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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Kupfer, zwischen diese Wände wird heißer Wasserdampf geleitet, der idie
Speisen sehr rasch zum Kochen bringt. An den Wänden umher stehen, um
die Speisen hinaufzutragen, unzählige Eimer von Kupfer, die jedes Mal
eine halbe Stunde nach dem Gebrauch durch Putzen wieder den tiefen Glanz
erhalten, dessen dieses Metall fähig ist.

In der Nähe befinden sich, auch die Garnsärberei, die Waschküche mit
einer Centripetalmaschine, die das Aufwinden der Wäsche besorgt, die Mühle,
ebenfalls durch Dampfkraft getrieben, die Bäckerei und die Badeanstalt. Es
gehört nämlich zur Regel der Anstalt, daß jeder Sträfling wöchentlich ein
warmes Bad und einen rein gewaschnen Anzug erhalte, sowie täglich eine
Stunde Bewegung in freier Lust genieße. Ich glaube, daß die außerordent¬
liche Regelmäßigkeit und Reinlichkeit der Lebensweise viel dazu beitragen, den
Mangel kräftiger Nahrung zu ersetzen. -- Krankheiten kommen selten vor.

Der Anzug, der für alle derselbe ist, besteht aus einer braunen Tuchjacke,
eben solchen Kniehosen und braunwollenen Strümpfen, nebst Schuhen, sowie
einer braunen Tuchmütze. Daß sie keine Stiefeln tragen dürfen geschieht
einestheils, um Fluchtversuche zu erschweren, anderntheils um den schimpflichen
Unterschied, der zwischen ihnen und andern Menschen besteht, auch in der
Kleidung kenntlich zu machen; dadurch haben ihre Bewegungen etwas Laut¬
loses und als einmal ein Trupp dieser düstern Gestalten, eine hinter' der
andern in einem Kellerraum an uns vorübergingen, erinnerten sie mich lebhaft
an die Schatten in Dantes Hölle.

Doch ist bei alledem diese Hölle noch eine von denen, in der es sich nicht ganz
so schlimm leben läßt, als von außen Hineinblickende glauben, denn der Segen,
der in jeder tüchtigen und regelmäßigen Arbeit liegt, verfehlt auch hier nicht
seine Wirkung; und dabei ist sehr geschickt die Linie innegehalten worden, der
Hölle nicht zu viel von ihrem eigentlichen Charakter zu nehmen, um nicht gar
noch arme Teufel hiueinzulocken, was trotzdem zuweilen vorkommt. Mit der
großen Erkenntniß bereichert scheiden jedoch alle: daß Arbeit kein Fluch, son¬
dern ein Segen sei'.! An Thätigkeit, Reinlichkeit und Entbehrungen gewöhnt,
meistentheils in einem neuen Handwerk gründlich unterrichtet, und überdem ein
kleines Capital in Händen, um einen neuen Lebenswandel beginnen zu können,
so verlassen die, in denen noch menschliche Empfindungen geschlummert, dies
Zuchthaus, während andre Anstalten der Art ihre Bewohner als viel ausge¬
machtere Verbrecher der Welt zurückgeben, als diese sie hineingeliefert! --
Daß dies die Leute selbst empfinden, geht wohl daraus hervor, daß Flucht¬
versuche immer seltner stattfinden und Selbstmordversuche immer nur bei den
in strenger Jsolirhaft Befindlichen.

Wir vergleichen die Anstalt mit einem Staate und wie in jedem, so finden
auch hier Literatur und Kunst ihre wenn auch sehr bescheidne Stelle. Von


Grenzboten. II. 4836. 24

Kupfer, zwischen diese Wände wird heißer Wasserdampf geleitet, der idie
Speisen sehr rasch zum Kochen bringt. An den Wänden umher stehen, um
die Speisen hinaufzutragen, unzählige Eimer von Kupfer, die jedes Mal
eine halbe Stunde nach dem Gebrauch durch Putzen wieder den tiefen Glanz
erhalten, dessen dieses Metall fähig ist.

In der Nähe befinden sich, auch die Garnsärberei, die Waschküche mit
einer Centripetalmaschine, die das Aufwinden der Wäsche besorgt, die Mühle,
ebenfalls durch Dampfkraft getrieben, die Bäckerei und die Badeanstalt. Es
gehört nämlich zur Regel der Anstalt, daß jeder Sträfling wöchentlich ein
warmes Bad und einen rein gewaschnen Anzug erhalte, sowie täglich eine
Stunde Bewegung in freier Lust genieße. Ich glaube, daß die außerordent¬
liche Regelmäßigkeit und Reinlichkeit der Lebensweise viel dazu beitragen, den
Mangel kräftiger Nahrung zu ersetzen. — Krankheiten kommen selten vor.

Der Anzug, der für alle derselbe ist, besteht aus einer braunen Tuchjacke,
eben solchen Kniehosen und braunwollenen Strümpfen, nebst Schuhen, sowie
einer braunen Tuchmütze. Daß sie keine Stiefeln tragen dürfen geschieht
einestheils, um Fluchtversuche zu erschweren, anderntheils um den schimpflichen
Unterschied, der zwischen ihnen und andern Menschen besteht, auch in der
Kleidung kenntlich zu machen; dadurch haben ihre Bewegungen etwas Laut¬
loses und als einmal ein Trupp dieser düstern Gestalten, eine hinter' der
andern in einem Kellerraum an uns vorübergingen, erinnerten sie mich lebhaft
an die Schatten in Dantes Hölle.

Doch ist bei alledem diese Hölle noch eine von denen, in der es sich nicht ganz
so schlimm leben läßt, als von außen Hineinblickende glauben, denn der Segen,
der in jeder tüchtigen und regelmäßigen Arbeit liegt, verfehlt auch hier nicht
seine Wirkung; und dabei ist sehr geschickt die Linie innegehalten worden, der
Hölle nicht zu viel von ihrem eigentlichen Charakter zu nehmen, um nicht gar
noch arme Teufel hiueinzulocken, was trotzdem zuweilen vorkommt. Mit der
großen Erkenntniß bereichert scheiden jedoch alle: daß Arbeit kein Fluch, son¬
dern ein Segen sei'.! An Thätigkeit, Reinlichkeit und Entbehrungen gewöhnt,
meistentheils in einem neuen Handwerk gründlich unterrichtet, und überdem ein
kleines Capital in Händen, um einen neuen Lebenswandel beginnen zu können,
so verlassen die, in denen noch menschliche Empfindungen geschlummert, dies
Zuchthaus, während andre Anstalten der Art ihre Bewohner als viel ausge¬
machtere Verbrecher der Welt zurückgeben, als diese sie hineingeliefert! —
Daß dies die Leute selbst empfinden, geht wohl daraus hervor, daß Flucht¬
versuche immer seltner stattfinden und Selbstmordversuche immer nur bei den
in strenger Jsolirhaft Befindlichen.

Wir vergleichen die Anstalt mit einem Staate und wie in jedem, so finden
auch hier Literatur und Kunst ihre wenn auch sehr bescheidne Stelle. Von


Grenzboten. II. 4836. 24
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[0193] Kupfer, zwischen diese Wände wird heißer Wasserdampf geleitet, der idie Speisen sehr rasch zum Kochen bringt. An den Wänden umher stehen, um die Speisen hinaufzutragen, unzählige Eimer von Kupfer, die jedes Mal eine halbe Stunde nach dem Gebrauch durch Putzen wieder den tiefen Glanz erhalten, dessen dieses Metall fähig ist. In der Nähe befinden sich, auch die Garnsärberei, die Waschküche mit einer Centripetalmaschine, die das Aufwinden der Wäsche besorgt, die Mühle, ebenfalls durch Dampfkraft getrieben, die Bäckerei und die Badeanstalt. Es gehört nämlich zur Regel der Anstalt, daß jeder Sträfling wöchentlich ein warmes Bad und einen rein gewaschnen Anzug erhalte, sowie täglich eine Stunde Bewegung in freier Lust genieße. Ich glaube, daß die außerordent¬ liche Regelmäßigkeit und Reinlichkeit der Lebensweise viel dazu beitragen, den Mangel kräftiger Nahrung zu ersetzen. — Krankheiten kommen selten vor. Der Anzug, der für alle derselbe ist, besteht aus einer braunen Tuchjacke, eben solchen Kniehosen und braunwollenen Strümpfen, nebst Schuhen, sowie einer braunen Tuchmütze. Daß sie keine Stiefeln tragen dürfen geschieht einestheils, um Fluchtversuche zu erschweren, anderntheils um den schimpflichen Unterschied, der zwischen ihnen und andern Menschen besteht, auch in der Kleidung kenntlich zu machen; dadurch haben ihre Bewegungen etwas Laut¬ loses und als einmal ein Trupp dieser düstern Gestalten, eine hinter' der andern in einem Kellerraum an uns vorübergingen, erinnerten sie mich lebhaft an die Schatten in Dantes Hölle. Doch ist bei alledem diese Hölle noch eine von denen, in der es sich nicht ganz so schlimm leben läßt, als von außen Hineinblickende glauben, denn der Segen, der in jeder tüchtigen und regelmäßigen Arbeit liegt, verfehlt auch hier nicht seine Wirkung; und dabei ist sehr geschickt die Linie innegehalten worden, der Hölle nicht zu viel von ihrem eigentlichen Charakter zu nehmen, um nicht gar noch arme Teufel hiueinzulocken, was trotzdem zuweilen vorkommt. Mit der großen Erkenntniß bereichert scheiden jedoch alle: daß Arbeit kein Fluch, son¬ dern ein Segen sei'.! An Thätigkeit, Reinlichkeit und Entbehrungen gewöhnt, meistentheils in einem neuen Handwerk gründlich unterrichtet, und überdem ein kleines Capital in Händen, um einen neuen Lebenswandel beginnen zu können, so verlassen die, in denen noch menschliche Empfindungen geschlummert, dies Zuchthaus, während andre Anstalten der Art ihre Bewohner als viel ausge¬ machtere Verbrecher der Welt zurückgeben, als diese sie hineingeliefert! — Daß dies die Leute selbst empfinden, geht wohl daraus hervor, daß Flucht¬ versuche immer seltner stattfinden und Selbstmordversuche immer nur bei den in strenger Jsolirhaft Befindlichen. Wir vergleichen die Anstalt mit einem Staate und wie in jedem, so finden auch hier Literatur und Kunst ihre wenn auch sehr bescheidne Stelle. Von Grenzboten. II. 4836. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/193>, abgerufen am 03.07.2024.