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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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mus selbst das Zion des Mississippi überragte, beliefen sich nach deutschem
Gelde auf nicht weniger als 700,000 Thaler.

Das Mormonenthum war im Jahre 1844 eine festbegründete, wohlge¬
gliederte Macht. Es war binnen vierzehn Jahren trotz vielfacher und zum
Theil verdienter Verfolgungen aus einer Gemeinde von acht Personen zu einer
Kirche von hunderttausend Bekennern, die über die ganze Erde zerstreut waren,
angewachsen, und es hatte eine Stadt gegründet, die, ehe drei Jahre verflossen,
bereits zwanzigtausend Einwohner zählte. Smith behauptete unter diesen ein
beinahe unbeschränktes Ansehen. Er erwarb Reichthum, ward Bürgermeister
von Nauvoo, sowie General der 2000 Mann starken, aus den Zeughäusern
des Staates bewaffneten Legion der Stadt, und hatte im Mai des ebenge¬
nannten Jahres sogar die Kühnheit, neben Clay und Calhoun als Bewerber
um das Prästdentenamt der Vereinigten Staaten aufzutreten. Da plötzlich
erreichte ihn sein Verhängniß.

Das Gedeihen der Sekte, verbunden mit ihrem Hochmuthe gegen die
Ungläubigen, verdroß die Nachbarn. Gerüchte gaben Smith und seinen zwölf
Aposteln Schuld, insgeheim unter dem Vorwande eines göttlichen Gebots an
der Einführung der Vielweiberei zu arbeiten, Frauen zu verführen und die
schändlichsten Orgien zu feiern. Im Innern erhob sich eine Partei, welche
diese Gerüchte bestätigte und in einer Zeitung, dem Erpositor von Nauvoo,
Beweise dazu lieferte. Smith ließ die Presse dieses Blattes zerstören. Darauf
wurden jene bei den Gerichten klagbar, und als der Prophet, von diesen vor-
gefordert, sich zu stellen zögerte, sammelte sich die Miliz der umliegenden Graf¬
schaften, um den Widerspenstigen mit Gewalt der Waffen zum Gehorsam zu
nöthigen. Davon benachrichtigt, eilte der Gouverneur des Staates Illinois
auis den Schauplatz, um Blutvergießen zu verhindern. Am 24. Juni über¬
lieferten sich ihm auf sein Versprechen, sie vor Gewaltthat zu schützen, der
^ophet, sein Bruder Hyram und die Apostel Richards und Taylor, und die
Legion legte die Waffen nieder. Diese Nachgiebigkeit verfehlte ihre Wirkung
auf die Gegner. Der Haß war zu groß geworden, er bedürfte ein Opfer.
Nachdem Smith und die übrigen Verhafteten in das Gefängniß des Graf-
schaftssttzes Carthage abgeführt worden, um dort ihre Aburtheilung wegen
Friedensbruch zu erwarten, stürmte in Abwesenheit des Gouverneurs eine Rotte
Vermummter das Haus, überwältigte die Wache und erschoß Smith und seinen
Bruder in meuchlerischer Weise.

Die Mormonen verhielten sich auf die Nachricht von dieser That wider¬
rechtlicher Selbsthilfe, von ihren Führern zur Mäßigung ermahnt, ruhig. Den
Tod des Propheten rächen, hätte den Faden des Schwerts, das über ihrer
aller Häuptern hing, durchschneide" geheißen, und so begnügten sie sich ihn zu
beklagen. Auf Regelung ihrer innern Angelegenheiten bedacht wählten sie sich


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mus selbst das Zion des Mississippi überragte, beliefen sich nach deutschem
Gelde auf nicht weniger als 700,000 Thaler.

Das Mormonenthum war im Jahre 1844 eine festbegründete, wohlge¬
gliederte Macht. Es war binnen vierzehn Jahren trotz vielfacher und zum
Theil verdienter Verfolgungen aus einer Gemeinde von acht Personen zu einer
Kirche von hunderttausend Bekennern, die über die ganze Erde zerstreut waren,
angewachsen, und es hatte eine Stadt gegründet, die, ehe drei Jahre verflossen,
bereits zwanzigtausend Einwohner zählte. Smith behauptete unter diesen ein
beinahe unbeschränktes Ansehen. Er erwarb Reichthum, ward Bürgermeister
von Nauvoo, sowie General der 2000 Mann starken, aus den Zeughäusern
des Staates bewaffneten Legion der Stadt, und hatte im Mai des ebenge¬
nannten Jahres sogar die Kühnheit, neben Clay und Calhoun als Bewerber
um das Prästdentenamt der Vereinigten Staaten aufzutreten. Da plötzlich
erreichte ihn sein Verhängniß.

Das Gedeihen der Sekte, verbunden mit ihrem Hochmuthe gegen die
Ungläubigen, verdroß die Nachbarn. Gerüchte gaben Smith und seinen zwölf
Aposteln Schuld, insgeheim unter dem Vorwande eines göttlichen Gebots an
der Einführung der Vielweiberei zu arbeiten, Frauen zu verführen und die
schändlichsten Orgien zu feiern. Im Innern erhob sich eine Partei, welche
diese Gerüchte bestätigte und in einer Zeitung, dem Erpositor von Nauvoo,
Beweise dazu lieferte. Smith ließ die Presse dieses Blattes zerstören. Darauf
wurden jene bei den Gerichten klagbar, und als der Prophet, von diesen vor-
gefordert, sich zu stellen zögerte, sammelte sich die Miliz der umliegenden Graf¬
schaften, um den Widerspenstigen mit Gewalt der Waffen zum Gehorsam zu
nöthigen. Davon benachrichtigt, eilte der Gouverneur des Staates Illinois
auis den Schauplatz, um Blutvergießen zu verhindern. Am 24. Juni über¬
lieferten sich ihm auf sein Versprechen, sie vor Gewaltthat zu schützen, der
^ophet, sein Bruder Hyram und die Apostel Richards und Taylor, und die
Legion legte die Waffen nieder. Diese Nachgiebigkeit verfehlte ihre Wirkung
auf die Gegner. Der Haß war zu groß geworden, er bedürfte ein Opfer.
Nachdem Smith und die übrigen Verhafteten in das Gefängniß des Graf-
schaftssttzes Carthage abgeführt worden, um dort ihre Aburtheilung wegen
Friedensbruch zu erwarten, stürmte in Abwesenheit des Gouverneurs eine Rotte
Vermummter das Haus, überwältigte die Wache und erschoß Smith und seinen
Bruder in meuchlerischer Weise.

Die Mormonen verhielten sich auf die Nachricht von dieser That wider¬
rechtlicher Selbsthilfe, von ihren Führern zur Mäßigung ermahnt, ruhig. Den
Tod des Propheten rächen, hätte den Faden des Schwerts, das über ihrer
aller Häuptern hing, durchschneide» geheißen, und so begnügten sie sich ihn zu
beklagen. Auf Regelung ihrer innern Angelegenheiten bedacht wählten sie sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/27>, abgerufen am 01.07.2024.