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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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einer Scenirung, wie sie nur gallische Charlatanerie, die bekanntlich an Kunst
grenzt, ausführen kann.

Der Judustriepalast ist noch in starkem Negligee und wir geberden uns wie der
Mann einer schönen Frau, der ungeduldig, schwarz befrackt und mit weißer Hals¬
binde im Nebenzimmer ab- lind zugeht, während die Dame ihre Toilette für den
Ball macht und nicht fertig werden kann, obgleich die Rosse unten im Thorweg mit
den Füßen stampfen, eine Beschäftigung, in welche der zärtliche Ehegatte von Zeit
zu Zeit mit einstimmt.

Die Toilette kommt doch zu Stande, denn welche Frau versäumt einen Ball
und unser Judustriepalast wird auch fertig werdeu, deun wann haben die Franzosen
angefangen, rüstig zu arbeiten und das Unmögliche zu versuchen, als wenn es zu
spät und unmöglich scheint?

Nach allem, was wir über die eingesandten Gegenstände hören konnten, wird
die gegenwärtige Ausstellung ihre Vorgängerinnen an Pracht und Ausdehnung und
auch an culturhistorischcr Bedeutung um vieles überragen. Die englische und fran¬
zösische Industrie haben die Herausforderung noch ernster genommen, als das erste
Mal und während die politische Verbrüderung täglich fester zu werden scheint, soll
der Zweikampf auf dem Gebiete der Industrie wie aus jenem der Kunst einer auf
Tod und Leben werden. > .

Die Kunstausstellung wird für uns natürlich noch mehr Interesse haben, als
die der Jndustrieerzeuguissc, denn es ist zum ersten Male, daß die Kunst der Zeit¬
genossen zu einem allgemeinen Kongresse einberufen wird.

Die Geschichte kennt kein Beispiel eines solchen Wettkampfes und selbst die
olympischen Spiele schrumpfen zu einem Kirchweihfeste zusammen, im Vergleiche
mit diesem riesenhaften Kampfspiele der europäischen Kunst.

Leider mischt sich für Ihr Vaterland in dieses Fest der Freude ein Gefühl
großer Bitterkeit -- Deutschland wird nicht so vertreten sein, wie es sein konnte,
wie es sein mußte, soll man wirklich zu einem endgiltigen Urtheile über die Stufe
kommen, aus welcher die Kunstentwicklung im deutscheu Vaterlande angelangt ist.
Mit Ausnahme von Preußen, das zugleich in Herrn Stein einen ebenso tüchtigen
als energischen Vertreter hierher geschickt hat, faßte kein deutscher Staat die hohe
Wichtigkeit auf. welche diese feierliche Gelegenheit für die Kunst und deren Jünger
haben muß.

Was die Technik der Malerei betrifft, und namentlich was das Kolorit betrifft
und die äußerliche Vollendung in der Bildhauerei sind die Franzosen allen andern
Nationen bei weitem überlegen. Die Deutschen werden in dieser Beziehung, wenn
nicht während der Jahre unsrer Abwesenheit unverhältnißmäßige Fortschritte geschehen
sind, eine traurige Rolle neben den Franzosen und auch neben den Belgiern spie¬
len. Sie hatten ein Gebiet, aus dem sie ihre Nebenbuhler unbedingt geschlagen
hätten: das der großen historischen Komposition und diese wird, soviel wir erfahren
haben, im Verhältnisse nnr nothdürftig vertreten sein. München zum Beispiel
hat sehr wenig gethan, und soll gar nicht in Rede kommen. Die Regierung
des Herrn von der Pfordten hat es verweigert, die Transportkosten aus sich
Zu nehmen. Und die deutsche Presse, die baicrscheu Kammern schwiegen still
und thaten nichts, um Deutschland eine überflüssige Demüthigung mehr zu ersparen;


einer Scenirung, wie sie nur gallische Charlatanerie, die bekanntlich an Kunst
grenzt, ausführen kann.

Der Judustriepalast ist noch in starkem Negligee und wir geberden uns wie der
Mann einer schönen Frau, der ungeduldig, schwarz befrackt und mit weißer Hals¬
binde im Nebenzimmer ab- lind zugeht, während die Dame ihre Toilette für den
Ball macht und nicht fertig werden kann, obgleich die Rosse unten im Thorweg mit
den Füßen stampfen, eine Beschäftigung, in welche der zärtliche Ehegatte von Zeit
zu Zeit mit einstimmt.

Die Toilette kommt doch zu Stande, denn welche Frau versäumt einen Ball
und unser Judustriepalast wird auch fertig werdeu, deun wann haben die Franzosen
angefangen, rüstig zu arbeiten und das Unmögliche zu versuchen, als wenn es zu
spät und unmöglich scheint?

Nach allem, was wir über die eingesandten Gegenstände hören konnten, wird
die gegenwärtige Ausstellung ihre Vorgängerinnen an Pracht und Ausdehnung und
auch an culturhistorischcr Bedeutung um vieles überragen. Die englische und fran¬
zösische Industrie haben die Herausforderung noch ernster genommen, als das erste
Mal und während die politische Verbrüderung täglich fester zu werden scheint, soll
der Zweikampf auf dem Gebiete der Industrie wie aus jenem der Kunst einer auf
Tod und Leben werden. > .

Die Kunstausstellung wird für uns natürlich noch mehr Interesse haben, als
die der Jndustrieerzeuguissc, denn es ist zum ersten Male, daß die Kunst der Zeit¬
genossen zu einem allgemeinen Kongresse einberufen wird.

Die Geschichte kennt kein Beispiel eines solchen Wettkampfes und selbst die
olympischen Spiele schrumpfen zu einem Kirchweihfeste zusammen, im Vergleiche
mit diesem riesenhaften Kampfspiele der europäischen Kunst.

Leider mischt sich für Ihr Vaterland in dieses Fest der Freude ein Gefühl
großer Bitterkeit — Deutschland wird nicht so vertreten sein, wie es sein konnte,
wie es sein mußte, soll man wirklich zu einem endgiltigen Urtheile über die Stufe
kommen, aus welcher die Kunstentwicklung im deutscheu Vaterlande angelangt ist.
Mit Ausnahme von Preußen, das zugleich in Herrn Stein einen ebenso tüchtigen
als energischen Vertreter hierher geschickt hat, faßte kein deutscher Staat die hohe
Wichtigkeit auf. welche diese feierliche Gelegenheit für die Kunst und deren Jünger
haben muß.

Was die Technik der Malerei betrifft, und namentlich was das Kolorit betrifft
und die äußerliche Vollendung in der Bildhauerei sind die Franzosen allen andern
Nationen bei weitem überlegen. Die Deutschen werden in dieser Beziehung, wenn
nicht während der Jahre unsrer Abwesenheit unverhältnißmäßige Fortschritte geschehen
sind, eine traurige Rolle neben den Franzosen und auch neben den Belgiern spie¬
len. Sie hatten ein Gebiet, aus dem sie ihre Nebenbuhler unbedingt geschlagen
hätten: das der großen historischen Komposition und diese wird, soviel wir erfahren
haben, im Verhältnisse nnr nothdürftig vertreten sein. München zum Beispiel
hat sehr wenig gethan, und soll gar nicht in Rede kommen. Die Regierung
des Herrn von der Pfordten hat es verweigert, die Transportkosten aus sich
Zu nehmen. Und die deutsche Presse, die baicrscheu Kammern schwiegen still
und thaten nichts, um Deutschland eine überflüssige Demüthigung mehr zu ersparen;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/197>, abgerufen am 01.07.2024.