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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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bevölkerten. Die Nephiten gelangten zu hoher Cultur, und Gott der Herr
segnete ihre, durch eine Abschrift des Gesetzes Mosis und der Propheten bis
auf Jeremia geregelte Frömmigkeit durch Wohlstand und Gedeihen. Die La-
mauiten dagegen waren ein wildes und ruchloses Geschlecht, welches von Jehova
dadurch gestraft wurde, daß seine ursprünglich weiße Haut sich in ein schmuziges
Roth verwandelte. Auch die Nephiten vermochten sich mir etwa dreihundert Jahre
auf ihrem anfänglichen Standpunkte zu halten. Ihr Wohlbefinden machte sie
übermüthig und sie wichen von den Pfaden der Gerechtigkeit. Vielfach durch
Prophetenstimmen gewarnt, sanken sie dennoch immer tiefer, und so wurden sie
durch schreckliche Plagen heimgesucht, welchen der größte Theil der Nation er¬
lag. Diejenigen, welche von dieser Katastrophe verschont geblieben waren,
wurden mit einer persönlichen Erscheinung Jesu Christi begnadigt. Nachdem
dieser nun in Jerusalem gekreuzigt, von den Todten auferstanden und gen
Himmel gefahren war, stieg er in Gegenwart der Nephiten, die um ihren
Tempel im Lande Bountiful in Amerika versammelt waren, wieder zur Erde
herab, um auch hier das Evangelium zu verkünden. Er wählte sich ebenfalls
zwölf Jünger, verrichtete mancherlei Wunder und weissagte alle Dinge, die ge¬
schehen sollten bis auf den Tag seiner Wiederkunft. Dann stieg er wieder
zum Himmel auf. Seine Apostel durchzogen das Land und bekehrten das
Volk allenthalben, so daß die Nephiten fast dreihundert Jahre ein sehr gott¬
seliges Geschlecht waren. Endlich aber rissen abermals Unglauben und Unge¬
rechtigkeit ein und gegen das Ende och vierten Jahrhunderts der christlichen
Zeitrechnung hatte die Verderbniß sich zu dem Grade gesteigert, daß die Lang¬
muth des Herrn sich in strafenden Zorn verwandelte. Ein furchtbarer Krieg
brach zwischen den Lamanitern in Süden und den jetzt nur in Nordamerika
wohnenden Nephiten aus, und dessen Ausgang war die gänzliche Ausrottung
der letztern in einer dreitägigen Schlacht auf dem Hügel Cumorah. Nur der
Prophet Mormon und sein Sohn Moroni blieben übrig. Der Erstgenannte
hatte einen Auszug aus den Ueberlieferungen seiner Vorväter gemacht, den
der Sohn fortsetzte und kurz vor seinem Tode auf Gottes Geheiß in jenem
Schlachthügel verbarg, wo er nach himmlischem Rathschlusse im Jahre 1827
von Joseph Smith aufgefunden wurde.

Man sollte nicht glauben, daß dergleichen Abgeschmacktheiten, die das
Buch Mormon überdies in der plumpsten und langweiligsten Sprache vor¬
trägt, irgendwelchen Anklang finden könnten. Und doch geschah es, wiewol
bald nach Veröffentlichung der goldnen Bibel auf das überzeugendste nach¬
gewiesen wurde, dieselbe sei nichts mehr noch weniger als die Umarbeitung
eines von Salomon Spalding, einem Geistlichen in Ohio, verfaßten Romans,
in welchem dieser, seinen Phantasien folgend, den in Amerika weitverbreiteten
Irrthum ausgesponnen hatte, die Indianer seien Nachkommen der Verlornen


bevölkerten. Die Nephiten gelangten zu hoher Cultur, und Gott der Herr
segnete ihre, durch eine Abschrift des Gesetzes Mosis und der Propheten bis
auf Jeremia geregelte Frömmigkeit durch Wohlstand und Gedeihen. Die La-
mauiten dagegen waren ein wildes und ruchloses Geschlecht, welches von Jehova
dadurch gestraft wurde, daß seine ursprünglich weiße Haut sich in ein schmuziges
Roth verwandelte. Auch die Nephiten vermochten sich mir etwa dreihundert Jahre
auf ihrem anfänglichen Standpunkte zu halten. Ihr Wohlbefinden machte sie
übermüthig und sie wichen von den Pfaden der Gerechtigkeit. Vielfach durch
Prophetenstimmen gewarnt, sanken sie dennoch immer tiefer, und so wurden sie
durch schreckliche Plagen heimgesucht, welchen der größte Theil der Nation er¬
lag. Diejenigen, welche von dieser Katastrophe verschont geblieben waren,
wurden mit einer persönlichen Erscheinung Jesu Christi begnadigt. Nachdem
dieser nun in Jerusalem gekreuzigt, von den Todten auferstanden und gen
Himmel gefahren war, stieg er in Gegenwart der Nephiten, die um ihren
Tempel im Lande Bountiful in Amerika versammelt waren, wieder zur Erde
herab, um auch hier das Evangelium zu verkünden. Er wählte sich ebenfalls
zwölf Jünger, verrichtete mancherlei Wunder und weissagte alle Dinge, die ge¬
schehen sollten bis auf den Tag seiner Wiederkunft. Dann stieg er wieder
zum Himmel auf. Seine Apostel durchzogen das Land und bekehrten das
Volk allenthalben, so daß die Nephiten fast dreihundert Jahre ein sehr gott¬
seliges Geschlecht waren. Endlich aber rissen abermals Unglauben und Unge¬
rechtigkeit ein und gegen das Ende och vierten Jahrhunderts der christlichen
Zeitrechnung hatte die Verderbniß sich zu dem Grade gesteigert, daß die Lang¬
muth des Herrn sich in strafenden Zorn verwandelte. Ein furchtbarer Krieg
brach zwischen den Lamanitern in Süden und den jetzt nur in Nordamerika
wohnenden Nephiten aus, und dessen Ausgang war die gänzliche Ausrottung
der letztern in einer dreitägigen Schlacht auf dem Hügel Cumorah. Nur der
Prophet Mormon und sein Sohn Moroni blieben übrig. Der Erstgenannte
hatte einen Auszug aus den Ueberlieferungen seiner Vorväter gemacht, den
der Sohn fortsetzte und kurz vor seinem Tode auf Gottes Geheiß in jenem
Schlachthügel verbarg, wo er nach himmlischem Rathschlusse im Jahre 1827
von Joseph Smith aufgefunden wurde.

Man sollte nicht glauben, daß dergleichen Abgeschmacktheiten, die das
Buch Mormon überdies in der plumpsten und langweiligsten Sprache vor¬
trägt, irgendwelchen Anklang finden könnten. Und doch geschah es, wiewol
bald nach Veröffentlichung der goldnen Bibel auf das überzeugendste nach¬
gewiesen wurde, dieselbe sei nichts mehr noch weniger als die Umarbeitung
eines von Salomon Spalding, einem Geistlichen in Ohio, verfaßten Romans,
in welchem dieser, seinen Phantasien folgend, den in Amerika weitverbreiteten
Irrthum ausgesponnen hatte, die Indianer seien Nachkommen der Verlornen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/24>, abgerufen am 01.07.2024.