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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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daß kein Wetter ihm schade. Der^Zug geht stets durch die Scheune eines
gewissen Bauers, ganz wie der Wuotausumzug, der uns im wilden Jäger
oder Wutesheer erhalten ist, seinen bestimmten Durchgang hat. Die Theil-
nehmer erscheinen dabei zu Pferde mit Fahnen und Musik. Einer läutet währeud
des Umzugs fortwährend die heilige Blutglocke und -- ein sehr bezeichnender,
an den Schimmelreiter der Advents- und Weihnachtszeit erinnernder Zug! --
der Pater Custos, der sonst das heilige Blut trug, ritt stets auf einem weißen
Rosse und war weiß gekleidet.

Aehnlich war die sonst in alten katholischen Gemeinden Schwabens am
Himmelfahrtstage übliche Eschprocession oder der Flurgang, der gleichfalls
eine Segnung der Saatfelder zum Zwecke hatte. Früher umzog man die ganze
Gemarkung, jetzt geht man blos hindurch, macht an vier Stellen Halt, liest
ein Stück aus allen vier Evangelien und spricht den "Wetterscgen". Auf alte
Opfer deuret, daß die Enz an diesem Tage bei Bietigheim einen Laib Brot,
ein Schaf, einen Menschen, der Neckar bei Mittelstadt einen Bienenkorb, ein
Lamm und einen Menschen verlangt. An die hohen Kräfte, die man dem
heidnischen Feste beimaß, erinnert, daß man in Schorndorf zu Himmelfahrt
das Mittel bereitet, durch welches man die Heren erkennen kann. Man nimmt
- einen Block Tannenholz und macht aus demselben einen Melkstuhl. Durch die
drei Löcher, in welche die Füße desselben gesteckt werden, blickt man dann am
Christtage in der Kirche während des Gottesdienstes und sieht alle Heren so
sitzen, daß die, w.elche einem das Gesicht zukehren sollten, den Rücken bieten
und umgekehrt.

Noch interessanter und lehrreicher aber ist die Reihe von Gebräuchen,
welche sich in Nord- wie in Süddeutschland vom heidnischen Maifeste aus auf
die christlichen P fing se tage verpflanzt haben. Im Rheinthale wird die Pfingst-
nacht als Frühlingsfest unter dem Absingen von Liedern venvacht. Statt daß
man wie im Bergischen die Eier als Maiöpfer an die Brunnen legt, ziehen
junge Leute die ganze Nacht umher, gehen singend von Weiler zu Weiler, von
Haus zu Haus und sammeln die von den Mädchen zum Opfer bereit gehal¬
tenen Pfingsteier. Am andern Morgen wird geruht. Pfingstmontags aber
werden die Psingstknchen gebacken und in gemeinsamem Mahle verzehrt.
Darauf folgt der Maireigen. Es sind die Maiburschen und die Kirmeßgelags-
jünglinge, die sich zum Pftngstnachtsgesange scharen und den vielhundert¬
jährigen Chor und Opferbrauch bis zum heutigen Tage erhalten haben. Aber
auch diese Sitte wurde durch eine weise Polizei in pfälzischer und franzö¬
sischer Zeit bekämpft und zum Theil unterdrückt. Karl Theodor gab den
Werbern den Auftrag, besonders auf die Pfingstnachtssänger Jagd zu machen,
und so hat sich bei Befolgung des Brauchs der Väter gar mancher wackere
Junge in den Türkenkrieg gesungen. Doch weder diese landesväterliche


daß kein Wetter ihm schade. Der^Zug geht stets durch die Scheune eines
gewissen Bauers, ganz wie der Wuotausumzug, der uns im wilden Jäger
oder Wutesheer erhalten ist, seinen bestimmten Durchgang hat. Die Theil-
nehmer erscheinen dabei zu Pferde mit Fahnen und Musik. Einer läutet währeud
des Umzugs fortwährend die heilige Blutglocke und — ein sehr bezeichnender,
an den Schimmelreiter der Advents- und Weihnachtszeit erinnernder Zug! —
der Pater Custos, der sonst das heilige Blut trug, ritt stets auf einem weißen
Rosse und war weiß gekleidet.

Aehnlich war die sonst in alten katholischen Gemeinden Schwabens am
Himmelfahrtstage übliche Eschprocession oder der Flurgang, der gleichfalls
eine Segnung der Saatfelder zum Zwecke hatte. Früher umzog man die ganze
Gemarkung, jetzt geht man blos hindurch, macht an vier Stellen Halt, liest
ein Stück aus allen vier Evangelien und spricht den „Wetterscgen". Auf alte
Opfer deuret, daß die Enz an diesem Tage bei Bietigheim einen Laib Brot,
ein Schaf, einen Menschen, der Neckar bei Mittelstadt einen Bienenkorb, ein
Lamm und einen Menschen verlangt. An die hohen Kräfte, die man dem
heidnischen Feste beimaß, erinnert, daß man in Schorndorf zu Himmelfahrt
das Mittel bereitet, durch welches man die Heren erkennen kann. Man nimmt
- einen Block Tannenholz und macht aus demselben einen Melkstuhl. Durch die
drei Löcher, in welche die Füße desselben gesteckt werden, blickt man dann am
Christtage in der Kirche während des Gottesdienstes und sieht alle Heren so
sitzen, daß die, w.elche einem das Gesicht zukehren sollten, den Rücken bieten
und umgekehrt.

Noch interessanter und lehrreicher aber ist die Reihe von Gebräuchen,
welche sich in Nord- wie in Süddeutschland vom heidnischen Maifeste aus auf
die christlichen P fing se tage verpflanzt haben. Im Rheinthale wird die Pfingst-
nacht als Frühlingsfest unter dem Absingen von Liedern venvacht. Statt daß
man wie im Bergischen die Eier als Maiöpfer an die Brunnen legt, ziehen
junge Leute die ganze Nacht umher, gehen singend von Weiler zu Weiler, von
Haus zu Haus und sammeln die von den Mädchen zum Opfer bereit gehal¬
tenen Pfingsteier. Am andern Morgen wird geruht. Pfingstmontags aber
werden die Psingstknchen gebacken und in gemeinsamem Mahle verzehrt.
Darauf folgt der Maireigen. Es sind die Maiburschen und die Kirmeßgelags-
jünglinge, die sich zum Pftngstnachtsgesange scharen und den vielhundert¬
jährigen Chor und Opferbrauch bis zum heutigen Tage erhalten haben. Aber
auch diese Sitte wurde durch eine weise Polizei in pfälzischer und franzö¬
sischer Zeit bekämpft und zum Theil unterdrückt. Karl Theodor gab den
Werbern den Auftrag, besonders auf die Pfingstnachtssänger Jagd zu machen,
und so hat sich bei Befolgung des Brauchs der Väter gar mancher wackere
Junge in den Türkenkrieg gesungen. Doch weder diese landesväterliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/341>, abgerufen am 03.07.2024.