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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Haut an der heiligen Eiche aufhing und bei Umzügen auf eine Stange ge¬
steckt umhertnlg, das Fleisch aber verzehrte. Bei den neubekehrten Deutschen
blieb der Name "Roßschlächter" noch lange ein Schimpfwort für die Anhänger
des Heidenthums, Bei der Taufe mußten die Deutschen unter andern geloben,
dem Genusse des Pferdefleisches entsagen zu wollen. Alle Heidenbekehrer be¬
zeichnen diese Fleischspeise als heidnischen Greuel. Später wurde sogar Todes¬
strafe auf ihren Genuß gesetzt. In vielen mittelalterlichen Sagen kommen die
Pferdeschädel als Zeichen des Teufels vor. Dennoch kehrten sie bei den Volks¬
festen und auch sonst immer wieder, wenn auch das Bewußtsein über dieselben
völlig verloren gegangen war. In vielen Gegenden, zum Beispiel aus den
Bauerhöfen bei Hückeswageu im Westphälischen trifft man noch Pferdeköpfe an
den Firsten der Häuser und erfährt auf Befragen, daß sie vor Wetterschaden
und Krankheiten schützen sollen. In Sachsen wars man nach einer alten
Predigt Pferdeköpfe in die Johannisfeuer.

In den märkischen Dörfern auf der Südseite des Drömlings ziehen am
sogenannten weißen Sonntage die Pferde- und Ochsenjungen mit weißen
Stäben zur Weide und stecken mit diesen eine Stelle ab, auf welche bis
Pfingsten niemand sein Viel) treiben darf. In der Mitte dieses Platzes wird
in einigen Ortschaften eine Tanne aufgerichtet, deren Aeste mit'Knochen, her¬
beigeholt von denen, welche zum ersten Male hüten, besteckt werven, während
den Gipfel des Baumes ein Noßschädel ziert. Dieses seltsame Bauwerk heißt
der "Knochengalgen" und ist unzweifelhaft eine Erinnerung an jene Zeit heid¬
nischer Opfer, bei denen Thiere, Thierfelle und Thierköpfe an Bäumen auf¬
gehangen wurden. Nach Aufrichtung des Knochengalgens haben die kleinern
Jungen den größern "ihre Braut" zu nennen. Aber keiner darf den Namen
verrathen bis auf Pfingsten, wo die abgesteckte Weide (weil die heilige Zeit,
während welcher sie den Göttern geweiht war, vorüber ist?) wieder frei wird.
Am zweiten Pfingsttage wird einer von den Jungen in Weiberröcke gehüllt
und mit Maien und Blumen eingeflochten. Man setzt ihm eine Blumenkrone
auf den Kopf und zieht mit ihm, welcher "Füstge Mai" d. i. der zugerichtete
Mai heißt, durch das Dorf, während die Mädchen in ähnlichem Aufzuge die
"Maibraut" umherführen, welche Reime absingend von Haus zu Haus Gaben
sammelt.

In der Mittelmark werden, wie wol überall in Deutschland, zu Pfingsten
die Häuser mit Maien geschmückt. In der Altmark ziehen namentlich die
Hirtenjungen von Hof zu Hof und bringen den Bauern Maikronen aus Bir¬
kenzweigen und Blumen geflochten, die man an den Häusern aufhängt und
bis zum nächsten Pfingstfeste verbleiben läßt. Am Psingstmorgcn werden Pferde
und Rinder zum ersten Male auf die Brachweide getrieben, und wer von allen
zuerst eintrifft, dessen Thieren wird ein grüner Busch, die Dausleipe, d. i. die


Haut an der heiligen Eiche aufhing und bei Umzügen auf eine Stange ge¬
steckt umhertnlg, das Fleisch aber verzehrte. Bei den neubekehrten Deutschen
blieb der Name „Roßschlächter" noch lange ein Schimpfwort für die Anhänger
des Heidenthums, Bei der Taufe mußten die Deutschen unter andern geloben,
dem Genusse des Pferdefleisches entsagen zu wollen. Alle Heidenbekehrer be¬
zeichnen diese Fleischspeise als heidnischen Greuel. Später wurde sogar Todes¬
strafe auf ihren Genuß gesetzt. In vielen mittelalterlichen Sagen kommen die
Pferdeschädel als Zeichen des Teufels vor. Dennoch kehrten sie bei den Volks¬
festen und auch sonst immer wieder, wenn auch das Bewußtsein über dieselben
völlig verloren gegangen war. In vielen Gegenden, zum Beispiel aus den
Bauerhöfen bei Hückeswageu im Westphälischen trifft man noch Pferdeköpfe an
den Firsten der Häuser und erfährt auf Befragen, daß sie vor Wetterschaden
und Krankheiten schützen sollen. In Sachsen wars man nach einer alten
Predigt Pferdeköpfe in die Johannisfeuer.

In den märkischen Dörfern auf der Südseite des Drömlings ziehen am
sogenannten weißen Sonntage die Pferde- und Ochsenjungen mit weißen
Stäben zur Weide und stecken mit diesen eine Stelle ab, auf welche bis
Pfingsten niemand sein Viel) treiben darf. In der Mitte dieses Platzes wird
in einigen Ortschaften eine Tanne aufgerichtet, deren Aeste mit'Knochen, her¬
beigeholt von denen, welche zum ersten Male hüten, besteckt werven, während
den Gipfel des Baumes ein Noßschädel ziert. Dieses seltsame Bauwerk heißt
der „Knochengalgen" und ist unzweifelhaft eine Erinnerung an jene Zeit heid¬
nischer Opfer, bei denen Thiere, Thierfelle und Thierköpfe an Bäumen auf¬
gehangen wurden. Nach Aufrichtung des Knochengalgens haben die kleinern
Jungen den größern „ihre Braut" zu nennen. Aber keiner darf den Namen
verrathen bis auf Pfingsten, wo die abgesteckte Weide (weil die heilige Zeit,
während welcher sie den Göttern geweiht war, vorüber ist?) wieder frei wird.
Am zweiten Pfingsttage wird einer von den Jungen in Weiberröcke gehüllt
und mit Maien und Blumen eingeflochten. Man setzt ihm eine Blumenkrone
auf den Kopf und zieht mit ihm, welcher „Füstge Mai" d. i. der zugerichtete
Mai heißt, durch das Dorf, während die Mädchen in ähnlichem Aufzuge die
„Maibraut" umherführen, welche Reime absingend von Haus zu Haus Gaben
sammelt.

In der Mittelmark werden, wie wol überall in Deutschland, zu Pfingsten
die Häuser mit Maien geschmückt. In der Altmark ziehen namentlich die
Hirtenjungen von Hof zu Hof und bringen den Bauern Maikronen aus Bir¬
kenzweigen und Blumen geflochten, die man an den Häusern aufhängt und
bis zum nächsten Pfingstfeste verbleiben läßt. Am Psingstmorgcn werden Pferde
und Rinder zum ersten Male auf die Brachweide getrieben, und wer von allen
zuerst eintrifft, dessen Thieren wird ein grüner Busch, die Dausleipe, d. i. die


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[0343] Haut an der heiligen Eiche aufhing und bei Umzügen auf eine Stange ge¬ steckt umhertnlg, das Fleisch aber verzehrte. Bei den neubekehrten Deutschen blieb der Name „Roßschlächter" noch lange ein Schimpfwort für die Anhänger des Heidenthums, Bei der Taufe mußten die Deutschen unter andern geloben, dem Genusse des Pferdefleisches entsagen zu wollen. Alle Heidenbekehrer be¬ zeichnen diese Fleischspeise als heidnischen Greuel. Später wurde sogar Todes¬ strafe auf ihren Genuß gesetzt. In vielen mittelalterlichen Sagen kommen die Pferdeschädel als Zeichen des Teufels vor. Dennoch kehrten sie bei den Volks¬ festen und auch sonst immer wieder, wenn auch das Bewußtsein über dieselben völlig verloren gegangen war. In vielen Gegenden, zum Beispiel aus den Bauerhöfen bei Hückeswageu im Westphälischen trifft man noch Pferdeköpfe an den Firsten der Häuser und erfährt auf Befragen, daß sie vor Wetterschaden und Krankheiten schützen sollen. In Sachsen wars man nach einer alten Predigt Pferdeköpfe in die Johannisfeuer. In den märkischen Dörfern auf der Südseite des Drömlings ziehen am sogenannten weißen Sonntage die Pferde- und Ochsenjungen mit weißen Stäben zur Weide und stecken mit diesen eine Stelle ab, auf welche bis Pfingsten niemand sein Viel) treiben darf. In der Mitte dieses Platzes wird in einigen Ortschaften eine Tanne aufgerichtet, deren Aeste mit'Knochen, her¬ beigeholt von denen, welche zum ersten Male hüten, besteckt werven, während den Gipfel des Baumes ein Noßschädel ziert. Dieses seltsame Bauwerk heißt der „Knochengalgen" und ist unzweifelhaft eine Erinnerung an jene Zeit heid¬ nischer Opfer, bei denen Thiere, Thierfelle und Thierköpfe an Bäumen auf¬ gehangen wurden. Nach Aufrichtung des Knochengalgens haben die kleinern Jungen den größern „ihre Braut" zu nennen. Aber keiner darf den Namen verrathen bis auf Pfingsten, wo die abgesteckte Weide (weil die heilige Zeit, während welcher sie den Göttern geweiht war, vorüber ist?) wieder frei wird. Am zweiten Pfingsttage wird einer von den Jungen in Weiberröcke gehüllt und mit Maien und Blumen eingeflochten. Man setzt ihm eine Blumenkrone auf den Kopf und zieht mit ihm, welcher „Füstge Mai" d. i. der zugerichtete Mai heißt, durch das Dorf, während die Mädchen in ähnlichem Aufzuge die „Maibraut" umherführen, welche Reime absingend von Haus zu Haus Gaben sammelt. In der Mittelmark werden, wie wol überall in Deutschland, zu Pfingsten die Häuser mit Maien geschmückt. In der Altmark ziehen namentlich die Hirtenjungen von Hof zu Hof und bringen den Bauern Maikronen aus Bir¬ kenzweigen und Blumen geflochten, die man an den Häusern aufhängt und bis zum nächsten Pfingstfeste verbleiben läßt. Am Psingstmorgcn werden Pferde und Rinder zum ersten Male auf die Brachweide getrieben, und wer von allen zuerst eintrifft, dessen Thieren wird ein grüner Busch, die Dausleipe, d. i. die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/343>, abgerufen am 22.07.2024.