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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ten Unrichtigkeit des Resultates die Methode einer neuen Prüfung unterziehen
müsse, umsomehr, da man um ihrer Anwendung willen bisher alle natürlichen
Gefühle der Menschheit habe verleugnen müssen..

Und so verhält es sich in der That. Jene Philosophen haben als eine
Tugend des französischen Volks ausgegeben, was eine handgreifliche Schwäche
wor, nämlich die Neigung, das augenblicklich Zweckmäßige an Stelle deS Sitt¬
lichen zu setzen; eine Schwäche, die sich sowol in den Helden des Absolutis¬
muszeigt, als in dem Volke, daS ihn sich gefallen ließ. Wenn wir Männer wie
Ludwig XI. und Richelieu wegen ihrer Gewaltthaten loben und preisen, so ver¬
letzen wir damit nicht blos unser natürliches Gefühl und unser Gewissen, son¬
dern wir begehen auch einem Irrthum des Verstandes, denn wir schieben den
Wirkungen falsche Ursachen unter und es ist um so zweckmäßiger, diesen wüsten
Slbstractionen einmal den gesunden Menschenverstand entgegenzuhalten, da sie
von den Philosophen zu den Belletristen übergegangen sind, die nun wetteifern
aus Richelieu und Seinesgleichen Helden und Halbgötter zu machen.

Was uns in jener Abhandlung noch weiter erfreut hat, ist die klar aus¬
gesprochene Ansicht, daß der Protestantismus der innere Kern der freien bürger¬
lichen Staatsentwicklung sei, sowol nach seinem sittlichen Inhalt, als nach
seiner religiösen Form. Wenn diese Ueberzeugung sich in Frankreich weiter
verbreiten wird, so wird zwar keine confessionelle Umwandlung daraus hervor¬
gehen, wol aber eine Richtung aller Kräfte auf einen Kampf gegen dasjenige,
was wirklich zu bekämpfen ist.




Neupreußische Politik.

In den neuesten Verhandlungen der zweiten Kammer über die weitere
Creditbewilligung tritt neben der sonderbaren Einleitung und dem beklagens-
werthen Schluß vor allem die Rede des Ministerpräsidenten hervor. Herr
von Manteuffel hat sich dies Mal ausführlicher ausgesprochen, als gewöhnlich,
und so entschieden wir dem Inhalt nach auf Seite seiner Gegner treten, so
können wir uns doch nicht erwehren, in Bezug auf die Form so manches
>n seiner Rede zu billigen und es unsern politischen Freunden als Richtschnur
vorzuhalten. Zu unsern politischen Freunden im weiteren Sinne rechnen wir
auch Herrn von Auerswald, dessen wahrhaft antediluvianische Anschauungen über
das Verhältniß von König und Kammer uns mit Staunen und Verwunderung
erfüllt hat. So herzlich gern wir das Verdienst der Männer, die zuerst im ver¬
einigten Landtag die Sache des Liberalismus vertraten, anerkennen wollen, so
"nisten wir doch den Wunsch aussprechen, daß diejenigen, die noch ganz auf dem


ten Unrichtigkeit des Resultates die Methode einer neuen Prüfung unterziehen
müsse, umsomehr, da man um ihrer Anwendung willen bisher alle natürlichen
Gefühle der Menschheit habe verleugnen müssen..

Und so verhält es sich in der That. Jene Philosophen haben als eine
Tugend des französischen Volks ausgegeben, was eine handgreifliche Schwäche
wor, nämlich die Neigung, das augenblicklich Zweckmäßige an Stelle deS Sitt¬
lichen zu setzen; eine Schwäche, die sich sowol in den Helden des Absolutis¬
muszeigt, als in dem Volke, daS ihn sich gefallen ließ. Wenn wir Männer wie
Ludwig XI. und Richelieu wegen ihrer Gewaltthaten loben und preisen, so ver¬
letzen wir damit nicht blos unser natürliches Gefühl und unser Gewissen, son¬
dern wir begehen auch einem Irrthum des Verstandes, denn wir schieben den
Wirkungen falsche Ursachen unter und es ist um so zweckmäßiger, diesen wüsten
Slbstractionen einmal den gesunden Menschenverstand entgegenzuhalten, da sie
von den Philosophen zu den Belletristen übergegangen sind, die nun wetteifern
aus Richelieu und Seinesgleichen Helden und Halbgötter zu machen.

Was uns in jener Abhandlung noch weiter erfreut hat, ist die klar aus¬
gesprochene Ansicht, daß der Protestantismus der innere Kern der freien bürger¬
lichen Staatsentwicklung sei, sowol nach seinem sittlichen Inhalt, als nach
seiner religiösen Form. Wenn diese Ueberzeugung sich in Frankreich weiter
verbreiten wird, so wird zwar keine confessionelle Umwandlung daraus hervor¬
gehen, wol aber eine Richtung aller Kräfte auf einen Kampf gegen dasjenige,
was wirklich zu bekämpfen ist.




Neupreußische Politik.

In den neuesten Verhandlungen der zweiten Kammer über die weitere
Creditbewilligung tritt neben der sonderbaren Einleitung und dem beklagens-
werthen Schluß vor allem die Rede des Ministerpräsidenten hervor. Herr
von Manteuffel hat sich dies Mal ausführlicher ausgesprochen, als gewöhnlich,
und so entschieden wir dem Inhalt nach auf Seite seiner Gegner treten, so
können wir uns doch nicht erwehren, in Bezug auf die Form so manches
>n seiner Rede zu billigen und es unsern politischen Freunden als Richtschnur
vorzuhalten. Zu unsern politischen Freunden im weiteren Sinne rechnen wir
auch Herrn von Auerswald, dessen wahrhaft antediluvianische Anschauungen über
das Verhältniß von König und Kammer uns mit Staunen und Verwunderung
erfüllt hat. So herzlich gern wir das Verdienst der Männer, die zuerst im ver¬
einigten Landtag die Sache des Liberalismus vertraten, anerkennen wollen, so
»nisten wir doch den Wunsch aussprechen, daß diejenigen, die noch ganz auf dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/39>, abgerufen am 01.07.2024.