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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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dann vernahm man das tausendstimmige Gemurmel der Beter gleich rieselnden
Wassern auf den Hügeln. ,

Einen hiervon sehr verschiedenen Trost suchte und fand man in kleinen
Bällen, an denen auch die Apostel und Aeltesten der Kirche sich fleißig be¬
theiligten. Besondern Werth aber legten die Führer der Wüstenpilger in richtiger
Erkenntniß des menschlichen Gemüths auf die Musik. Ein beredter Prediger
hatte in England ein vollzähliges Orchester zum Glauben, an Joseph Smith
und die goldne Bibel bekehrt, und die wackern Musikanten waren ihm mit sammt
ihren Geigen und Flöten, Posaunen, Hörnern und Hoboen nach dem neuen
Zion in Amerika gefolgt, wo sie noch zu rechter Zeit eingetroffen waren, um
das Fest der Tempelweihe zu verherrlichen. Jetzt, während des Exodus nach
der neuen Heimat war ihr Amt, die Niesenchöre der sonntäglichen Erbauung
zu leiten und das Volk Gottes zur Versammlung zu rufen. Ihre Instrumente
konnten bei der trocknen und klaren Luft dieser Gegenden ungewöhnlich weit
vernommen werden. "ES hatte" -- sagte Kane -- "die wunderbarste Wir¬
kung auf die Seele. Bisweilen geschah es, daß wir der Karavane voraus¬
eilten , um am großen Platte, dem unheimlichsten aller Ströme Amerikas, nach
einer Furt zu spähen. Düster rauschten die Wasser an seinen Sandbänken,
grollend murmelten die Wirbel seines gefahrvollen Bettes. Da plötzlich trug
der erwachte Wind den leisen, melancholischen Klang einer Melodie herzu.
Man lauschte hin -- ein zweiter Windhauch, der mit einer Wolke heißen Flug¬
sandes an dem Horcher vorüberfuhr -- und man vernahm eines von Men¬
delssohns Liedern ohne Worte, aus der deutschen Heimat nach Englands
Gestaden und von da nach der Jndiancrwüste am Fuße der Rocky Mountains
gewandert."

Die Schwierigkeiten, welche das unwirthbare Land den Pilgern entgegen¬
stellte, zwang sie, den Winter von 18i6 aus-I8-i7 in der Wüste zu verbleiben.
Er war die schwerste ihrer Prüfungen, aber zugleich der Wendepunkt ihrer
Geschicke. Ehe noch das Gras der Prairie aufzuschießen und das Cottonwood
an den Flußufern zu knospen begann, brachen im folgenden Frühjahre 163
ausgesuchte Leute mit 70 Wagen, geführt von Brigham Uoung und mehren
Gliedern des hohen Rathes der Kirche, aus den Winterquartieren unter den
Omahas auf, um weiter gen Westen vorzudringen. Sie nahmen außer Acker-
geräthschaften und Saatkorn wenig Gepäck mit und verließen sich hinsichtlich
ihrer Nahrung lediglich auf ihre Büchsen/ mit denen sie auch mehrfache An¬
griffe der hier umherschweifenden Stämme der Schwarzfnße und Daeotas ohne
Verluste zu erleiden zurückschlugen. Sich so sehr als möglich beeilend machten
sie lange Tagemä'röche, und so geschal) es, daß sie zu der Zeit, wo die gewöhn¬
liche Auswanderung nach Californien jetzt den Missouri erreicht, bereits den
sogenannten Sudpaß, dgs eine der drei großen Thore in den Felsengebirgen,


dann vernahm man das tausendstimmige Gemurmel der Beter gleich rieselnden
Wassern auf den Hügeln. ,

Einen hiervon sehr verschiedenen Trost suchte und fand man in kleinen
Bällen, an denen auch die Apostel und Aeltesten der Kirche sich fleißig be¬
theiligten. Besondern Werth aber legten die Führer der Wüstenpilger in richtiger
Erkenntniß des menschlichen Gemüths auf die Musik. Ein beredter Prediger
hatte in England ein vollzähliges Orchester zum Glauben, an Joseph Smith
und die goldne Bibel bekehrt, und die wackern Musikanten waren ihm mit sammt
ihren Geigen und Flöten, Posaunen, Hörnern und Hoboen nach dem neuen
Zion in Amerika gefolgt, wo sie noch zu rechter Zeit eingetroffen waren, um
das Fest der Tempelweihe zu verherrlichen. Jetzt, während des Exodus nach
der neuen Heimat war ihr Amt, die Niesenchöre der sonntäglichen Erbauung
zu leiten und das Volk Gottes zur Versammlung zu rufen. Ihre Instrumente
konnten bei der trocknen und klaren Luft dieser Gegenden ungewöhnlich weit
vernommen werden. „ES hatte" — sagte Kane — „die wunderbarste Wir¬
kung auf die Seele. Bisweilen geschah es, daß wir der Karavane voraus¬
eilten , um am großen Platte, dem unheimlichsten aller Ströme Amerikas, nach
einer Furt zu spähen. Düster rauschten die Wasser an seinen Sandbänken,
grollend murmelten die Wirbel seines gefahrvollen Bettes. Da plötzlich trug
der erwachte Wind den leisen, melancholischen Klang einer Melodie herzu.
Man lauschte hin — ein zweiter Windhauch, der mit einer Wolke heißen Flug¬
sandes an dem Horcher vorüberfuhr — und man vernahm eines von Men¬
delssohns Liedern ohne Worte, aus der deutschen Heimat nach Englands
Gestaden und von da nach der Jndiancrwüste am Fuße der Rocky Mountains
gewandert."

Die Schwierigkeiten, welche das unwirthbare Land den Pilgern entgegen¬
stellte, zwang sie, den Winter von 18i6 aus-I8-i7 in der Wüste zu verbleiben.
Er war die schwerste ihrer Prüfungen, aber zugleich der Wendepunkt ihrer
Geschicke. Ehe noch das Gras der Prairie aufzuschießen und das Cottonwood
an den Flußufern zu knospen begann, brachen im folgenden Frühjahre 163
ausgesuchte Leute mit 70 Wagen, geführt von Brigham Uoung und mehren
Gliedern des hohen Rathes der Kirche, aus den Winterquartieren unter den
Omahas auf, um weiter gen Westen vorzudringen. Sie nahmen außer Acker-
geräthschaften und Saatkorn wenig Gepäck mit und verließen sich hinsichtlich
ihrer Nahrung lediglich auf ihre Büchsen/ mit denen sie auch mehrfache An¬
griffe der hier umherschweifenden Stämme der Schwarzfnße und Daeotas ohne
Verluste zu erleiden zurückschlugen. Sich so sehr als möglich beeilend machten
sie lange Tagemä'röche, und so geschal) es, daß sie zu der Zeit, wo die gewöhn¬
liche Auswanderung nach Californien jetzt den Missouri erreicht, bereits den
sogenannten Sudpaß, dgs eine der drei großen Thore in den Felsengebirgen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/30>, abgerufen am 01.07.2024.