Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

praktische Nutzen, Gottesfurcht, Liebe zum König und etwas Naturgenuß sind
die vier starken Mauern, hinter denen man den künstigen Volksschullehrer von
der ganzen übrigen Welt isoliren will. Es würde schwer scheinen , einen jun¬
gen Menschen, der vom 7. bis zum 20. oder 24. Jahre unterrichtet wird, auf
diesem Standpunkte festzuhalten, wenn nicht die große Zahl der auswendig zu
lernenden Bibel- und Gesangbuchverse es ermöglichte. In dieser Beziehung
hat man sich dem Unterrichtssystem der Druiden des alten Galliens genähert,
von denen Cäsar sagt, daß die jungen Leute, welche bei ihnen sich diesem
Stande widmen, eine große Zahl von Versen auswendig lernen und daß
sie einige zwanzig Jahre im Unterricht bleiben; ja man wird beim Nachschlagen
der angezognen Stelle im 6. Buche des gallischen Krieges finden, daß auch
die Unterrichtsgegenstände merkwürdig übereinstimmend sind.

Durch längere Zeit hatte man früher die Trennung der Volksschule voll
der Kirche verlangt. Daher hat man sich jetzt nicht damit begnügt, die Schule
in dem alten Verhältnisse ihrer Unterordnung unter die Geistlichkeit zu belassen,
sondern man übergibt die Leitung der Seminarien und den Unterricht an den¬
selben überwiegend den Theologen und es ist ferner die Einrichtung getroffen,
daß Landprediger ober auch Lehrer, welche eine gute Gesinnung haben, sich
mit der Vorbildung junger Leute zur Aufnahme in die Seminarien beschäfti¬
gen können. Diese sogenannten Präparandenanstalten sind es, auf welche die
Regulative vom 2. October sich besonders beziehen.

Auch in den Regulativen vom 3. October über die Volksschulen tritt die
Besorgnis) vor zu großer Allsbildung der untern VolkSclasseii hervor. Sie
tragen die Beschränkung des Lehrstoffs und der Lehrgegenstände offen an der
Stirn. Jemehr jemand gelernt hat, so ist der leitende Gedanke, desto größer
werden seine Ansprüche an das Leben; mit der Einengung seines Gesichtkreises
werden auch maßlose Wünsche vor dem Aufkeimen erstickt; je unwissender je¬
mand ist, um so besser weiß er sich zu bescheiden; je geringer seine eignen Ein¬
sichten, destomehr läßt er sich von den Ansichten andrer leiten. Die Regulative
bestimmen die Grenze, über welche im Unterricht nicht hinausgegangen werden
darf: Lesen, Schreiben, Rechnen, biblische Geschichte, Vaterlandskunde. Es ist
. dies alles, was in einer großen Zahl von Landschulen zu erreichen sein wird;
es ist zu wenig, wenn man sich sagen muß, daß aus diesem Standpunkt die
überwiegende Menge des Volks festgehalten werden soll. Der Maßstab einer
einclassigen Dorfschule ist im Allgemeinen als Norm für den Volksschulunter-
richt überhaupt hingestellt worden. Einst hatte unser Land den Ruf, daß es
am meisten und am weitesten für die Ausbildung der Gesammtheit des Volkes
sorge; auf diesen Ruhm verzichtet es jetzt: der Staat der Intelligenz resignirt
sich. Die stolze menschliche Aufgabe,' jedem Einzelnen eine möglichst große Aus¬
bildung zu gewähren, gibt Preußen aus; es nimmt sich eine andere, für


Grettzbomi, II. ->8so. 47

praktische Nutzen, Gottesfurcht, Liebe zum König und etwas Naturgenuß sind
die vier starken Mauern, hinter denen man den künstigen Volksschullehrer von
der ganzen übrigen Welt isoliren will. Es würde schwer scheinen , einen jun¬
gen Menschen, der vom 7. bis zum 20. oder 24. Jahre unterrichtet wird, auf
diesem Standpunkte festzuhalten, wenn nicht die große Zahl der auswendig zu
lernenden Bibel- und Gesangbuchverse es ermöglichte. In dieser Beziehung
hat man sich dem Unterrichtssystem der Druiden des alten Galliens genähert,
von denen Cäsar sagt, daß die jungen Leute, welche bei ihnen sich diesem
Stande widmen, eine große Zahl von Versen auswendig lernen und daß
sie einige zwanzig Jahre im Unterricht bleiben; ja man wird beim Nachschlagen
der angezognen Stelle im 6. Buche des gallischen Krieges finden, daß auch
die Unterrichtsgegenstände merkwürdig übereinstimmend sind.

Durch längere Zeit hatte man früher die Trennung der Volksschule voll
der Kirche verlangt. Daher hat man sich jetzt nicht damit begnügt, die Schule
in dem alten Verhältnisse ihrer Unterordnung unter die Geistlichkeit zu belassen,
sondern man übergibt die Leitung der Seminarien und den Unterricht an den¬
selben überwiegend den Theologen und es ist ferner die Einrichtung getroffen,
daß Landprediger ober auch Lehrer, welche eine gute Gesinnung haben, sich
mit der Vorbildung junger Leute zur Aufnahme in die Seminarien beschäfti¬
gen können. Diese sogenannten Präparandenanstalten sind es, auf welche die
Regulative vom 2. October sich besonders beziehen.

Auch in den Regulativen vom 3. October über die Volksschulen tritt die
Besorgnis) vor zu großer Allsbildung der untern VolkSclasseii hervor. Sie
tragen die Beschränkung des Lehrstoffs und der Lehrgegenstände offen an der
Stirn. Jemehr jemand gelernt hat, so ist der leitende Gedanke, desto größer
werden seine Ansprüche an das Leben; mit der Einengung seines Gesichtkreises
werden auch maßlose Wünsche vor dem Aufkeimen erstickt; je unwissender je¬
mand ist, um so besser weiß er sich zu bescheiden; je geringer seine eignen Ein¬
sichten, destomehr läßt er sich von den Ansichten andrer leiten. Die Regulative
bestimmen die Grenze, über welche im Unterricht nicht hinausgegangen werden
darf: Lesen, Schreiben, Rechnen, biblische Geschichte, Vaterlandskunde. Es ist
. dies alles, was in einer großen Zahl von Landschulen zu erreichen sein wird;
es ist zu wenig, wenn man sich sagen muß, daß aus diesem Standpunkt die
überwiegende Menge des Volks festgehalten werden soll. Der Maßstab einer
einclassigen Dorfschule ist im Allgemeinen als Norm für den Volksschulunter-
richt überhaupt hingestellt worden. Einst hatte unser Land den Ruf, daß es
am meisten und am weitesten für die Ausbildung der Gesammtheit des Volkes
sorge; auf diesen Ruhm verzichtet es jetzt: der Staat der Intelligenz resignirt
sich. Die stolze menschliche Aufgabe,' jedem Einzelnen eine möglichst große Aus¬
bildung zu gewähren, gibt Preußen aus; es nimmt sich eine andere, für


Grettzbomi, II. ->8so. 47
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99763"/>
          <p xml:id="ID_1271" prev="#ID_1270"> praktische Nutzen, Gottesfurcht, Liebe zum König und etwas Naturgenuß sind<lb/>
die vier starken Mauern, hinter denen man den künstigen Volksschullehrer von<lb/>
der ganzen übrigen Welt isoliren will. Es würde schwer scheinen , einen jun¬<lb/>
gen Menschen, der vom 7. bis zum 20. oder 24. Jahre unterrichtet wird, auf<lb/>
diesem Standpunkte festzuhalten, wenn nicht die große Zahl der auswendig zu<lb/>
lernenden Bibel- und Gesangbuchverse es ermöglichte. In dieser Beziehung<lb/>
hat man sich dem Unterrichtssystem der Druiden des alten Galliens genähert,<lb/>
von denen Cäsar sagt, daß die jungen Leute, welche bei ihnen sich diesem<lb/>
Stande widmen, eine große Zahl von Versen auswendig lernen und daß<lb/>
sie einige zwanzig Jahre im Unterricht bleiben; ja man wird beim Nachschlagen<lb/>
der angezognen Stelle im 6. Buche des gallischen Krieges finden, daß auch<lb/>
die Unterrichtsgegenstände merkwürdig übereinstimmend sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1272"> Durch längere Zeit hatte man früher die Trennung der Volksschule voll<lb/>
der Kirche verlangt. Daher hat man sich jetzt nicht damit begnügt, die Schule<lb/>
in dem alten Verhältnisse ihrer Unterordnung unter die Geistlichkeit zu belassen,<lb/>
sondern man übergibt die Leitung der Seminarien und den Unterricht an den¬<lb/>
selben überwiegend den Theologen und es ist ferner die Einrichtung getroffen,<lb/>
daß Landprediger ober auch Lehrer, welche eine gute Gesinnung haben, sich<lb/>
mit der Vorbildung junger Leute zur Aufnahme in die Seminarien beschäfti¬<lb/>
gen können. Diese sogenannten Präparandenanstalten sind es, auf welche die<lb/>
Regulative vom 2. October sich besonders beziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1273" next="#ID_1274"> Auch in den Regulativen vom 3. October über die Volksschulen tritt die<lb/>
Besorgnis) vor zu großer Allsbildung der untern VolkSclasseii hervor. Sie<lb/>
tragen die Beschränkung des Lehrstoffs und der Lehrgegenstände offen an der<lb/>
Stirn. Jemehr jemand gelernt hat, so ist der leitende Gedanke, desto größer<lb/>
werden seine Ansprüche an das Leben; mit der Einengung seines Gesichtkreises<lb/>
werden auch maßlose Wünsche vor dem Aufkeimen erstickt; je unwissender je¬<lb/>
mand ist, um so besser weiß er sich zu bescheiden; je geringer seine eignen Ein¬<lb/>
sichten, destomehr läßt er sich von den Ansichten andrer leiten. Die Regulative<lb/>
bestimmen die Grenze, über welche im Unterricht nicht hinausgegangen werden<lb/>
darf: Lesen, Schreiben, Rechnen, biblische Geschichte, Vaterlandskunde. Es ist<lb/>
. dies alles, was in einer großen Zahl von Landschulen zu erreichen sein wird;<lb/>
es ist zu wenig, wenn man sich sagen muß, daß aus diesem Standpunkt die<lb/>
überwiegende Menge des Volks festgehalten werden soll. Der Maßstab einer<lb/>
einclassigen Dorfschule ist im Allgemeinen als Norm für den Volksschulunter-<lb/>
richt überhaupt hingestellt worden. Einst hatte unser Land den Ruf, daß es<lb/>
am meisten und am weitesten für die Ausbildung der Gesammtheit des Volkes<lb/>
sorge; auf diesen Ruhm verzichtet es jetzt: der Staat der Intelligenz resignirt<lb/>
sich. Die stolze menschliche Aufgabe,' jedem Einzelnen eine möglichst große Aus¬<lb/>
bildung zu gewähren, gibt Preußen aus; es nimmt sich eine andere, für</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grettzbomi, II. -&gt;8so. 47</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0377] praktische Nutzen, Gottesfurcht, Liebe zum König und etwas Naturgenuß sind die vier starken Mauern, hinter denen man den künstigen Volksschullehrer von der ganzen übrigen Welt isoliren will. Es würde schwer scheinen , einen jun¬ gen Menschen, der vom 7. bis zum 20. oder 24. Jahre unterrichtet wird, auf diesem Standpunkte festzuhalten, wenn nicht die große Zahl der auswendig zu lernenden Bibel- und Gesangbuchverse es ermöglichte. In dieser Beziehung hat man sich dem Unterrichtssystem der Druiden des alten Galliens genähert, von denen Cäsar sagt, daß die jungen Leute, welche bei ihnen sich diesem Stande widmen, eine große Zahl von Versen auswendig lernen und daß sie einige zwanzig Jahre im Unterricht bleiben; ja man wird beim Nachschlagen der angezognen Stelle im 6. Buche des gallischen Krieges finden, daß auch die Unterrichtsgegenstände merkwürdig übereinstimmend sind. Durch längere Zeit hatte man früher die Trennung der Volksschule voll der Kirche verlangt. Daher hat man sich jetzt nicht damit begnügt, die Schule in dem alten Verhältnisse ihrer Unterordnung unter die Geistlichkeit zu belassen, sondern man übergibt die Leitung der Seminarien und den Unterricht an den¬ selben überwiegend den Theologen und es ist ferner die Einrichtung getroffen, daß Landprediger ober auch Lehrer, welche eine gute Gesinnung haben, sich mit der Vorbildung junger Leute zur Aufnahme in die Seminarien beschäfti¬ gen können. Diese sogenannten Präparandenanstalten sind es, auf welche die Regulative vom 2. October sich besonders beziehen. Auch in den Regulativen vom 3. October über die Volksschulen tritt die Besorgnis) vor zu großer Allsbildung der untern VolkSclasseii hervor. Sie tragen die Beschränkung des Lehrstoffs und der Lehrgegenstände offen an der Stirn. Jemehr jemand gelernt hat, so ist der leitende Gedanke, desto größer werden seine Ansprüche an das Leben; mit der Einengung seines Gesichtkreises werden auch maßlose Wünsche vor dem Aufkeimen erstickt; je unwissender je¬ mand ist, um so besser weiß er sich zu bescheiden; je geringer seine eignen Ein¬ sichten, destomehr läßt er sich von den Ansichten andrer leiten. Die Regulative bestimmen die Grenze, über welche im Unterricht nicht hinausgegangen werden darf: Lesen, Schreiben, Rechnen, biblische Geschichte, Vaterlandskunde. Es ist . dies alles, was in einer großen Zahl von Landschulen zu erreichen sein wird; es ist zu wenig, wenn man sich sagen muß, daß aus diesem Standpunkt die überwiegende Menge des Volks festgehalten werden soll. Der Maßstab einer einclassigen Dorfschule ist im Allgemeinen als Norm für den Volksschulunter- richt überhaupt hingestellt worden. Einst hatte unser Land den Ruf, daß es am meisten und am weitesten für die Ausbildung der Gesammtheit des Volkes sorge; auf diesen Ruhm verzichtet es jetzt: der Staat der Intelligenz resignirt sich. Die stolze menschliche Aufgabe,' jedem Einzelnen eine möglichst große Aus¬ bildung zu gewähren, gibt Preußen aus; es nimmt sich eine andere, für Grettzbomi, II. ->8so. 47

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/377
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/377>, abgerufen am 03.07.2024.