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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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staatsmännischer gehaltene, vor, mit Kraft jedermann" in den Schranken
seines Standes zu halten, innerhalb deren er zum Besten des Staates
oder der im Genuß seiner meisten Bordseite befindlichen Minderzahl verwen¬
det werden kann.

Aber nicht das Material allein, welches den Lehrstoff ausmachen soll,
ziehen die Regulative beschränkend in Betracht; sie äußern sich auch bestimmend
über die Form der Ueberlieferung. Hauptsächlich durch die Wirksamkeit Diester-
wegs hatte sich in den Seminarien und den von ihren Zöglingen geleiteten
Elementarschulen eine dialektische Kunst des Unterrichts, schlechthin "die Methode"
genannt, herausgestellt, welche fast ein geringeres Gewicht auf die erworbene
Kenntniß legend zur Hauptsache die Denkfertigkeit machte, welche im Stande
ist, das nöthige Resultat sich in jedem Augenblick selbst zu entwickeln. Ihrem
Wesen nach war diese Methode ein fertiges Schema der Fragestellungskunst,
das man an den jedesmaligen Gegenstand anlegte, anstatt naturgemäß aus
der gediegenen und selbstbeherrschenden Kenntniß des Gegenstandes die jedes¬
malige Methode hervorgehen zu lassen; in ihrem Erfolge leistete sie der inhalts¬
leeren Arts.eilsvorschnelligkeit Vorschub. Im Gegensatz dazu legen die Regulative
den Hauptaecent an.f den Lehrstoff an sich und das historische Wissen des
Resultats; allerdings wollen auch sie die Entwicklung z. B. im Rechenunter-
richt und verlangen, daß der Schüler sich der Gründe des Verfahrens bewußt
werde; aber andererseits warnen sie vor dem Sokratisiren; die Methode, sagen
sie, hat keinen Werth für sich; sie ist nur der Weg zum Ziel; sie verkennen
also die Wirksamkeit einer geschickten dialektischen Lehrweise für die formelle
Verstandesbildung und werfen die geistige Gymnastik, die Uebung des Denkver¬
mögens ganz über Bord, welche eine andere und frühere Richtung zu aus¬
schließlich und zu einseitig in allem Unterricht zu fördern uno zu pflegen ge¬
sucht hatte. Demnach geben sie dem akroamatischen Unterricht vor dem dia¬
logischen, der passiven Aufnahme des Ueberlieferten vor der selbstthätigen
Prüfung, der blinden Autorität des Worts über die einleuchtende Ueberzeugung
eignen Denkens das Übergewicht.

Und das ist schade; denn die letztere Unterrichtsweise gibt dem Zögling
eine gar nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit mit, sich überall selbst zu
helfen, während die erstere ihn in der Hilflosigkeit läßt. Aber -- Iliaoos muros
iatru, pseeatur et extra. Falsche Theorien, sagt Herr von Gerlach, muß man
mit den entgegengesetzten Theorien bekämpfen. Aber wenn der Gegensatz
von falsch auch wahr ist, so folgt daraus doch nicht, daß das Entgegen¬
gesetzte des Falschen immer das Wahre sein muß. Einer bestimmten und be¬
grenzten Naumgröße gegenüber zu behaupten, sie sei ein Unendliches, ist eben
so falsch, als das Gegentheil davon a.uszusprechen, sie sei ein Nichts. Aber
so scheint man hier, wie in andern Fällen, geschlossen zu haben. Man hatte


staatsmännischer gehaltene, vor, mit Kraft jedermann» in den Schranken
seines Standes zu halten, innerhalb deren er zum Besten des Staates
oder der im Genuß seiner meisten Bordseite befindlichen Minderzahl verwen¬
det werden kann.

Aber nicht das Material allein, welches den Lehrstoff ausmachen soll,
ziehen die Regulative beschränkend in Betracht; sie äußern sich auch bestimmend
über die Form der Ueberlieferung. Hauptsächlich durch die Wirksamkeit Diester-
wegs hatte sich in den Seminarien und den von ihren Zöglingen geleiteten
Elementarschulen eine dialektische Kunst des Unterrichts, schlechthin „die Methode"
genannt, herausgestellt, welche fast ein geringeres Gewicht auf die erworbene
Kenntniß legend zur Hauptsache die Denkfertigkeit machte, welche im Stande
ist, das nöthige Resultat sich in jedem Augenblick selbst zu entwickeln. Ihrem
Wesen nach war diese Methode ein fertiges Schema der Fragestellungskunst,
das man an den jedesmaligen Gegenstand anlegte, anstatt naturgemäß aus
der gediegenen und selbstbeherrschenden Kenntniß des Gegenstandes die jedes¬
malige Methode hervorgehen zu lassen; in ihrem Erfolge leistete sie der inhalts¬
leeren Arts.eilsvorschnelligkeit Vorschub. Im Gegensatz dazu legen die Regulative
den Hauptaecent an.f den Lehrstoff an sich und das historische Wissen des
Resultats; allerdings wollen auch sie die Entwicklung z. B. im Rechenunter-
richt und verlangen, daß der Schüler sich der Gründe des Verfahrens bewußt
werde; aber andererseits warnen sie vor dem Sokratisiren; die Methode, sagen
sie, hat keinen Werth für sich; sie ist nur der Weg zum Ziel; sie verkennen
also die Wirksamkeit einer geschickten dialektischen Lehrweise für die formelle
Verstandesbildung und werfen die geistige Gymnastik, die Uebung des Denkver¬
mögens ganz über Bord, welche eine andere und frühere Richtung zu aus¬
schließlich und zu einseitig in allem Unterricht zu fördern uno zu pflegen ge¬
sucht hatte. Demnach geben sie dem akroamatischen Unterricht vor dem dia¬
logischen, der passiven Aufnahme des Ueberlieferten vor der selbstthätigen
Prüfung, der blinden Autorität des Worts über die einleuchtende Ueberzeugung
eignen Denkens das Übergewicht.

Und das ist schade; denn die letztere Unterrichtsweise gibt dem Zögling
eine gar nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit mit, sich überall selbst zu
helfen, während die erstere ihn in der Hilflosigkeit läßt. Aber — Iliaoos muros
iatru, pseeatur et extra. Falsche Theorien, sagt Herr von Gerlach, muß man
mit den entgegengesetzten Theorien bekämpfen. Aber wenn der Gegensatz
von falsch auch wahr ist, so folgt daraus doch nicht, daß das Entgegen¬
gesetzte des Falschen immer das Wahre sein muß. Einer bestimmten und be¬
grenzten Naumgröße gegenüber zu behaupten, sie sei ein Unendliches, ist eben
so falsch, als das Gegentheil davon a.uszusprechen, sie sei ein Nichts. Aber
so scheint man hier, wie in andern Fällen, geschlossen zu haben. Man hatte


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[0378] staatsmännischer gehaltene, vor, mit Kraft jedermann» in den Schranken seines Standes zu halten, innerhalb deren er zum Besten des Staates oder der im Genuß seiner meisten Bordseite befindlichen Minderzahl verwen¬ det werden kann. Aber nicht das Material allein, welches den Lehrstoff ausmachen soll, ziehen die Regulative beschränkend in Betracht; sie äußern sich auch bestimmend über die Form der Ueberlieferung. Hauptsächlich durch die Wirksamkeit Diester- wegs hatte sich in den Seminarien und den von ihren Zöglingen geleiteten Elementarschulen eine dialektische Kunst des Unterrichts, schlechthin „die Methode" genannt, herausgestellt, welche fast ein geringeres Gewicht auf die erworbene Kenntniß legend zur Hauptsache die Denkfertigkeit machte, welche im Stande ist, das nöthige Resultat sich in jedem Augenblick selbst zu entwickeln. Ihrem Wesen nach war diese Methode ein fertiges Schema der Fragestellungskunst, das man an den jedesmaligen Gegenstand anlegte, anstatt naturgemäß aus der gediegenen und selbstbeherrschenden Kenntniß des Gegenstandes die jedes¬ malige Methode hervorgehen zu lassen; in ihrem Erfolge leistete sie der inhalts¬ leeren Arts.eilsvorschnelligkeit Vorschub. Im Gegensatz dazu legen die Regulative den Hauptaecent an.f den Lehrstoff an sich und das historische Wissen des Resultats; allerdings wollen auch sie die Entwicklung z. B. im Rechenunter- richt und verlangen, daß der Schüler sich der Gründe des Verfahrens bewußt werde; aber andererseits warnen sie vor dem Sokratisiren; die Methode, sagen sie, hat keinen Werth für sich; sie ist nur der Weg zum Ziel; sie verkennen also die Wirksamkeit einer geschickten dialektischen Lehrweise für die formelle Verstandesbildung und werfen die geistige Gymnastik, die Uebung des Denkver¬ mögens ganz über Bord, welche eine andere und frühere Richtung zu aus¬ schließlich und zu einseitig in allem Unterricht zu fördern uno zu pflegen ge¬ sucht hatte. Demnach geben sie dem akroamatischen Unterricht vor dem dia¬ logischen, der passiven Aufnahme des Ueberlieferten vor der selbstthätigen Prüfung, der blinden Autorität des Worts über die einleuchtende Ueberzeugung eignen Denkens das Übergewicht. Und das ist schade; denn die letztere Unterrichtsweise gibt dem Zögling eine gar nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit mit, sich überall selbst zu helfen, während die erstere ihn in der Hilflosigkeit läßt. Aber — Iliaoos muros iatru, pseeatur et extra. Falsche Theorien, sagt Herr von Gerlach, muß man mit den entgegengesetzten Theorien bekämpfen. Aber wenn der Gegensatz von falsch auch wahr ist, so folgt daraus doch nicht, daß das Entgegen¬ gesetzte des Falschen immer das Wahre sein muß. Einer bestimmten und be¬ grenzten Naumgröße gegenüber zu behaupten, sie sei ein Unendliches, ist eben so falsch, als das Gegentheil davon a.uszusprechen, sie sei ein Nichts. Aber so scheint man hier, wie in andern Fällen, geschlossen zu haben. Man hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/378>, abgerufen am 22.07.2024.