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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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hier Gerüchte im Umlauf. Ich weiß nicht wieweit man denselben trauen darf;
indeß stimmen die Angaben mehrer von dorther zurückgekehrten Händler darin über-
ein, daß der Typhus, namentlich uuter den Franzosen, um sich zu greifen beginnt.
Der Feind mag nicht weniger durch Krankheiten leiden, nur bringen wir es hier
nicht in Erfahrung.

Es ist ein übel Ding, ans einer Sphäre heraus zu berichten, in der die fal¬
schen Gerüchte und Erfindungen die Oberhand haben und selbst exacte Nachrichten
nur selten sich unentstellt fortpflanzen. Pera hat neuerdings im Besondern die
Tendenz zum Dnnkelschcn, und so ist es möglich, daß meine Briefe neuerdings
eine minder helle Farbe tragen, als die Umstände bedingen. Zum großen Trost
hat eS mir gereicht, daß die Angaben über ein im Ausbruch begriffenes ernstes
Mißverständniß zwischen den Cabinctcn von London und Paris unbegründet gewesen
sind. Wer hier zu einem verständigen Urtheil befähigt ist, wird sich sagen müssen:
wie auf der Dauer dieses zur rechten Zeit geschlossenen Bundes das Ziel Europas
beruht, und daß möglicherweise dieser Krieg die letzte Gelegenheit bietet, unsres
Welttheils Zukunft, seine Unabhängigkeit und freie Entwicklung zu sichern. Im
Besondern erscheint mir für die Türkei die Aufrechterhaltung der englisch-französischen
Allianz als eine Lebensfrage.

Ich kann nicht umhin zu bemerken: daß die Nachricht, wonach General von
Prokesch-Osten eine andre Bestimmung erhalten und demzufolge nicht hierher kom¬
men wird, nur angenehm herrührt hat. Ohne dem vielgerühmten und an mancher
Stelle von Oestreich bewährt erfundenen Staatsmann zu nahe treten zu wollen, muß
sich doch jedermann sagen, daß er nicht der Mann ist, hier die Nachbargroßmacht
zu vertreten. Dieser Mann war Baron von Brück durch und durch und in dieser
Beziehung kaun es nicht genug bedauert werden, daß er nach so kurzem, wenn anch
erfolgreichen Wirken von hier abberufen wurde.

Seit gestern Abend wüthet hier ein äußerst heftiger Sturm
aus Süd, dessen Gewalt beinahe an die des verhängnißvollen Novcmberorkans
hinanrcicht. Marmorascc und Bosporus gehen mit hohen Wogen und nur asiati¬
schen Gestade von Kadikoj her bis zur Harem Stelle und darüber hinaus richtet
sich, wie eine Wand, die Brandung auf, aus der dann und wann gleich krystall-
nen Pfeilern riesige Wassersäulen zu enormer Höhe sich erheben und unter Negen-
bogengeflimmer zusammenbrechen. Leider steht zu vermuthen, daß diese mächtigen
Windstöße, uuter denen das freistehende Landhaus, in welchem ich Ihnen schreibe,
bis zu seinen Fundamenten zittert, aus dem Pontus erhebliche Verwüstungen an¬
richten werden. Mehre Steamer. welche heute früh nach dem schwarzen Meere aus¬
gehen sollten, liegen noch ans der Rhede am Eingänge der Meerenge, um eine
Linderung des Wetters zu erwarten.

Im Uebrigen ist kaum etwas Bemerkenswerthes von hier zu berichten. Das
heute erschienene Konstantinvpler Journal theilt den Artikel des Moniteur vom
11. April mit, welcher viele Leser findet und aus den ich in meinem nächsten
Briefe näher eingehen werde, falls mir bis dahin das Supplement des Artikels,
welches die Mouiteurnummcr vom 16. April, wie ich höre, enthält, zugegangen
sein wird. -- Die Vorbereitungen zum Empfang des Kaisers der Franzosen dauern


hier Gerüchte im Umlauf. Ich weiß nicht wieweit man denselben trauen darf;
indeß stimmen die Angaben mehrer von dorther zurückgekehrten Händler darin über-
ein, daß der Typhus, namentlich uuter den Franzosen, um sich zu greifen beginnt.
Der Feind mag nicht weniger durch Krankheiten leiden, nur bringen wir es hier
nicht in Erfahrung.

Es ist ein übel Ding, ans einer Sphäre heraus zu berichten, in der die fal¬
schen Gerüchte und Erfindungen die Oberhand haben und selbst exacte Nachrichten
nur selten sich unentstellt fortpflanzen. Pera hat neuerdings im Besondern die
Tendenz zum Dnnkelschcn, und so ist es möglich, daß meine Briefe neuerdings
eine minder helle Farbe tragen, als die Umstände bedingen. Zum großen Trost
hat eS mir gereicht, daß die Angaben über ein im Ausbruch begriffenes ernstes
Mißverständniß zwischen den Cabinctcn von London und Paris unbegründet gewesen
sind. Wer hier zu einem verständigen Urtheil befähigt ist, wird sich sagen müssen:
wie auf der Dauer dieses zur rechten Zeit geschlossenen Bundes das Ziel Europas
beruht, und daß möglicherweise dieser Krieg die letzte Gelegenheit bietet, unsres
Welttheils Zukunft, seine Unabhängigkeit und freie Entwicklung zu sichern. Im
Besondern erscheint mir für die Türkei die Aufrechterhaltung der englisch-französischen
Allianz als eine Lebensfrage.

Ich kann nicht umhin zu bemerken: daß die Nachricht, wonach General von
Prokesch-Osten eine andre Bestimmung erhalten und demzufolge nicht hierher kom¬
men wird, nur angenehm herrührt hat. Ohne dem vielgerühmten und an mancher
Stelle von Oestreich bewährt erfundenen Staatsmann zu nahe treten zu wollen, muß
sich doch jedermann sagen, daß er nicht der Mann ist, hier die Nachbargroßmacht
zu vertreten. Dieser Mann war Baron von Brück durch und durch und in dieser
Beziehung kaun es nicht genug bedauert werden, daß er nach so kurzem, wenn anch
erfolgreichen Wirken von hier abberufen wurde.

Seit gestern Abend wüthet hier ein äußerst heftiger Sturm
aus Süd, dessen Gewalt beinahe an die des verhängnißvollen Novcmberorkans
hinanrcicht. Marmorascc und Bosporus gehen mit hohen Wogen und nur asiati¬
schen Gestade von Kadikoj her bis zur Harem Stelle und darüber hinaus richtet
sich, wie eine Wand, die Brandung auf, aus der dann und wann gleich krystall-
nen Pfeilern riesige Wassersäulen zu enormer Höhe sich erheben und unter Negen-
bogengeflimmer zusammenbrechen. Leider steht zu vermuthen, daß diese mächtigen
Windstöße, uuter denen das freistehende Landhaus, in welchem ich Ihnen schreibe,
bis zu seinen Fundamenten zittert, aus dem Pontus erhebliche Verwüstungen an¬
richten werden. Mehre Steamer. welche heute früh nach dem schwarzen Meere aus¬
gehen sollten, liegen noch ans der Rhede am Eingänge der Meerenge, um eine
Linderung des Wetters zu erwarten.

Im Uebrigen ist kaum etwas Bemerkenswerthes von hier zu berichten. Das
heute erschienene Konstantinvpler Journal theilt den Artikel des Moniteur vom
11. April mit, welcher viele Leser findet und aus den ich in meinem nächsten
Briefe näher eingehen werde, falls mir bis dahin das Supplement des Artikels,
welches die Mouiteurnummcr vom 16. April, wie ich höre, enthält, zugegangen
sein wird. — Die Vorbereitungen zum Empfang des Kaisers der Franzosen dauern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/278>, abgerufen am 29.06.2024.