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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Thauschleife an den Schweif gebunden (ein Gebrauch, womit man den irischen
Aberglauben vergleichen mag, daß man durch Einsammlung einiger Tropfen
Thau von einer Viehweide am ersten Mai den darauf getriebenen Kühen für
das ganze Jahr die Milch benehmen könne. Geht aber der Hirt oder Besitzer
derselben zeitig aus, so daß er den Thau zuerst einsammeln kann, so bleiben
die Thiere vor allem solchen Zauber bewahrt). Wessen Thiere dagegen zuletzt
erscheinen, den nennt man "den bunten Jungen", auch "das Kaudernest", den
"Pingstkähm" oder "Pingstkärel", behängt ihn 'mit allerlei Feldblumen und
führt ihn in Procession durchs Dorf, wobei zwei Bursche, welche "Hunde¬
brösel" heißen, neben ihm herschreiten. Wä.hrend der Zug umgeht, muß er
den strengsten Ernst bewahren.

In Holland führen arme Weiber ein mit Blumen und Bändern geputztes
Mädchen auf einem kleinen Wagen, bei dem wir an den Wagen der Erdenmutter
Nerthus denken dürfen, herum und betteln dabei um Geld. Das Mädchen
heißt "Pingsterblom", d. i. Pfingstblume. Am Samstage vor dem Feste gehen
die Knaben am Morgen aus, um mit Geschrei und Lärmen die Langschläfer zu
wecken, denen sie Nesseln vor die Thür hängen. Aehnliche Sitte herrscht im
sächsischen Erzgebirge, wo der zuerst austreibende Hirt mit der Peitsche knallt,
um den noch im Bette liegenden, welche "Pfingstlümmel" gescholten werden,
den Schlaf zu vertreiben -- eine Gewohnheit, bei djer man sich an das Wecken
des Sommers im Rheinlande erinnert finden kann, die vielleicht aber auch
blos das Unrecht strafen soll, das durch Verschlafen der heiligen Zeit begangen
wurde.

Eine andere sächsische Sitte bildet den Uebergang zu den schwäbischen
Pfingstspielen, welche, wenn man an das Urbild denkt, dessen Palodie sie sind,
als Seitenstück zu dem oben erwähnten schwedischen Turnier zwischen Sommer
, und Winter angesehen werden müssen. In den Dörfern zwischen Leipzig und
Halle herrscht der Gebrauch, daß die jungen Burschen in' der Nacht vor
Pfingsten eine Art Sittsamkeitscensur über die Mädchen des Ortes üben, in¬
dem sie den unbescholtenen Birken oder Pappeln, denn aber, die in üblem
Rufe stehen, Hollunderbäume vor die Thür pflanzen. Sodann am ersten Feier¬
tage gegen zwei Uhr zieht man zu Pferd und Wagen aus, um die Male zu
holen, die bereits gefällt ist und nach der man oft einen weiten Umweg macht,
um sich in andern Dörfern zu zeigen und dadurch Theilnehmer am Feste zu
gewinnen.

Ein solcher Aufzug der Psingstburschen besteht dann gewöhnlich aus 3V
bis i", bisweilen aus 60 bis 80 Reitern, die sich als Türken, Ritter, Husaren
und dergleichen mehr verkleidet haben, und deren Pferde mit Bändern, Blumen
und Birkenzweigen geputzt sind. Ihnen läuft oder reitet ein Hanswurst voraus,
der allerlei Narrethei und Schabernack treibt, hinter ihnen folgt ein Rüstwagen


Thauschleife an den Schweif gebunden (ein Gebrauch, womit man den irischen
Aberglauben vergleichen mag, daß man durch Einsammlung einiger Tropfen
Thau von einer Viehweide am ersten Mai den darauf getriebenen Kühen für
das ganze Jahr die Milch benehmen könne. Geht aber der Hirt oder Besitzer
derselben zeitig aus, so daß er den Thau zuerst einsammeln kann, so bleiben
die Thiere vor allem solchen Zauber bewahrt). Wessen Thiere dagegen zuletzt
erscheinen, den nennt man „den bunten Jungen", auch „das Kaudernest", den
„Pingstkähm" oder „Pingstkärel", behängt ihn 'mit allerlei Feldblumen und
führt ihn in Procession durchs Dorf, wobei zwei Bursche, welche „Hunde¬
brösel" heißen, neben ihm herschreiten. Wä.hrend der Zug umgeht, muß er
den strengsten Ernst bewahren.

In Holland führen arme Weiber ein mit Blumen und Bändern geputztes
Mädchen auf einem kleinen Wagen, bei dem wir an den Wagen der Erdenmutter
Nerthus denken dürfen, herum und betteln dabei um Geld. Das Mädchen
heißt „Pingsterblom", d. i. Pfingstblume. Am Samstage vor dem Feste gehen
die Knaben am Morgen aus, um mit Geschrei und Lärmen die Langschläfer zu
wecken, denen sie Nesseln vor die Thür hängen. Aehnliche Sitte herrscht im
sächsischen Erzgebirge, wo der zuerst austreibende Hirt mit der Peitsche knallt,
um den noch im Bette liegenden, welche „Pfingstlümmel" gescholten werden,
den Schlaf zu vertreiben — eine Gewohnheit, bei djer man sich an das Wecken
des Sommers im Rheinlande erinnert finden kann, die vielleicht aber auch
blos das Unrecht strafen soll, das durch Verschlafen der heiligen Zeit begangen
wurde.

Eine andere sächsische Sitte bildet den Uebergang zu den schwäbischen
Pfingstspielen, welche, wenn man an das Urbild denkt, dessen Palodie sie sind,
als Seitenstück zu dem oben erwähnten schwedischen Turnier zwischen Sommer
, und Winter angesehen werden müssen. In den Dörfern zwischen Leipzig und
Halle herrscht der Gebrauch, daß die jungen Burschen in' der Nacht vor
Pfingsten eine Art Sittsamkeitscensur über die Mädchen des Ortes üben, in¬
dem sie den unbescholtenen Birken oder Pappeln, denn aber, die in üblem
Rufe stehen, Hollunderbäume vor die Thür pflanzen. Sodann am ersten Feier¬
tage gegen zwei Uhr zieht man zu Pferd und Wagen aus, um die Male zu
holen, die bereits gefällt ist und nach der man oft einen weiten Umweg macht,
um sich in andern Dörfern zu zeigen und dadurch Theilnehmer am Feste zu
gewinnen.

Ein solcher Aufzug der Psingstburschen besteht dann gewöhnlich aus 3V
bis i», bisweilen aus 60 bis 80 Reitern, die sich als Türken, Ritter, Husaren
und dergleichen mehr verkleidet haben, und deren Pferde mit Bändern, Blumen
und Birkenzweigen geputzt sind. Ihnen läuft oder reitet ein Hanswurst voraus,
der allerlei Narrethei und Schabernack treibt, hinter ihnen folgt ein Rüstwagen


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[0344] Thauschleife an den Schweif gebunden (ein Gebrauch, womit man den irischen Aberglauben vergleichen mag, daß man durch Einsammlung einiger Tropfen Thau von einer Viehweide am ersten Mai den darauf getriebenen Kühen für das ganze Jahr die Milch benehmen könne. Geht aber der Hirt oder Besitzer derselben zeitig aus, so daß er den Thau zuerst einsammeln kann, so bleiben die Thiere vor allem solchen Zauber bewahrt). Wessen Thiere dagegen zuletzt erscheinen, den nennt man „den bunten Jungen", auch „das Kaudernest", den „Pingstkähm" oder „Pingstkärel", behängt ihn 'mit allerlei Feldblumen und führt ihn in Procession durchs Dorf, wobei zwei Bursche, welche „Hunde¬ brösel" heißen, neben ihm herschreiten. Wä.hrend der Zug umgeht, muß er den strengsten Ernst bewahren. In Holland führen arme Weiber ein mit Blumen und Bändern geputztes Mädchen auf einem kleinen Wagen, bei dem wir an den Wagen der Erdenmutter Nerthus denken dürfen, herum und betteln dabei um Geld. Das Mädchen heißt „Pingsterblom", d. i. Pfingstblume. Am Samstage vor dem Feste gehen die Knaben am Morgen aus, um mit Geschrei und Lärmen die Langschläfer zu wecken, denen sie Nesseln vor die Thür hängen. Aehnliche Sitte herrscht im sächsischen Erzgebirge, wo der zuerst austreibende Hirt mit der Peitsche knallt, um den noch im Bette liegenden, welche „Pfingstlümmel" gescholten werden, den Schlaf zu vertreiben — eine Gewohnheit, bei djer man sich an das Wecken des Sommers im Rheinlande erinnert finden kann, die vielleicht aber auch blos das Unrecht strafen soll, das durch Verschlafen der heiligen Zeit begangen wurde. Eine andere sächsische Sitte bildet den Uebergang zu den schwäbischen Pfingstspielen, welche, wenn man an das Urbild denkt, dessen Palodie sie sind, als Seitenstück zu dem oben erwähnten schwedischen Turnier zwischen Sommer , und Winter angesehen werden müssen. In den Dörfern zwischen Leipzig und Halle herrscht der Gebrauch, daß die jungen Burschen in' der Nacht vor Pfingsten eine Art Sittsamkeitscensur über die Mädchen des Ortes üben, in¬ dem sie den unbescholtenen Birken oder Pappeln, denn aber, die in üblem Rufe stehen, Hollunderbäume vor die Thür pflanzen. Sodann am ersten Feier¬ tage gegen zwei Uhr zieht man zu Pferd und Wagen aus, um die Male zu holen, die bereits gefällt ist und nach der man oft einen weiten Umweg macht, um sich in andern Dörfern zu zeigen und dadurch Theilnehmer am Feste zu gewinnen. Ein solcher Aufzug der Psingstburschen besteht dann gewöhnlich aus 3V bis i», bisweilen aus 60 bis 80 Reitern, die sich als Türken, Ritter, Husaren und dergleichen mehr verkleidet haben, und deren Pferde mit Bändern, Blumen und Birkenzweigen geputzt sind. Ihnen läuft oder reitet ein Hanswurst voraus, der allerlei Narrethei und Schabernack treibt, hinter ihnen folgt ein Rüstwagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/344>, abgerufen am 22.07.2024.