Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.Bedürfniß zu entsprechen, das unsre gegenwärtigen musikalischen Zustände aller¬ Der Grund liegt ohne Zweifel in dem Uebergewicht, welches neuerdings Was Gades Musik anlangt, von welcher diese lange Betrachtung aus¬ Bedürfniß zu entsprechen, das unsre gegenwärtigen musikalischen Zustände aller¬ Der Grund liegt ohne Zweifel in dem Uebergewicht, welches neuerdings Was Gades Musik anlangt, von welcher diese lange Betrachtung aus¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99680"/> <p xml:id="ID_1012" prev="#ID_1011"> Bedürfniß zu entsprechen, das unsre gegenwärtigen musikalischen Zustände aller¬<lb/> dings hervorgerufen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1013"> Der Grund liegt ohne Zweifel in dem Uebergewicht, welches neuerdings<lb/> das Concert vor der Kirche und Oper dem musikalischen Publicum gegenüber<lb/> gewonnen hat. Das Vorherrschen der Instrumentalmusik, welches heutzutage<lb/> unleugbar ist, hat wesentlich dazu beigetragen, den Concerten dieses Uebergewicht<lb/> zu verschaffen; da man die Gesangsmusik dort nicht ausschließen kann, noch<lb/> will, macht sich die Forderung mit Nothwendigkeit geltend, theils die bedeuten¬<lb/> den Kräfte, welche in Singakademien und Gesangvereinen überall zuwachsen,<lb/> angemessen zu verwenden, theils größere Werke aufzuführen, welche nicht andern<lb/> Gebieten entlehnt, sondern dem Concertsaal eigenthümlich sind. Das Bestreben,<lb/> dieser Forderung zu genügen, ist gerechtfertigt und löblich, nur darf man nicht<lb/> wähnen, das Ziel wahrer Concertmusik zu erreichen, wenn man aus andern<lb/> Gattungen Entlehntes zusammenstückt. Der Erfolgwelchen Mendelssohns<lb/> Regeneration des Oratoriums hatte, die Entwicklung der Liedercomposition und<lb/> das immermehr überhandnehmende Eindringen des Liedes in den Concertsaal<lb/> haben auf die Versuche mit einer ausgeführten Conccrtballade entschieden Ein¬<lb/> fluß gehabt; auch die Neigung zu dramatisirender Charakteristik ist ein vorherr¬<lb/> schender Zug unsrer musikalischen Gegenwart. Daß trotz dieser dramatischen<lb/> Velleitäten so gar wenig auf dem Gebiet der deutschen Oper geleistet wir?, ist<lb/> kein günstiges Zeichen für ihre Lebenskraft; und wieweit auch Wagner von<lb/> dem Ziel einerNeugestaltung der Oper entfernt bleibt, die Anerkennung gebührt<lb/> ihm, daß er mit Entschlossenheit auf dasselbe losgeht. Denn allerdings ist eS<lb/> eine falsche Stellung der Concertmusik, wenn sie die herrschende ist; fielst ihrer<lb/> Natur nach eklektisch und wenn sie einseitig das musikalische Interesse und die<lb/> musikalische Production absorbirt. wenn sie die Wurzeln deS musikalischen<lb/> Lebens in der Kirche und in der Oper, im Hause und im Freien verdorren<lb/> macht, welche ihr frische Kraft zuführen sollen, wird sie bald so hohl und nichtig<lb/> werden, wie das gebildete Publicum, welches ^sich in den Concertsaal drängt,<lb/> um seine Toilette zu zeigen und in der Gesellschaft über Musik zu schwatzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1014" next="#ID_1015"> Was Gades Musik anlangt, von welcher diese lange Betrachtung aus¬<lb/> ging, so ist sie, wie man es von Gabe erwarten kann , abgerundet und fein<lb/> der Form nach, ohne störende Uebertreibungen und Erceutricitälen und besonders<lb/> von dem Wohlklang, welcher seine Compositionen so vortheilhaft vor vielen<lb/> neueren auszeichnet. Aber neu und eigenthümlich ist sie weder andern seiner<lb/> Werke, noch andern Componisten gegenüber. Auffallend ist es, daß ein gewisses<lb/> nordisches Colorit, das sich sonst in Gadeschen Compositionen sehr oft aus¬<lb/> spricht, wo es sich nur als ein Moment seiner individuellen Natur geltend<lb/> macht, hier, wo es durch den Stoff und dessen Form indicirt wird, gar nicht<lb/> zum Vorschein kommt. Die Chöre verrathen nichts von der etwas herben Kraft,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Bedürfniß zu entsprechen, das unsre gegenwärtigen musikalischen Zustände aller¬
dings hervorgerufen haben.
Der Grund liegt ohne Zweifel in dem Uebergewicht, welches neuerdings
das Concert vor der Kirche und Oper dem musikalischen Publicum gegenüber
gewonnen hat. Das Vorherrschen der Instrumentalmusik, welches heutzutage
unleugbar ist, hat wesentlich dazu beigetragen, den Concerten dieses Uebergewicht
zu verschaffen; da man die Gesangsmusik dort nicht ausschließen kann, noch
will, macht sich die Forderung mit Nothwendigkeit geltend, theils die bedeuten¬
den Kräfte, welche in Singakademien und Gesangvereinen überall zuwachsen,
angemessen zu verwenden, theils größere Werke aufzuführen, welche nicht andern
Gebieten entlehnt, sondern dem Concertsaal eigenthümlich sind. Das Bestreben,
dieser Forderung zu genügen, ist gerechtfertigt und löblich, nur darf man nicht
wähnen, das Ziel wahrer Concertmusik zu erreichen, wenn man aus andern
Gattungen Entlehntes zusammenstückt. Der Erfolgwelchen Mendelssohns
Regeneration des Oratoriums hatte, die Entwicklung der Liedercomposition und
das immermehr überhandnehmende Eindringen des Liedes in den Concertsaal
haben auf die Versuche mit einer ausgeführten Conccrtballade entschieden Ein¬
fluß gehabt; auch die Neigung zu dramatisirender Charakteristik ist ein vorherr¬
schender Zug unsrer musikalischen Gegenwart. Daß trotz dieser dramatischen
Velleitäten so gar wenig auf dem Gebiet der deutschen Oper geleistet wir?, ist
kein günstiges Zeichen für ihre Lebenskraft; und wieweit auch Wagner von
dem Ziel einerNeugestaltung der Oper entfernt bleibt, die Anerkennung gebührt
ihm, daß er mit Entschlossenheit auf dasselbe losgeht. Denn allerdings ist eS
eine falsche Stellung der Concertmusik, wenn sie die herrschende ist; fielst ihrer
Natur nach eklektisch und wenn sie einseitig das musikalische Interesse und die
musikalische Production absorbirt. wenn sie die Wurzeln deS musikalischen
Lebens in der Kirche und in der Oper, im Hause und im Freien verdorren
macht, welche ihr frische Kraft zuführen sollen, wird sie bald so hohl und nichtig
werden, wie das gebildete Publicum, welches ^sich in den Concertsaal drängt,
um seine Toilette zu zeigen und in der Gesellschaft über Musik zu schwatzen.
Was Gades Musik anlangt, von welcher diese lange Betrachtung aus¬
ging, so ist sie, wie man es von Gabe erwarten kann , abgerundet und fein
der Form nach, ohne störende Uebertreibungen und Erceutricitälen und besonders
von dem Wohlklang, welcher seine Compositionen so vortheilhaft vor vielen
neueren auszeichnet. Aber neu und eigenthümlich ist sie weder andern seiner
Werke, noch andern Componisten gegenüber. Auffallend ist es, daß ein gewisses
nordisches Colorit, das sich sonst in Gadeschen Compositionen sehr oft aus¬
spricht, wo es sich nur als ein Moment seiner individuellen Natur geltend
macht, hier, wo es durch den Stoff und dessen Form indicirt wird, gar nicht
zum Vorschein kommt. Die Chöre verrathen nichts von der etwas herben Kraft,
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