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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Theilnahme daran, die einst P'flicht gewesen, zum todeswürdigen Ver¬
brechen.

Daß diese Entwicklung auf richtiger Fährte ist, zeigt sich aber auch an
andern Resten jenes Frühlingsfestes, welche sich an den ersten Mai knüpfen.
Dahin mag zu rechnen sein, wenn am Morgen dieses Tages im Hessischen
"Druselwasser" geschöpft wird, welches dieselben magischen Kräfte hat, wie das
Ostenvasser. Dahin zählen wir die hier und da noch lebendige Sitte, sich in
der Walpurgisnacht ins grüne Korn zu setzen und auf die Stimmen und
Reden der Geister zu lauschen, die von der Zukunft sprechen. Dahin darf
selbst der westfranzösische Gebrauch bezogen werden, nach welchem junge Mäd¬
chen, die ihren einstigen Gatten kennen lernen wollen, am ersten Mai vor
Sonnenaufgang das Bett verlassen, ein Gefäß nehmen, dasselbe mit einem
RoSmarinzweige ausfegen und sich damit nach einer einsam gelegenen Quelle
begeben. Dort angelangt, werfen sie sich am Rande des Wassers auf die Knie,
sprechen ein Gebet, pflanzen ihren Zweig an einen benachbarten Busch und
füllen ihr Gesäß mit Wasser. Dann erwarten sie den Aufgang der Sonne.
Sobald diese am Horizont erscheint, nähert sich das Mädchen dem Gefäße,
bewegt das Wasser mit der linken Hand und spricht die Worte: Ami, rabi,
lobi! Dies muß sie neun Mal rasch wiederholen, so daß sie fertig wird, ehe die
Sonnenscheibe ganz am Rande des Gesichtskreises aufgetaucht ist. Ist ihr
während deö Ganges zum Brunnen und während der Ceremonie selbst nie¬
mand begegnet, so erblickt sie aus dem Boden des Gefäßes die Gestalt ihres
zukünftigen Bräutigams. Bor allem aber.kommen hier noch die Psingstgebräuche
in Betracht, welche das Bild des Frühlingsempfanges erst vervollständigen.

Was nämlich in einigen Gegenden von den Gebräuchen des Maitags
erloschen ist, das findet man in ihnen zum Theil an das Himmelfahrts-, zum
Theil an das Pfingstfest geknüpft, welche dem christlich gewordenen Volke, als
der Götterdienst in Vergessenheit gerieth oder als bloßer Neben- und Aber¬
glaube noch fortlebte, der Ehre würdiger erscheinen mußten, die einst jenem
Tage erwiesen wurde. Am Himmelfahrtsmorgen vor Sonnenaufgang pflücken
die Mädchen im Schwarzwalde die röthlichen und weißen Blumen des Gna-
phalium diocum, vom Volke Mausöhrle genannt, binden sie in Kränze und
lassen diese das ganze Jahr in Stuben und Ställen hängen. Sie schützen
das Haus vor dem Wetterschlagc, auch soll man sich damit unsichtbar machen
können. An dem Donnerstage (dem Donar heilig) aus welchen bekanntlich das
Himmelfahrtsfest stets fällt, muß es ein Gewitter geben, sagen die Schwaben.
Am Tage nachher wird in Weingarten bei Altdorf (Ähnlich wie einst am Nieder-
rhci") der sogenannte "Blutritt" gehalten, eine Ceremonie, bei der sich Christ¬
liches mit Heidnischen mischt, indem der eingefaßte Tropfen vom heiligen Blute
in feierlicher Procession durch die Felder getragen und das Korn gesegnet wird,


Theilnahme daran, die einst P'flicht gewesen, zum todeswürdigen Ver¬
brechen.

Daß diese Entwicklung auf richtiger Fährte ist, zeigt sich aber auch an
andern Resten jenes Frühlingsfestes, welche sich an den ersten Mai knüpfen.
Dahin mag zu rechnen sein, wenn am Morgen dieses Tages im Hessischen
„Druselwasser" geschöpft wird, welches dieselben magischen Kräfte hat, wie das
Ostenvasser. Dahin zählen wir die hier und da noch lebendige Sitte, sich in
der Walpurgisnacht ins grüne Korn zu setzen und auf die Stimmen und
Reden der Geister zu lauschen, die von der Zukunft sprechen. Dahin darf
selbst der westfranzösische Gebrauch bezogen werden, nach welchem junge Mäd¬
chen, die ihren einstigen Gatten kennen lernen wollen, am ersten Mai vor
Sonnenaufgang das Bett verlassen, ein Gefäß nehmen, dasselbe mit einem
RoSmarinzweige ausfegen und sich damit nach einer einsam gelegenen Quelle
begeben. Dort angelangt, werfen sie sich am Rande des Wassers auf die Knie,
sprechen ein Gebet, pflanzen ihren Zweig an einen benachbarten Busch und
füllen ihr Gesäß mit Wasser. Dann erwarten sie den Aufgang der Sonne.
Sobald diese am Horizont erscheint, nähert sich das Mädchen dem Gefäße,
bewegt das Wasser mit der linken Hand und spricht die Worte: Ami, rabi,
lobi! Dies muß sie neun Mal rasch wiederholen, so daß sie fertig wird, ehe die
Sonnenscheibe ganz am Rande des Gesichtskreises aufgetaucht ist. Ist ihr
während deö Ganges zum Brunnen und während der Ceremonie selbst nie¬
mand begegnet, so erblickt sie aus dem Boden des Gefäßes die Gestalt ihres
zukünftigen Bräutigams. Bor allem aber.kommen hier noch die Psingstgebräuche
in Betracht, welche das Bild des Frühlingsempfanges erst vervollständigen.

Was nämlich in einigen Gegenden von den Gebräuchen des Maitags
erloschen ist, das findet man in ihnen zum Theil an das Himmelfahrts-, zum
Theil an das Pfingstfest geknüpft, welche dem christlich gewordenen Volke, als
der Götterdienst in Vergessenheit gerieth oder als bloßer Neben- und Aber¬
glaube noch fortlebte, der Ehre würdiger erscheinen mußten, die einst jenem
Tage erwiesen wurde. Am Himmelfahrtsmorgen vor Sonnenaufgang pflücken
die Mädchen im Schwarzwalde die röthlichen und weißen Blumen des Gna-
phalium diocum, vom Volke Mausöhrle genannt, binden sie in Kränze und
lassen diese das ganze Jahr in Stuben und Ställen hängen. Sie schützen
das Haus vor dem Wetterschlagc, auch soll man sich damit unsichtbar machen
können. An dem Donnerstage (dem Donar heilig) aus welchen bekanntlich das
Himmelfahrtsfest stets fällt, muß es ein Gewitter geben, sagen die Schwaben.
Am Tage nachher wird in Weingarten bei Altdorf (Ähnlich wie einst am Nieder-
rhci») der sogenannte „Blutritt" gehalten, eine Ceremonie, bei der sich Christ¬
liches mit Heidnischen mischt, indem der eingefaßte Tropfen vom heiligen Blute
in feierlicher Procession durch die Felder getragen und das Korn gesegnet wird,


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[0340] Theilnahme daran, die einst P'flicht gewesen, zum todeswürdigen Ver¬ brechen. Daß diese Entwicklung auf richtiger Fährte ist, zeigt sich aber auch an andern Resten jenes Frühlingsfestes, welche sich an den ersten Mai knüpfen. Dahin mag zu rechnen sein, wenn am Morgen dieses Tages im Hessischen „Druselwasser" geschöpft wird, welches dieselben magischen Kräfte hat, wie das Ostenvasser. Dahin zählen wir die hier und da noch lebendige Sitte, sich in der Walpurgisnacht ins grüne Korn zu setzen und auf die Stimmen und Reden der Geister zu lauschen, die von der Zukunft sprechen. Dahin darf selbst der westfranzösische Gebrauch bezogen werden, nach welchem junge Mäd¬ chen, die ihren einstigen Gatten kennen lernen wollen, am ersten Mai vor Sonnenaufgang das Bett verlassen, ein Gefäß nehmen, dasselbe mit einem RoSmarinzweige ausfegen und sich damit nach einer einsam gelegenen Quelle begeben. Dort angelangt, werfen sie sich am Rande des Wassers auf die Knie, sprechen ein Gebet, pflanzen ihren Zweig an einen benachbarten Busch und füllen ihr Gesäß mit Wasser. Dann erwarten sie den Aufgang der Sonne. Sobald diese am Horizont erscheint, nähert sich das Mädchen dem Gefäße, bewegt das Wasser mit der linken Hand und spricht die Worte: Ami, rabi, lobi! Dies muß sie neun Mal rasch wiederholen, so daß sie fertig wird, ehe die Sonnenscheibe ganz am Rande des Gesichtskreises aufgetaucht ist. Ist ihr während deö Ganges zum Brunnen und während der Ceremonie selbst nie¬ mand begegnet, so erblickt sie aus dem Boden des Gefäßes die Gestalt ihres zukünftigen Bräutigams. Bor allem aber.kommen hier noch die Psingstgebräuche in Betracht, welche das Bild des Frühlingsempfanges erst vervollständigen. Was nämlich in einigen Gegenden von den Gebräuchen des Maitags erloschen ist, das findet man in ihnen zum Theil an das Himmelfahrts-, zum Theil an das Pfingstfest geknüpft, welche dem christlich gewordenen Volke, als der Götterdienst in Vergessenheit gerieth oder als bloßer Neben- und Aber¬ glaube noch fortlebte, der Ehre würdiger erscheinen mußten, die einst jenem Tage erwiesen wurde. Am Himmelfahrtsmorgen vor Sonnenaufgang pflücken die Mädchen im Schwarzwalde die röthlichen und weißen Blumen des Gna- phalium diocum, vom Volke Mausöhrle genannt, binden sie in Kränze und lassen diese das ganze Jahr in Stuben und Ställen hängen. Sie schützen das Haus vor dem Wetterschlagc, auch soll man sich damit unsichtbar machen können. An dem Donnerstage (dem Donar heilig) aus welchen bekanntlich das Himmelfahrtsfest stets fällt, muß es ein Gewitter geben, sagen die Schwaben. Am Tage nachher wird in Weingarten bei Altdorf (Ähnlich wie einst am Nieder- rhci») der sogenannte „Blutritt" gehalten, eine Ceremonie, bei der sich Christ¬ liches mit Heidnischen mischt, indem der eingefaßte Tropfen vom heiligen Blute in feierlicher Procession durch die Felder getragen und das Korn gesegnet wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/340>, abgerufen am 22.07.2024.