es ist uns nie vorgekommen: Lieber, sagt, wo finden
wir dies?" Da zeigte ers uns ein wenig vor der Stadt. Und als wir den
schwarzen Bär sahen, siehe, wie uns vorher alle Wirthe Herberge abgeschlagen
hallen, so kam hier der Wirth unter tue Thür, empfing uns und erbot und
selbst gutwillig uns zu beherbergen und führte uns in die Stube.

Dort fanden wir einen Mann allein am Tisch sitzen und vor ihm lag ein
Bündel; er grüßte uns freundlich, hieß uns näher kommen und zu sich an den
Tisch setzen. Denn unsre Schuhe waren -- hier mit Verlaub zu schreiben --
so voll Koth und Schmuz, daß wir aus Scham über die Kothflecken nicht fröh¬
lich in die Stube eintreten konnten, und drückten uns heimlich bei der Thür
auf ein Bänkli nieder. Da bot er uns zu trinken, was wir ihm nicht ab¬
schlagen konnten. Als wir so seine Freundlichkeit und Herzlichkeit erkannten,
setzten wir uns zu ihm, wie er geheißen, an seinen Tisch, ließen ein Maß
Wein auftragen, damit wir der Ehre wegen wiederum auch ihm zu trinken
böten. Wir vermeinten aber nicht anders, als es wäre ein Reiter, der nach
Landsgewohnheit da saß, in einem rothen Ueberjäckel, in Hosen und Wamms,
ohne Rüstung ein Schwert an der Seite, die rechte Hand auf des Schwertes
Knopf, mit der andern das Heft umfassend. (Seine Augen waren schwarz
und tief, blitzend und funkelnd wie ein Stern, so daß sie nicht wol mochten
angesehen werden.")

Bald fing er an zu fragen, von wannen wir gebürtig wären. Doch gab
er sich selbst Antwort: "Ihr seid Schweizer. Woher seid ihr aus dem
Schweizerland?" Wir antworteten: "Von Se. Gallen." -- Da sprach er:
"Wollt ihr von hier, wie ich höre, nach Wittenberg, so findet ihr dort
gute Landsleut, nämlich Doctor Hieronymum Schurpf und seinen Bruder
Doctor Augustin."



*) Das Eingeklammerte steht im Original einige Seiten später, bei einer spätern Be¬
schreibung des Rettermanns. Vergl. Johann Keßler von I. Z. Bernet. S. t<.

für. die Pilger und Fremdlinge trägt. Da haben wir uns aus der Slave
wieder herausgewandt, um weiter zu gehen, ob wir ein Dorf erreichten, wo
man uns doch beherbergen wollte. Indem begegnete uns unter dem Thor ein
ehrbarer Mann, sprach freundlich zu uns und fragte, wo wir doch so spät
hinwollten, da wir in keiner Nähe weder Haus noch Hos, wo man uns be¬
hielte, vor finstrer Nacht erreichen würoen. Zudem sei es ein Weg, leicht zu
fehlen und sich zu verirren; deshalb wolle er uns rathen, allhier zu bleiben.

Wir antworteten: „Lieber Vater, wir sind bei allen Wirthshäusern ge¬
wesen, wohin man uns hin und her gewiesen hat, allenthalben aber hat man
uns abgewiesen und Herberge versagt; müssen also aus Noth fürbaß ziehn."
Da sprach er, ob wir auch im Wirthshaus zum schwarzen Bar gefragt hätten?
Da sprachen wir: ,,Es ist uns nie vorgekommen: Lieber, sagt, wo finden
wir dies?" Da zeigte ers uns ein wenig vor der Stadt. Und als wir den
schwarzen Bär sahen, siehe, wie uns vorher alle Wirthe Herberge abgeschlagen
hallen, so kam hier der Wirth unter tue Thür, empfing uns und erbot und
selbst gutwillig uns zu beherbergen und führte uns in die Stube.

Dort fanden wir einen Mann allein am Tisch sitzen und vor ihm lag ein
Bündel; er grüßte uns freundlich, hieß uns näher kommen und zu sich an den
Tisch setzen. Denn unsre Schuhe waren — hier mit Verlaub zu schreiben —
so voll Koth und Schmuz, daß wir aus Scham über die Kothflecken nicht fröh¬
lich in die Stube eintreten konnten, und drückten uns heimlich bei der Thür
auf ein Bänkli nieder. Da bot er uns zu trinken, was wir ihm nicht ab¬
schlagen konnten. Als wir so seine Freundlichkeit und Herzlichkeit erkannten,
setzten wir uns zu ihm, wie er geheißen, an seinen Tisch, ließen ein Maß
Wein auftragen, damit wir der Ehre wegen wiederum auch ihm zu trinken
böten. Wir vermeinten aber nicht anders, als es wäre ein Reiter, der nach
Landsgewohnheit da saß, in einem rothen Ueberjäckel, in Hosen und Wamms,
ohne Rüstung ein Schwert an der Seite, die rechte Hand auf des Schwertes
Knopf, mit der andern das Heft umfassend. (Seine Augen waren schwarz
und tief, blitzend und funkelnd wie ein Stern, so daß sie nicht wol mochten
angesehen werden.")

Bald fing er an zu fragen, von wannen wir gebürtig wären. Doch gab
er sich selbst Antwort: „Ihr seid Schweizer. Woher seid ihr aus dem
Schweizerland?" Wir antworteten: „Von Se. Gallen." — Da sprach er:
„Wollt ihr von hier, wie ich höre, nach Wittenberg, so findet ihr dort
gute Landsleut, nämlich Doctor Hieronymum Schurpf und seinen Bruder
Doctor Augustin."



*) Das Eingeklammerte steht im Original einige Seiten später, bei einer spätern Be¬
schreibung des Rettermanns. Vergl. Johann Keßler von I. Z. Bernet. S. t<.
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[0392] für. die Pilger und Fremdlinge trägt. Da haben wir uns aus der Slave wieder herausgewandt, um weiter zu gehen, ob wir ein Dorf erreichten, wo man uns doch beherbergen wollte. Indem begegnete uns unter dem Thor ein ehrbarer Mann, sprach freundlich zu uns und fragte, wo wir doch so spät hinwollten, da wir in keiner Nähe weder Haus noch Hos, wo man uns be¬ hielte, vor finstrer Nacht erreichen würoen. Zudem sei es ein Weg, leicht zu fehlen und sich zu verirren; deshalb wolle er uns rathen, allhier zu bleiben. Wir antworteten: „Lieber Vater, wir sind bei allen Wirthshäusern ge¬ wesen, wohin man uns hin und her gewiesen hat, allenthalben aber hat man uns abgewiesen und Herberge versagt; müssen also aus Noth fürbaß ziehn." Da sprach er, ob wir auch im Wirthshaus zum schwarzen Bar gefragt hätten? Da sprachen wir: ,,Es ist uns nie vorgekommen: Lieber, sagt, wo finden wir dies?" Da zeigte ers uns ein wenig vor der Stadt. Und als wir den schwarzen Bär sahen, siehe, wie uns vorher alle Wirthe Herberge abgeschlagen hallen, so kam hier der Wirth unter tue Thür, empfing uns und erbot und selbst gutwillig uns zu beherbergen und führte uns in die Stube. Dort fanden wir einen Mann allein am Tisch sitzen und vor ihm lag ein Bündel; er grüßte uns freundlich, hieß uns näher kommen und zu sich an den Tisch setzen. Denn unsre Schuhe waren — hier mit Verlaub zu schreiben — so voll Koth und Schmuz, daß wir aus Scham über die Kothflecken nicht fröh¬ lich in die Stube eintreten konnten, und drückten uns heimlich bei der Thür auf ein Bänkli nieder. Da bot er uns zu trinken, was wir ihm nicht ab¬ schlagen konnten. Als wir so seine Freundlichkeit und Herzlichkeit erkannten, setzten wir uns zu ihm, wie er geheißen, an seinen Tisch, ließen ein Maß Wein auftragen, damit wir der Ehre wegen wiederum auch ihm zu trinken böten. Wir vermeinten aber nicht anders, als es wäre ein Reiter, der nach Landsgewohnheit da saß, in einem rothen Ueberjäckel, in Hosen und Wamms, ohne Rüstung ein Schwert an der Seite, die rechte Hand auf des Schwertes Knopf, mit der andern das Heft umfassend. (Seine Augen waren schwarz und tief, blitzend und funkelnd wie ein Stern, so daß sie nicht wol mochten angesehen werden.") Bald fing er an zu fragen, von wannen wir gebürtig wären. Doch gab er sich selbst Antwort: „Ihr seid Schweizer. Woher seid ihr aus dem Schweizerland?" Wir antworteten: „Von Se. Gallen." — Da sprach er: „Wollt ihr von hier, wie ich höre, nach Wittenberg, so findet ihr dort gute Landsleut, nämlich Doctor Hieronymum Schurpf und seinen Bruder Doctor Augustin." *) Das Eingeklammerte steht im Original einige Seiten später, bei einer spätern Be¬ schreibung des Rettermanns. Vergl. Johann Keßler von I. Z. Bernet. S. t<.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/392>, abgerufen am 03.07.2024.