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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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fachsten Tonverhältnisse geben unmittelbar, real, nicht blos symbolisch, wieder
Verfasser S, -16 meint, einen bestimmten Inhalt des Gefühls. Wenn man einen
harten Dreiklang anschlägt, so ist der Gefühlseindruck ein anderer, als beim
weichen Dreiklang- Nun fragt der Verfasser sehr lebhaft: "Wie wollt Ihr das
Gefühl ausdrücken, das durch diese oder jene Tonart hervorgerufen wird?" --
Gefühle sind überhaupt nicht in Worten auszudrücken. Wenn die
Romantiker behaupteten, daß die süße Liebe in Tönen denkt, da die Gedanken
zu fernstehen, so ist das zwar insofern unrichtig, als man in Tönen überhaupt
nicht denken kann, aber die eigentliche Meinung des Satzes ist vollkommen
gegründet. Wenn man also versucht hat, theils Symphonien in Worte zu
übersetzen, theils für jeden bestimmten Accord, sür jede Tonreihe u. f. w. einen
begrifflichen Ausdruck zu finden, so ist das allerdings absurd, grade so absurd,
als wenn man in der rothgelben Farbe "anmuthige Würde/' in der violetten
Farbe "philisterhafte Freundlichkeit" suchte u. s. w. (S. -17); aber die Absur¬
dität liegt lediglich darin, daß man für ein Gefühl nach einem Wort sucht.
Jedes Tonstück, es gehöre zur Vocal- oder zur Instrumentalmusik, muß den nor¬
mal empfindenden Menschen genau auf dieselbe Weise in seinem Gefühl afficiren,
wie der Componist es beabsichtigt hat, sonst mag man es ohne weiteres weg¬
werfen. Herr Hanslick geht freilich in seiner Consequenz soweit, daß er ein
Mal dem bekannten Freudenduett Fidelios jeden beliebigen andern Text unter¬
zuschieben unternimmt, wobei man nur sagen kann, daß auch die verständigsten
Menschen zuweilen einem schwachen Augenblick haben. Freilich muß man aber
das Tonstück nicht in den schwarzköpfigen Noten des Thema suchen. Die
Noten sind nur Symbole. Wenn ich jenes Thema pfeife, oder mit Pauken¬
begleitung recht langsam auf dem Brummbaß spiele, so drückt es freilich etwas
Anderes aus, dann ists aber auch nicht mehr dasselbe Tonstück. Hier sind
übrigens grade gebildete Musiker leicht einem Irrthum ausgesetzt. Da sie sich
daran gewöhnen müssen, die Effecte zu berechnen, so müssen sie ihren eignen
Gefühlen dabei Gewalt anthun; zuletzt sehn sie blos die Technik', die Mache,
und Inhalt und Empfindung werden ihnen Nebensache. Aber für den wahr¬
haft gebildeten Musiker wird dieser reflectirte Zustand nur ein Durchgang sein,
durch welchen er sich zum reinsten und reichsten Genuß und Gefühl hindurch¬
arbeitet.

Die Untersuchung wird einfacher, wenn wir die beiden Hauptzweige der
Musik, die gesungene und die gespickte, voneinander trennen. In dieser Be¬
ziehung stellt der Verfasser sein Glaubensbekenntniß S. 20 auf. "Nur waS
von der Instrumentalmusik behauptet werden kann, gilt von der Tonkunst als
solcher. Wenn irgendeine allgemeine Bestimmtheit der Musik untersucht wird,
etwas, das ihr Wesen und ihre Natur kennzeichnen, ihre Grenzen und Rich¬
tung feststellen soll, so kann nur von der Instrumentalmusik die Rehe sein.


fachsten Tonverhältnisse geben unmittelbar, real, nicht blos symbolisch, wieder
Verfasser S, -16 meint, einen bestimmten Inhalt des Gefühls. Wenn man einen
harten Dreiklang anschlägt, so ist der Gefühlseindruck ein anderer, als beim
weichen Dreiklang- Nun fragt der Verfasser sehr lebhaft: „Wie wollt Ihr das
Gefühl ausdrücken, das durch diese oder jene Tonart hervorgerufen wird?" —
Gefühle sind überhaupt nicht in Worten auszudrücken. Wenn die
Romantiker behaupteten, daß die süße Liebe in Tönen denkt, da die Gedanken
zu fernstehen, so ist das zwar insofern unrichtig, als man in Tönen überhaupt
nicht denken kann, aber die eigentliche Meinung des Satzes ist vollkommen
gegründet. Wenn man also versucht hat, theils Symphonien in Worte zu
übersetzen, theils für jeden bestimmten Accord, sür jede Tonreihe u. f. w. einen
begrifflichen Ausdruck zu finden, so ist das allerdings absurd, grade so absurd,
als wenn man in der rothgelben Farbe „anmuthige Würde/' in der violetten
Farbe „philisterhafte Freundlichkeit" suchte u. s. w. (S. -17); aber die Absur¬
dität liegt lediglich darin, daß man für ein Gefühl nach einem Wort sucht.
Jedes Tonstück, es gehöre zur Vocal- oder zur Instrumentalmusik, muß den nor¬
mal empfindenden Menschen genau auf dieselbe Weise in seinem Gefühl afficiren,
wie der Componist es beabsichtigt hat, sonst mag man es ohne weiteres weg¬
werfen. Herr Hanslick geht freilich in seiner Consequenz soweit, daß er ein
Mal dem bekannten Freudenduett Fidelios jeden beliebigen andern Text unter¬
zuschieben unternimmt, wobei man nur sagen kann, daß auch die verständigsten
Menschen zuweilen einem schwachen Augenblick haben. Freilich muß man aber
das Tonstück nicht in den schwarzköpfigen Noten des Thema suchen. Die
Noten sind nur Symbole. Wenn ich jenes Thema pfeife, oder mit Pauken¬
begleitung recht langsam auf dem Brummbaß spiele, so drückt es freilich etwas
Anderes aus, dann ists aber auch nicht mehr dasselbe Tonstück. Hier sind
übrigens grade gebildete Musiker leicht einem Irrthum ausgesetzt. Da sie sich
daran gewöhnen müssen, die Effecte zu berechnen, so müssen sie ihren eignen
Gefühlen dabei Gewalt anthun; zuletzt sehn sie blos die Technik', die Mache,
und Inhalt und Empfindung werden ihnen Nebensache. Aber für den wahr¬
haft gebildeten Musiker wird dieser reflectirte Zustand nur ein Durchgang sein,
durch welchen er sich zum reinsten und reichsten Genuß und Gefühl hindurch¬
arbeitet.

Die Untersuchung wird einfacher, wenn wir die beiden Hauptzweige der
Musik, die gesungene und die gespickte, voneinander trennen. In dieser Be¬
ziehung stellt der Verfasser sein Glaubensbekenntniß S. 20 auf. „Nur waS
von der Instrumentalmusik behauptet werden kann, gilt von der Tonkunst als
solcher. Wenn irgendeine allgemeine Bestimmtheit der Musik untersucht wird,
etwas, das ihr Wesen und ihre Natur kennzeichnen, ihre Grenzen und Rich¬
tung feststellen soll, so kann nur von der Instrumentalmusik die Rehe sein.


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[0214] fachsten Tonverhältnisse geben unmittelbar, real, nicht blos symbolisch, wieder Verfasser S, -16 meint, einen bestimmten Inhalt des Gefühls. Wenn man einen harten Dreiklang anschlägt, so ist der Gefühlseindruck ein anderer, als beim weichen Dreiklang- Nun fragt der Verfasser sehr lebhaft: „Wie wollt Ihr das Gefühl ausdrücken, das durch diese oder jene Tonart hervorgerufen wird?" — Gefühle sind überhaupt nicht in Worten auszudrücken. Wenn die Romantiker behaupteten, daß die süße Liebe in Tönen denkt, da die Gedanken zu fernstehen, so ist das zwar insofern unrichtig, als man in Tönen überhaupt nicht denken kann, aber die eigentliche Meinung des Satzes ist vollkommen gegründet. Wenn man also versucht hat, theils Symphonien in Worte zu übersetzen, theils für jeden bestimmten Accord, sür jede Tonreihe u. f. w. einen begrifflichen Ausdruck zu finden, so ist das allerdings absurd, grade so absurd, als wenn man in der rothgelben Farbe „anmuthige Würde/' in der violetten Farbe „philisterhafte Freundlichkeit" suchte u. s. w. (S. -17); aber die Absur¬ dität liegt lediglich darin, daß man für ein Gefühl nach einem Wort sucht. Jedes Tonstück, es gehöre zur Vocal- oder zur Instrumentalmusik, muß den nor¬ mal empfindenden Menschen genau auf dieselbe Weise in seinem Gefühl afficiren, wie der Componist es beabsichtigt hat, sonst mag man es ohne weiteres weg¬ werfen. Herr Hanslick geht freilich in seiner Consequenz soweit, daß er ein Mal dem bekannten Freudenduett Fidelios jeden beliebigen andern Text unter¬ zuschieben unternimmt, wobei man nur sagen kann, daß auch die verständigsten Menschen zuweilen einem schwachen Augenblick haben. Freilich muß man aber das Tonstück nicht in den schwarzköpfigen Noten des Thema suchen. Die Noten sind nur Symbole. Wenn ich jenes Thema pfeife, oder mit Pauken¬ begleitung recht langsam auf dem Brummbaß spiele, so drückt es freilich etwas Anderes aus, dann ists aber auch nicht mehr dasselbe Tonstück. Hier sind übrigens grade gebildete Musiker leicht einem Irrthum ausgesetzt. Da sie sich daran gewöhnen müssen, die Effecte zu berechnen, so müssen sie ihren eignen Gefühlen dabei Gewalt anthun; zuletzt sehn sie blos die Technik', die Mache, und Inhalt und Empfindung werden ihnen Nebensache. Aber für den wahr¬ haft gebildeten Musiker wird dieser reflectirte Zustand nur ein Durchgang sein, durch welchen er sich zum reinsten und reichsten Genuß und Gefühl hindurch¬ arbeitet. Die Untersuchung wird einfacher, wenn wir die beiden Hauptzweige der Musik, die gesungene und die gespickte, voneinander trennen. In dieser Be¬ ziehung stellt der Verfasser sein Glaubensbekenntniß S. 20 auf. „Nur waS von der Instrumentalmusik behauptet werden kann, gilt von der Tonkunst als solcher. Wenn irgendeine allgemeine Bestimmtheit der Musik untersucht wird, etwas, das ihr Wesen und ihre Natur kennzeichnen, ihre Grenzen und Rich¬ tung feststellen soll, so kann nur von der Instrumentalmusik die Rehe sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/214>, abgerufen am 24.08.2024.