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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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zehn Stämme Israels. In der Buchdruckerei, wohin das Manuscript dieses
wunderlichen Werks gegeben worden war, hatte ein nachmaliger Spießgesell
Smiths, Namens Sidney Rigdon, gearbeitet. Dieser eignete sich, durch ver¬
schiedene Umstände begünstigt, die Arbeit Spaldings zu und prägte sie mit
Smith in ein Religionsbuch um, worauf die Fabel vom Funde der Metall¬
platten ausgesprengt und zugleich die Nachricht verbreitet wurde, der ehemalige
Tagedieb und Schatzgräber sei von Gott mit Stiftung einer neuen Religion
beauftragt worden. Für diesen Zweck war besonders Rigdon thätig. Er
hatte sich aus einem Buchdrucker durch einen in Amerika nichts weniger als
ungewöhnlichen Häulungsproeeß in einen Prediger verwandelt und im Städt¬
chen Mentor in Nordohio eine Gemeinde um sich gesammelt, welche er durch
den Vortrag chiliastischer Träumereien für das Platzen der Bombe in Man¬
chester vorzubereiten beflissen war. Dies gelang ihm so gut, daß, als Smith
von ihm eingeladen seinen Wohnsitz vom Staate Neuyork nach Ohio ver¬
legte, mehre hundert Gläubige bereit waren, sich von ihm auf sein neues
Evangelium taufen zu lassen.

Der Mittelpunkt der "Kirche" wurde zunächst das Städtchen Kirtland in Ohio,
welches in Schinear umgetauft wurde und wo sich nun eine Scene der ungeberdigsteu
Inbrunst entwickelte. Ueber die Bekehrten war der heilige Geist ausgegossen worden.
Man redete in Zungen, hörte Stimmen vom Himmel, sah Pergamentrollen aus den
Wolken satten, die nicht sobald abgeschrieben waren, als sie verschwanden. Männer
und Weiber weissagten, predigten und stöhnten um die Wette. Es war, als
ob sie allesammt in Propheten verwandelt wären. Smith benutzte diese Begei¬
sterung. Die meisten der Männer wurden unverzüglich zu Priestern und Aeltesten
geweiht und hinausgesandt, um in den Städten und Dörfern des> Landes das
Volk zum Anschlusse an die Sekte zu gewinnen. Zhre Reden waren nicht
ohne Erfolg, und die Anhänger des Propheten von Kirtland wuchsen von
Hunderten auf Tausende. Man gründete in der Nähe des Städtchens Jnde-
pendence in Missouri eine zweite Niederlassung,, die bald noch besser gedieh,
als die erste, und von welcher Smith, der jetzt von Offenbarungen zum Theil
sehr naiver An förmlich überfloß, nicht ohne Grund zu weissagen schien, sie
werde dereinst blühen wie eine Rose in der Wüste. Indeß hatten sich unter
den Mormonen, wie die Sekte jetzt von der profanen Welt genannt wurde,
wahrend sie selbst sich als ..l.Mor6a?-3akut,s", d.' i. Heilige vom jüngsten Tage
bezeichneten, neben redlicher Einfall auch manche zweideutige Persönlichkeiten,
z. B. Pferdediebe und Falschmünzer eingefunden, welche unter der Maske der
Frömmigkeit im Trüben fischen wollten, und diese trieben allerlei Ungebühr.
Dazu kam, daß der Prophet lehrte, der Tag sei nicht fern, wo Jehova ihnen
und den Indianern alles Land im Westen verleihen und alle Heiden, wie er
die Nichtmormonen nannte, durch ihre Hand vertilgen werde. Dies mißfiel


Grenzboten. II. tLüü. z

zehn Stämme Israels. In der Buchdruckerei, wohin das Manuscript dieses
wunderlichen Werks gegeben worden war, hatte ein nachmaliger Spießgesell
Smiths, Namens Sidney Rigdon, gearbeitet. Dieser eignete sich, durch ver¬
schiedene Umstände begünstigt, die Arbeit Spaldings zu und prägte sie mit
Smith in ein Religionsbuch um, worauf die Fabel vom Funde der Metall¬
platten ausgesprengt und zugleich die Nachricht verbreitet wurde, der ehemalige
Tagedieb und Schatzgräber sei von Gott mit Stiftung einer neuen Religion
beauftragt worden. Für diesen Zweck war besonders Rigdon thätig. Er
hatte sich aus einem Buchdrucker durch einen in Amerika nichts weniger als
ungewöhnlichen Häulungsproeeß in einen Prediger verwandelt und im Städt¬
chen Mentor in Nordohio eine Gemeinde um sich gesammelt, welche er durch
den Vortrag chiliastischer Träumereien für das Platzen der Bombe in Man¬
chester vorzubereiten beflissen war. Dies gelang ihm so gut, daß, als Smith
von ihm eingeladen seinen Wohnsitz vom Staate Neuyork nach Ohio ver¬
legte, mehre hundert Gläubige bereit waren, sich von ihm auf sein neues
Evangelium taufen zu lassen.

Der Mittelpunkt der „Kirche" wurde zunächst das Städtchen Kirtland in Ohio,
welches in Schinear umgetauft wurde und wo sich nun eine Scene der ungeberdigsteu
Inbrunst entwickelte. Ueber die Bekehrten war der heilige Geist ausgegossen worden.
Man redete in Zungen, hörte Stimmen vom Himmel, sah Pergamentrollen aus den
Wolken satten, die nicht sobald abgeschrieben waren, als sie verschwanden. Männer
und Weiber weissagten, predigten und stöhnten um die Wette. Es war, als
ob sie allesammt in Propheten verwandelt wären. Smith benutzte diese Begei¬
sterung. Die meisten der Männer wurden unverzüglich zu Priestern und Aeltesten
geweiht und hinausgesandt, um in den Städten und Dörfern des> Landes das
Volk zum Anschlusse an die Sekte zu gewinnen. Zhre Reden waren nicht
ohne Erfolg, und die Anhänger des Propheten von Kirtland wuchsen von
Hunderten auf Tausende. Man gründete in der Nähe des Städtchens Jnde-
pendence in Missouri eine zweite Niederlassung,, die bald noch besser gedieh,
als die erste, und von welcher Smith, der jetzt von Offenbarungen zum Theil
sehr naiver An förmlich überfloß, nicht ohne Grund zu weissagen schien, sie
werde dereinst blühen wie eine Rose in der Wüste. Indeß hatten sich unter
den Mormonen, wie die Sekte jetzt von der profanen Welt genannt wurde,
wahrend sie selbst sich als ..l.Mor6a?-3akut,s", d.' i. Heilige vom jüngsten Tage
bezeichneten, neben redlicher Einfall auch manche zweideutige Persönlichkeiten,
z. B. Pferdediebe und Falschmünzer eingefunden, welche unter der Maske der
Frömmigkeit im Trüben fischen wollten, und diese trieben allerlei Ungebühr.
Dazu kam, daß der Prophet lehrte, der Tag sei nicht fern, wo Jehova ihnen
und den Indianern alles Land im Westen verleihen und alle Heiden, wie er
die Nichtmormonen nannte, durch ihre Hand vertilgen werde. Dies mißfiel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/25>, abgerufen am 01.07.2024.