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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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modernen Geschichte nothwendig nach sich ziehen muß, noch nicht viel zu merken
sein wird, so bleiben diese doch als Corollarium für die Zukunft feststehen. Im
Munde Louis Napoleons mag es vielleicht nicht mehr als eine, Phrase sein, wenn
er von den Ideen spricht, die der Westen vertritt, denn er hat bisher mehr gethan,
diese zu zertreten, aber in Beziehung aus die beiden Nationen hat er eine große
Wahrheit ausgesprochen, die sich gegen ihn geltend machen wird, wenn er, wie
bis jetzt fortfährt, sich ihrer nur bei Festreden zu erinnern.

Für den Denkenden ergeben sich aus der Wendung, welche die Geschichte
Europas seit mehren Jahren genommen hat, höchst wichtige Lehren, die zwar nicht
neu, sich doch mit soviel Eindringlichkeit geltend machen, daß sie hoffentlich nicht
ganz verloren gehen werden.

Staatsmänner, die es übernehmen, das Schicksal einer Nation mit ihren
Händen zu erfassen, können jeden Fehler wieder gut machen, wenn sie in der
Hauptsache Recht behalten, das heißt, den Erfolg für sich haben. Es soll
hiermit keineswegs den jesuitischen Maximen das Wort gesprochen werden, der
Zweck heiligt die Mittel nicht -- aber es soll damit gesagt sein, daß es in der
Politik ein noch größeres Verbrechen ist, Mittel anzuwenden, die nicht zum
Zwecke führen.

Wir haben Englands Schwäche kennen gelernt und was von diesem Lande
Europa zu erwarten hat. Englands Aristokratie ist so glücklich gewesen, seine
thönernen Füße mit Segeltuch zu bedecken, jetzt haben wir sie gesehen -- die Nation
hat sie selbst gesehen und wenn die nächsten zehn Jahre nicht einen neuen Peel er¬
zeugen, so wird ein neuer Cromwell aus ihrem Schoße hervorgehen.

Frankreichs Macht, trotz seiner Knechtung, der Einfluß der französischen
Ideen selbst unter dem gegenwärtigen Drucke, selbst unter einem Regenten, wie
Louis Napoleon, bleibt noch immer maßgebend uiid diese Nation oder ihre Regie¬
rung braucht nur zu wollen, um auch zu können.

Das europäische Gleichgewicht ist eine Lüge und wenn es, was wir stets
leugnen, der Diplomatie gelingen sollte, jetzt einen nothdürftigen Frieden zu Stande
zu bringen, so wird für die Zukunft nichts gewonnen sein, als neue Staatsschulden,
eine neue Schuld der Nationen und die Aussicht auf einen Entschcidungskampf, der
bei der ersten Gelegenheit, ohne erst die Börsen von Europa um Erlaubniß zu
fragen, mit um so größrer Energie losbrechen muß.

Und hiermit lassen Sie Ihren Briefsteller von der Politik Abschied nehmen
und seinen Blick der rege gewordenen Bewegung in Industrie und Kunst zuwenden.

Man sagt, der Kaiser werde als Feldmarschall sämmtlicher Armeen der Alliirten
wiederkehren, aber ehe er das Schwert seines Onkels umgürtend nach dem Orient
sich begeben wird, hat er mitten im Kriegsgetümmel einen angenehmen Act des
Friedens und der Civilisation zu begehen. Louis Napoleon wird die Gesandten
der europäische" Industrie und Kunst begrüßen und den aus allen Weltgegenden
Herbeiströmenden die Hallen des Friedentempels eröffnen, dessen immer all¬
gemeiner werdender Cultus deu des Janus in einer gegebenen Zukunft ganz
schließen wird.

Wir erleben.hier die Wiederholung des Schauspiels, daß die Londoner im
Jahre 1831 hatten, nur noch mit französischen Uebertreibungen ausstaffirt und mit


modernen Geschichte nothwendig nach sich ziehen muß, noch nicht viel zu merken
sein wird, so bleiben diese doch als Corollarium für die Zukunft feststehen. Im
Munde Louis Napoleons mag es vielleicht nicht mehr als eine, Phrase sein, wenn
er von den Ideen spricht, die der Westen vertritt, denn er hat bisher mehr gethan,
diese zu zertreten, aber in Beziehung aus die beiden Nationen hat er eine große
Wahrheit ausgesprochen, die sich gegen ihn geltend machen wird, wenn er, wie
bis jetzt fortfährt, sich ihrer nur bei Festreden zu erinnern.

Für den Denkenden ergeben sich aus der Wendung, welche die Geschichte
Europas seit mehren Jahren genommen hat, höchst wichtige Lehren, die zwar nicht
neu, sich doch mit soviel Eindringlichkeit geltend machen, daß sie hoffentlich nicht
ganz verloren gehen werden.

Staatsmänner, die es übernehmen, das Schicksal einer Nation mit ihren
Händen zu erfassen, können jeden Fehler wieder gut machen, wenn sie in der
Hauptsache Recht behalten, das heißt, den Erfolg für sich haben. Es soll
hiermit keineswegs den jesuitischen Maximen das Wort gesprochen werden, der
Zweck heiligt die Mittel nicht — aber es soll damit gesagt sein, daß es in der
Politik ein noch größeres Verbrechen ist, Mittel anzuwenden, die nicht zum
Zwecke führen.

Wir haben Englands Schwäche kennen gelernt und was von diesem Lande
Europa zu erwarten hat. Englands Aristokratie ist so glücklich gewesen, seine
thönernen Füße mit Segeltuch zu bedecken, jetzt haben wir sie gesehen — die Nation
hat sie selbst gesehen und wenn die nächsten zehn Jahre nicht einen neuen Peel er¬
zeugen, so wird ein neuer Cromwell aus ihrem Schoße hervorgehen.

Frankreichs Macht, trotz seiner Knechtung, der Einfluß der französischen
Ideen selbst unter dem gegenwärtigen Drucke, selbst unter einem Regenten, wie
Louis Napoleon, bleibt noch immer maßgebend uiid diese Nation oder ihre Regie¬
rung braucht nur zu wollen, um auch zu können.

Das europäische Gleichgewicht ist eine Lüge und wenn es, was wir stets
leugnen, der Diplomatie gelingen sollte, jetzt einen nothdürftigen Frieden zu Stande
zu bringen, so wird für die Zukunft nichts gewonnen sein, als neue Staatsschulden,
eine neue Schuld der Nationen und die Aussicht auf einen Entschcidungskampf, der
bei der ersten Gelegenheit, ohne erst die Börsen von Europa um Erlaubniß zu
fragen, mit um so größrer Energie losbrechen muß.

Und hiermit lassen Sie Ihren Briefsteller von der Politik Abschied nehmen
und seinen Blick der rege gewordenen Bewegung in Industrie und Kunst zuwenden.

Man sagt, der Kaiser werde als Feldmarschall sämmtlicher Armeen der Alliirten
wiederkehren, aber ehe er das Schwert seines Onkels umgürtend nach dem Orient
sich begeben wird, hat er mitten im Kriegsgetümmel einen angenehmen Act des
Friedens und der Civilisation zu begehen. Louis Napoleon wird die Gesandten
der europäische» Industrie und Kunst begrüßen und den aus allen Weltgegenden
Herbeiströmenden die Hallen des Friedentempels eröffnen, dessen immer all¬
gemeiner werdender Cultus deu des Janus in einer gegebenen Zukunft ganz
schließen wird.

Wir erleben.hier die Wiederholung des Schauspiels, daß die Londoner im
Jahre 1831 hatten, nur noch mit französischen Uebertreibungen ausstaffirt und mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/196>, abgerufen am 22.07.2024.