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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Kehren wir zu den ausgewanderten Mormonen zurück, so treffen wir sie
in großen Lagern mitten unter den Jndianerstämmen der Omahas und Potta-
wattomies, sich vorbereitend zur Weiterwanderung nach den Felsengebirgen.
Oberst Kane, der diesen Zug durch die Wüste mitgemacht, schildert das Leben
der Mormonenlager in seinem Berichte an die historische Gesellschaft in Phila¬
delphia mit so lebhaften Farben, daß wir uns nicht enthalten können, einen
Auszug davon einzuschalten. Man legte die Zeltlager, die sich später in
schmucke hölzerne Städtchen verwandelten und in dieser Gestalt noch jetzt stehen,
gern auf Hügeln an, in deren Nähe sich eine Quelle befand. Auf feder der
ausgewählten Anhöhen war ein Viereck abgesteckt, und die Wagen der Kara-
vanen stellten sich in der Reihenfolge, in der sie eintrafen, /einen vier Seiten
entlang dermaßen in einer Doppelzeile auf, daß zwischen ihnen eine geräumige
Straße blieb. Die Zelte wurden ebenfalls in geraden Linien in dem Raume
zwischen den Wagen aufgeschlagen. Das Vieh, wovon die Wanderer gewaltige
Herden mit sich führten, wurde in hochumzäunten Hürden außerhalb des
Lagers untergebracht. Das Viereck innerhalb der Wagenburg ließ man leer,
um den Durchzug der frischen Lust zu ermöglichen. Die Gassen um die Seiten
desselben bildeten, mit Flechtwer? aus laubigen Zweigen überdeckt und sorg¬
fältig rein gehalten, einen schattigen Laubengang, auf dem sich genesende
Kranke ergingen und die Kinder spielten. Allenthalben herrschte die regste
Thätigkeit. Die Männer arbeiteten vor ihren Zelten in ihrem Handwerke,
bestellten den rasch zu Ackerland nmtnochnen Prairieboden in der Nachbar¬
schaft, gingen mit Sichel und Sense aus, um Gras für das Vieh zu mähen,
ebneten Straßen und bauten Brücken oder Fähren. An den Waldgewässern,
wo sie sich häufig länger aufhielten, sah man Scharen von Frauen und
Mädchni stehen, und weiße Wäsche, rothe Flanellhemden und buntblumige
Kattunkleider spülen oder Tausende von Quadratellen grünen Rasens mit den
gewaschenen Gegenständen bedecken, während sich rings um den lebensvollen
Flrck die stille todte Wüste breitete.

Nicht überall aber waren die Bilder der Mormonenlager so heitrer Natur.
Der Sommer von 18ni war verhängnißvoll für die Emigranten. Mehrmals
waren einzelne Trupps nahe daran, dem Mangel an Nahrung und dem
Sonnenbrande auf der nackten Steppe zu erliegen. Die ungesunde Gegend
erzeugte Fieber und Scorbut. Der Todesengel hielt eine reichliche Ernte unter
den Erschöpften, und Hunderte von Grabhügeln bezeichnen noch setzt die Stellen,
über welche das neue Israel aus dem Aegypten jenseits des Mississippi nach dem
gelobten Lande in den Bergen gezogen und auf denen es Rasttag gehalten.
Unter allen Mühsalen und Heimsuchungen aber erhielt sie ihr Glaube aufrecht.
Jeden Tag wurden einige Stunden der allgemeinen Erbauung gewidmet. Sobald
der Abend sank, schwiegen alle lauten Gespräche, geistliche Lieder ertönten und


Kehren wir zu den ausgewanderten Mormonen zurück, so treffen wir sie
in großen Lagern mitten unter den Jndianerstämmen der Omahas und Potta-
wattomies, sich vorbereitend zur Weiterwanderung nach den Felsengebirgen.
Oberst Kane, der diesen Zug durch die Wüste mitgemacht, schildert das Leben
der Mormonenlager in seinem Berichte an die historische Gesellschaft in Phila¬
delphia mit so lebhaften Farben, daß wir uns nicht enthalten können, einen
Auszug davon einzuschalten. Man legte die Zeltlager, die sich später in
schmucke hölzerne Städtchen verwandelten und in dieser Gestalt noch jetzt stehen,
gern auf Hügeln an, in deren Nähe sich eine Quelle befand. Auf feder der
ausgewählten Anhöhen war ein Viereck abgesteckt, und die Wagen der Kara-
vanen stellten sich in der Reihenfolge, in der sie eintrafen, /einen vier Seiten
entlang dermaßen in einer Doppelzeile auf, daß zwischen ihnen eine geräumige
Straße blieb. Die Zelte wurden ebenfalls in geraden Linien in dem Raume
zwischen den Wagen aufgeschlagen. Das Vieh, wovon die Wanderer gewaltige
Herden mit sich führten, wurde in hochumzäunten Hürden außerhalb des
Lagers untergebracht. Das Viereck innerhalb der Wagenburg ließ man leer,
um den Durchzug der frischen Lust zu ermöglichen. Die Gassen um die Seiten
desselben bildeten, mit Flechtwer? aus laubigen Zweigen überdeckt und sorg¬
fältig rein gehalten, einen schattigen Laubengang, auf dem sich genesende
Kranke ergingen und die Kinder spielten. Allenthalben herrschte die regste
Thätigkeit. Die Männer arbeiteten vor ihren Zelten in ihrem Handwerke,
bestellten den rasch zu Ackerland nmtnochnen Prairieboden in der Nachbar¬
schaft, gingen mit Sichel und Sense aus, um Gras für das Vieh zu mähen,
ebneten Straßen und bauten Brücken oder Fähren. An den Waldgewässern,
wo sie sich häufig länger aufhielten, sah man Scharen von Frauen und
Mädchni stehen, und weiße Wäsche, rothe Flanellhemden und buntblumige
Kattunkleider spülen oder Tausende von Quadratellen grünen Rasens mit den
gewaschenen Gegenständen bedecken, während sich rings um den lebensvollen
Flrck die stille todte Wüste breitete.

Nicht überall aber waren die Bilder der Mormonenlager so heitrer Natur.
Der Sommer von 18ni war verhängnißvoll für die Emigranten. Mehrmals
waren einzelne Trupps nahe daran, dem Mangel an Nahrung und dem
Sonnenbrande auf der nackten Steppe zu erliegen. Die ungesunde Gegend
erzeugte Fieber und Scorbut. Der Todesengel hielt eine reichliche Ernte unter
den Erschöpften, und Hunderte von Grabhügeln bezeichnen noch setzt die Stellen,
über welche das neue Israel aus dem Aegypten jenseits des Mississippi nach dem
gelobten Lande in den Bergen gezogen und auf denen es Rasttag gehalten.
Unter allen Mühsalen und Heimsuchungen aber erhielt sie ihr Glaube aufrecht.
Jeden Tag wurden einige Stunden der allgemeinen Erbauung gewidmet. Sobald
der Abend sank, schwiegen alle lauten Gespräche, geistliche Lieder ertönten und


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[0029] Kehren wir zu den ausgewanderten Mormonen zurück, so treffen wir sie in großen Lagern mitten unter den Jndianerstämmen der Omahas und Potta- wattomies, sich vorbereitend zur Weiterwanderung nach den Felsengebirgen. Oberst Kane, der diesen Zug durch die Wüste mitgemacht, schildert das Leben der Mormonenlager in seinem Berichte an die historische Gesellschaft in Phila¬ delphia mit so lebhaften Farben, daß wir uns nicht enthalten können, einen Auszug davon einzuschalten. Man legte die Zeltlager, die sich später in schmucke hölzerne Städtchen verwandelten und in dieser Gestalt noch jetzt stehen, gern auf Hügeln an, in deren Nähe sich eine Quelle befand. Auf feder der ausgewählten Anhöhen war ein Viereck abgesteckt, und die Wagen der Kara- vanen stellten sich in der Reihenfolge, in der sie eintrafen, /einen vier Seiten entlang dermaßen in einer Doppelzeile auf, daß zwischen ihnen eine geräumige Straße blieb. Die Zelte wurden ebenfalls in geraden Linien in dem Raume zwischen den Wagen aufgeschlagen. Das Vieh, wovon die Wanderer gewaltige Herden mit sich führten, wurde in hochumzäunten Hürden außerhalb des Lagers untergebracht. Das Viereck innerhalb der Wagenburg ließ man leer, um den Durchzug der frischen Lust zu ermöglichen. Die Gassen um die Seiten desselben bildeten, mit Flechtwer? aus laubigen Zweigen überdeckt und sorg¬ fältig rein gehalten, einen schattigen Laubengang, auf dem sich genesende Kranke ergingen und die Kinder spielten. Allenthalben herrschte die regste Thätigkeit. Die Männer arbeiteten vor ihren Zelten in ihrem Handwerke, bestellten den rasch zu Ackerland nmtnochnen Prairieboden in der Nachbar¬ schaft, gingen mit Sichel und Sense aus, um Gras für das Vieh zu mähen, ebneten Straßen und bauten Brücken oder Fähren. An den Waldgewässern, wo sie sich häufig länger aufhielten, sah man Scharen von Frauen und Mädchni stehen, und weiße Wäsche, rothe Flanellhemden und buntblumige Kattunkleider spülen oder Tausende von Quadratellen grünen Rasens mit den gewaschenen Gegenständen bedecken, während sich rings um den lebensvollen Flrck die stille todte Wüste breitete. Nicht überall aber waren die Bilder der Mormonenlager so heitrer Natur. Der Sommer von 18ni war verhängnißvoll für die Emigranten. Mehrmals waren einzelne Trupps nahe daran, dem Mangel an Nahrung und dem Sonnenbrande auf der nackten Steppe zu erliegen. Die ungesunde Gegend erzeugte Fieber und Scorbut. Der Todesengel hielt eine reichliche Ernte unter den Erschöpften, und Hunderte von Grabhügeln bezeichnen noch setzt die Stellen, über welche das neue Israel aus dem Aegypten jenseits des Mississippi nach dem gelobten Lande in den Bergen gezogen und auf denen es Rasttag gehalten. Unter allen Mühsalen und Heimsuchungen aber erhielt sie ihr Glaube aufrecht. Jeden Tag wurden einige Stunden der allgemeinen Erbauung gewidmet. Sobald der Abend sank, schwiegen alle lauten Gespräche, geistliche Lieder ertönten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/29>, abgerufen am 01.07.2024.