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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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in Bxigham Noung aus den zwölf Aposteln ein anderes Oberhaupt,
bauten an ihrem Tempel fort und gingen ihren Geschäften nach. Uoung war
nicht zum Märtyrer geschaffen, aber seine Schlauheit und seine Zähigkeit in¬
mitten von Gefahren und Widerwärtigkeiten war wo möglich noch größer als
die des Ermordeten. Alles wurde von ihm vermieden, was die "Heiden" zu
neuen Angriffen herausfordern konnte. Dies gelang aber bei der tiefen Er¬
bitterung der Seinen und der nicht minder tiefen auf entgegengesetzter Seite
nur kurze Zeit. Schon im Herbste ->8is begannen die Feindseligkeiten aufs
neue. Da griff endlich unter den Leitern der Sekte die Ueberzeugung Platz,
daß hier keines Bleibens mehr für sie und ihr Volk sei und, nach einer Be¬
rathung mit dem letztern gaben sie ihren Bedrängern das Versprechen, im
Lause des nächsten Jahres über die Westgrenze der Union auswandern zu wollen.

Nachdem im Februar 18i6, während der Mississippi noch mit Eis bedeckt
war, eine starke Kundschafterschar als Vortrab ausgezogen war und unter unsäg¬
lichen Leiden und Beschwerden aus den öden Prairien von Iowa den obern
Missouri erreicht und dort eine vorläufige Zeltstäbe gegründet hatte,- folgten
etliche Monate später in unabsehbaren Karavanen von Wagen, Karren, Reitern
und Fußgängern mit Weib und Kind und dem besten Theile ihrer beweglichen
Habe die meisten übrigen Bewohner Nauvoos den Brüdern nach dem fernen
Westen. Ehe sie abzogen, hatten sie ihren Tempel vollendet und in ihm mit
großer Pracht unter Pauken- und Posaunenschall den Abschiedsgottcödienst
gehalten. Nur einige Tausende, welche noch nicht Gelegenheit gefunden hatten,
ihre liegenden Gründe zu veräußern, waren zurückgeblieben, um sobald als
thunlich nachzurücken. Diesen würde die Tempelweihe als Beweis aufgelegt, ,
daß sie sich in der Stadt zu behaupten gedächten. Wieder rottete sich der
Pöbel von Illinois zusammen, und im September kam es zu einem Sturme
auf Nauvoo. Die Mormonen, geführt von ihrem Generale Wells, vertheidigten
sich gegen die mit Kanonen versehenen Angreifer auf das Unerschrockenste,
mußten aber doch schließlich in einen Vertrag willigen, der sie zu augenblicklichem
Abzüge aus der Stadt verpflichtete, welche hierauf von den Siegern in Besitz
genommen wurde.

Nauvoo hat seitdem halb wüste gelegen. Cadets Ikarier, welche sich -I8i'>)
hier ansiedelten, haben ihr den alten Glanz nicht wiederzugeben vermocht.
Der Tempel ist im October 18-!8, von schnödem Muthwillen in Brand gesteckt,
bis auf die Mauern niedergebrannt und durch einen bald nachher das Mississippi¬
thal durchwüthenden Tomato vollends in einen Trümmerhaufen verwandelt
worden. Der goldne Engel aber, der, eine Posaune in der Hand, seine Thurm-
spitze schmückte, ist durch eine seltsame Fügung dahin gewandert, wohin der
Gipfelpunkt dieses Symbols, des Mormonenthums gehörte -- in BarnumS,
des HumbugmacherS, Neuyorker Raritätencabinet, wo er noch.heute gezeigt wird.


in Bxigham Noung aus den zwölf Aposteln ein anderes Oberhaupt,
bauten an ihrem Tempel fort und gingen ihren Geschäften nach. Uoung war
nicht zum Märtyrer geschaffen, aber seine Schlauheit und seine Zähigkeit in¬
mitten von Gefahren und Widerwärtigkeiten war wo möglich noch größer als
die des Ermordeten. Alles wurde von ihm vermieden, was die „Heiden" zu
neuen Angriffen herausfordern konnte. Dies gelang aber bei der tiefen Er¬
bitterung der Seinen und der nicht minder tiefen auf entgegengesetzter Seite
nur kurze Zeit. Schon im Herbste ->8is begannen die Feindseligkeiten aufs
neue. Da griff endlich unter den Leitern der Sekte die Ueberzeugung Platz,
daß hier keines Bleibens mehr für sie und ihr Volk sei und, nach einer Be¬
rathung mit dem letztern gaben sie ihren Bedrängern das Versprechen, im
Lause des nächsten Jahres über die Westgrenze der Union auswandern zu wollen.

Nachdem im Februar 18i6, während der Mississippi noch mit Eis bedeckt
war, eine starke Kundschafterschar als Vortrab ausgezogen war und unter unsäg¬
lichen Leiden und Beschwerden aus den öden Prairien von Iowa den obern
Missouri erreicht und dort eine vorläufige Zeltstäbe gegründet hatte,- folgten
etliche Monate später in unabsehbaren Karavanen von Wagen, Karren, Reitern
und Fußgängern mit Weib und Kind und dem besten Theile ihrer beweglichen
Habe die meisten übrigen Bewohner Nauvoos den Brüdern nach dem fernen
Westen. Ehe sie abzogen, hatten sie ihren Tempel vollendet und in ihm mit
großer Pracht unter Pauken- und Posaunenschall den Abschiedsgottcödienst
gehalten. Nur einige Tausende, welche noch nicht Gelegenheit gefunden hatten,
ihre liegenden Gründe zu veräußern, waren zurückgeblieben, um sobald als
thunlich nachzurücken. Diesen würde die Tempelweihe als Beweis aufgelegt, ,
daß sie sich in der Stadt zu behaupten gedächten. Wieder rottete sich der
Pöbel von Illinois zusammen, und im September kam es zu einem Sturme
auf Nauvoo. Die Mormonen, geführt von ihrem Generale Wells, vertheidigten
sich gegen die mit Kanonen versehenen Angreifer auf das Unerschrockenste,
mußten aber doch schließlich in einen Vertrag willigen, der sie zu augenblicklichem
Abzüge aus der Stadt verpflichtete, welche hierauf von den Siegern in Besitz
genommen wurde.

Nauvoo hat seitdem halb wüste gelegen. Cadets Ikarier, welche sich -I8i'>)
hier ansiedelten, haben ihr den alten Glanz nicht wiederzugeben vermocht.
Der Tempel ist im October 18-!8, von schnödem Muthwillen in Brand gesteckt,
bis auf die Mauern niedergebrannt und durch einen bald nachher das Mississippi¬
thal durchwüthenden Tomato vollends in einen Trümmerhaufen verwandelt
worden. Der goldne Engel aber, der, eine Posaune in der Hand, seine Thurm-
spitze schmückte, ist durch eine seltsame Fügung dahin gewandert, wohin der
Gipfelpunkt dieses Symbols, des Mormonenthums gehörte — in BarnumS,
des HumbugmacherS, Neuyorker Raritätencabinet, wo er noch.heute gezeigt wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/28>, abgerufen am 01.07.2024.