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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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streben, alles im Zusammenhang vorzunehmen, wird diese Worte in einem
Sinn wählen, der den gesungenen Lauten entspricht. Da wir also hier sehen,
daß bei dem wichtigsten musikalischen Instrument Laut, Wort und Empfindung
nicht voneinander getrennt werden dürfen, so wird man sich dieser Trennung,
auch wenn sie zum Behuf einer abstracten Kunsttheorie geschieht, wol mit Recht
widersetzen müssen.

Was wir hier uns aus der nothwendigen Verbindung der Töne und
Worte ausgedacht haben, ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Man be¬
obachte vie Entstehung von Volksliedern. Es wird durchaus unmöglich sein,
hier festzustellen, was früher war, der Tert oder die Melodie. Es liegt wol
ursprünglich irgend ein Tert zu Grunde, aber dieser verändert und erweitert
sich im Laufe d^r Zeiten, wenn man das Ursprüngliche vergessen hat. Nicht
blos das Lied sucht seine Melodie, sondern auch die Melodie sucht ihr Lied;
und darum ist die moderne, von Mendelssohn erfundene Gattung der Lieder
ohne Worte, die auf dem Clavier zu spielen sind, so reizend sie das Talent
dieses unvergleichlichen Meisters ausgebildet hat, doch immer nur eine Spiele¬
rei, die im Grunde keine andere Berechtigung hat, als was man in Garten¬
concerten so häufig hört, wo etwa das Duett zwischen Don Juan und Zerline
von der Baßposaune und der Oboe gespielt wird. Herr Hanslick geht einmal
zwar in der That soweit, den rein musikalischen Werth des Don Juan nach
solchen Transscriptionen abschätzen zu wollen; zur Strafe für diese Sünde am
heiligen Geist sollte er aber verurtheilt werden, täglich eine halbe Stunde ein
solches Concert anhören zu müssen.

Wir behaupteten, der Ton sucht das Wort, wie das Wort den Ton.
Damit wollten wir aber keineswegs sagen, daß mit dem einem auch das an¬
dere bereits gegeben ist. Wenn Kind versicherte, man dürfe seinen schönen
grünen Jungfernkranz nur richtig aussprechen, um die Webersche Melodie zu
singen, so war das freilich ebenso thöricht, als wenn man annehmen wollte,
mit jedem männlichen Subject sei auch das weibliche zugleich gesetzt, das ihm
als Ergänzung dienen müsse. Aber allerdings wird das Eine vom Andern
gesucht, und jenachdem man geschickt oder ungeschickt verfährt, wird das
Passende oder Unpassende gefunden, grade wie es mit der Melodie der
Fall ist.

Hier wollen wir sogleich eine weitere Betrachtung anknüpfen, indem sich
oft eine doppelte Einseitigkeit geltend gemacht hat. In den Zeiten der Roman¬
tiker, wo man sich überhaupt daran gewöhnt hatte, alle möglichen Gattungen
der Kunst bunt durcheinanderzuwerfen, kam das Bemühen auf, Symphonien
in Worte zu übersetzen, und aus dieser Spielerei ging das entsprechende, noch
schlimmere Unternehmen hervor, aus Worten oder Gedanken eine Symphonie
zu machen. Jeder wahre Musiker hat sich auf das entschiedenste über die Un-


streben, alles im Zusammenhang vorzunehmen, wird diese Worte in einem
Sinn wählen, der den gesungenen Lauten entspricht. Da wir also hier sehen,
daß bei dem wichtigsten musikalischen Instrument Laut, Wort und Empfindung
nicht voneinander getrennt werden dürfen, so wird man sich dieser Trennung,
auch wenn sie zum Behuf einer abstracten Kunsttheorie geschieht, wol mit Recht
widersetzen müssen.

Was wir hier uns aus der nothwendigen Verbindung der Töne und
Worte ausgedacht haben, ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Man be¬
obachte vie Entstehung von Volksliedern. Es wird durchaus unmöglich sein,
hier festzustellen, was früher war, der Tert oder die Melodie. Es liegt wol
ursprünglich irgend ein Tert zu Grunde, aber dieser verändert und erweitert
sich im Laufe d^r Zeiten, wenn man das Ursprüngliche vergessen hat. Nicht
blos das Lied sucht seine Melodie, sondern auch die Melodie sucht ihr Lied;
und darum ist die moderne, von Mendelssohn erfundene Gattung der Lieder
ohne Worte, die auf dem Clavier zu spielen sind, so reizend sie das Talent
dieses unvergleichlichen Meisters ausgebildet hat, doch immer nur eine Spiele¬
rei, die im Grunde keine andere Berechtigung hat, als was man in Garten¬
concerten so häufig hört, wo etwa das Duett zwischen Don Juan und Zerline
von der Baßposaune und der Oboe gespielt wird. Herr Hanslick geht einmal
zwar in der That soweit, den rein musikalischen Werth des Don Juan nach
solchen Transscriptionen abschätzen zu wollen; zur Strafe für diese Sünde am
heiligen Geist sollte er aber verurtheilt werden, täglich eine halbe Stunde ein
solches Concert anhören zu müssen.

Wir behaupteten, der Ton sucht das Wort, wie das Wort den Ton.
Damit wollten wir aber keineswegs sagen, daß mit dem einem auch das an¬
dere bereits gegeben ist. Wenn Kind versicherte, man dürfe seinen schönen
grünen Jungfernkranz nur richtig aussprechen, um die Webersche Melodie zu
singen, so war das freilich ebenso thöricht, als wenn man annehmen wollte,
mit jedem männlichen Subject sei auch das weibliche zugleich gesetzt, das ihm
als Ergänzung dienen müsse. Aber allerdings wird das Eine vom Andern
gesucht, und jenachdem man geschickt oder ungeschickt verfährt, wird das
Passende oder Unpassende gefunden, grade wie es mit der Melodie der
Fall ist.

Hier wollen wir sogleich eine weitere Betrachtung anknüpfen, indem sich
oft eine doppelte Einseitigkeit geltend gemacht hat. In den Zeiten der Roman¬
tiker, wo man sich überhaupt daran gewöhnt hatte, alle möglichen Gattungen
der Kunst bunt durcheinanderzuwerfen, kam das Bemühen auf, Symphonien
in Worte zu übersetzen, und aus dieser Spielerei ging das entsprechende, noch
schlimmere Unternehmen hervor, aus Worten oder Gedanken eine Symphonie
zu machen. Jeder wahre Musiker hat sich auf das entschiedenste über die Un-


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[0216] streben, alles im Zusammenhang vorzunehmen, wird diese Worte in einem Sinn wählen, der den gesungenen Lauten entspricht. Da wir also hier sehen, daß bei dem wichtigsten musikalischen Instrument Laut, Wort und Empfindung nicht voneinander getrennt werden dürfen, so wird man sich dieser Trennung, auch wenn sie zum Behuf einer abstracten Kunsttheorie geschieht, wol mit Recht widersetzen müssen. Was wir hier uns aus der nothwendigen Verbindung der Töne und Worte ausgedacht haben, ist keineswegs aus der Luft gegriffen. Man be¬ obachte vie Entstehung von Volksliedern. Es wird durchaus unmöglich sein, hier festzustellen, was früher war, der Tert oder die Melodie. Es liegt wol ursprünglich irgend ein Tert zu Grunde, aber dieser verändert und erweitert sich im Laufe d^r Zeiten, wenn man das Ursprüngliche vergessen hat. Nicht blos das Lied sucht seine Melodie, sondern auch die Melodie sucht ihr Lied; und darum ist die moderne, von Mendelssohn erfundene Gattung der Lieder ohne Worte, die auf dem Clavier zu spielen sind, so reizend sie das Talent dieses unvergleichlichen Meisters ausgebildet hat, doch immer nur eine Spiele¬ rei, die im Grunde keine andere Berechtigung hat, als was man in Garten¬ concerten so häufig hört, wo etwa das Duett zwischen Don Juan und Zerline von der Baßposaune und der Oboe gespielt wird. Herr Hanslick geht einmal zwar in der That soweit, den rein musikalischen Werth des Don Juan nach solchen Transscriptionen abschätzen zu wollen; zur Strafe für diese Sünde am heiligen Geist sollte er aber verurtheilt werden, täglich eine halbe Stunde ein solches Concert anhören zu müssen. Wir behaupteten, der Ton sucht das Wort, wie das Wort den Ton. Damit wollten wir aber keineswegs sagen, daß mit dem einem auch das an¬ dere bereits gegeben ist. Wenn Kind versicherte, man dürfe seinen schönen grünen Jungfernkranz nur richtig aussprechen, um die Webersche Melodie zu singen, so war das freilich ebenso thöricht, als wenn man annehmen wollte, mit jedem männlichen Subject sei auch das weibliche zugleich gesetzt, das ihm als Ergänzung dienen müsse. Aber allerdings wird das Eine vom Andern gesucht, und jenachdem man geschickt oder ungeschickt verfährt, wird das Passende oder Unpassende gefunden, grade wie es mit der Melodie der Fall ist. Hier wollen wir sogleich eine weitere Betrachtung anknüpfen, indem sich oft eine doppelte Einseitigkeit geltend gemacht hat. In den Zeiten der Roman¬ tiker, wo man sich überhaupt daran gewöhnt hatte, alle möglichen Gattungen der Kunst bunt durcheinanderzuwerfen, kam das Bemühen auf, Symphonien in Worte zu übersetzen, und aus dieser Spielerei ging das entsprechende, noch schlimmere Unternehmen hervor, aus Worten oder Gedanken eine Symphonie zu machen. Jeder wahre Musiker hat sich auf das entschiedenste über die Un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/216>, abgerufen am 22.07.2024.