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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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wendigkeit gebraucht, so erfolgt die Lattenstrafe, überhaupt die einzige Bestra¬
fungsart, die hier angewandt wird. Sie ist dieselbe wie beim Militär, nur daß
die Lattenzelle hier dunkel ist. Vierundzwanzig Stunden sind das geringste Straf¬
maß, sechs Wochen das höchste, das, wenn es' in ganzer Strenge angewandt
würde, wahrscheinlich den Tod zur Folge hätte. Bei groben Widersetzlichkeiten
ist dem Beamten erlaubt, sogleich von, der scharfen Waffe Gebrauch zu machen.
-- Außerhalb der Zelle ist ein Täfelchen angebracht, worauf sich außer dem
Namen des Verbrechers die Anzahl seiner Strasjahre, der Ort, wo er her ist
und eine römische Zahl befinden, die dem Beamten*) sagt, welches Verbrechen der
Inhaber der Zelle begangen hat. An den meisten Thüren, weit über die Hälfte,
fanden wir die IX., das Zeichen des einfachen Diebstahls (und des wiederholten),
doch fand sich auch mehrmals l. und it.: Mord und Mordversuch, natürlich immer
mit lebenswieriger Strafe. Ferner ist auf dem Täfelchen die Classe angegeben,
zu welcher der Gefangene gehört. Es gibt nämlich zwei Classen; zur ersten
gehören die, welche zum ersten Male im Zuchthause sind oder sich durch gutes
Betragen auszeichnen, zur zweiten die, bei denen das eine oder das andre nicht
der Fall ist. --

In den Physiognomien jedoch ist dieser Classenunterschied nicht bemerkbar;
die meisten sind ebenso schwer zu entziffernde Tafeln, wie die der nicht einge¬
sperrten Menschen und ebenso vergeblich sucht der Blick aus den Zügen die
Stimmung der Seele zu lesen, ja in manchen Falles, wo ein ganz besonders
menschlicher, man möchte sagen reiner Ausdruck in den Zügen geschrieben stand
oder auch ein besonders roher, da stand auf dem Zettel an der Thüre das Gegen¬
theil davon. Doch -- wer weiß, ob nicht auch dort ein Irrthum vorwaltete? --

Das geringste Strafmaß, das hier verbüßt wird, beträgt 2 Jahre, das
größte ist lebenswierig. Bei den lebenswierig Verurteilten darf erst nach Verlauf
von 23 Jahren auf Begnadigung angetragen werden, den andern jedoch kann
schon früher eine Verkürzung des Strafmaßes gewährt werden, aber immer nur >
im Wege der Gnade und wenn die Anstalt über sehr gute Führung zu berich¬
ten hat, was auch schon während der Strafzeit kleine Auszeichnungen zur
Folge hat. Bei Eröffnung der Anstalt wurde sie von dem Ueberfluß zehn
andrer Zuchthäuser belegt, gegenwärtig aber von Berlin bevölkert.

Wir kehren zur Mitte zurück, von wo gewundne Steintreppen in die
Kellergeschosse führen. Hier herrscht dieselbe Reinlichkeit bis ins minutiöseste
Detail wie oben. Es befinden sich hier die Schlafsäle für die Arbeiter, die
den Tag über in den Fabriken beschäftigt werden, ferner die Küche, in der
sich nichts befindet, als mehre riesenhafte Kessel, deren einer 900 Quart ent¬
hält, die alle init doppelten Wänden versehen sind, außen Holz, innen



") Deren sich übrigens verhältnißmäßig durchaus nicht viele in der Anstalt befinden.

wendigkeit gebraucht, so erfolgt die Lattenstrafe, überhaupt die einzige Bestra¬
fungsart, die hier angewandt wird. Sie ist dieselbe wie beim Militär, nur daß
die Lattenzelle hier dunkel ist. Vierundzwanzig Stunden sind das geringste Straf¬
maß, sechs Wochen das höchste, das, wenn es' in ganzer Strenge angewandt
würde, wahrscheinlich den Tod zur Folge hätte. Bei groben Widersetzlichkeiten
ist dem Beamten erlaubt, sogleich von, der scharfen Waffe Gebrauch zu machen.
— Außerhalb der Zelle ist ein Täfelchen angebracht, worauf sich außer dem
Namen des Verbrechers die Anzahl seiner Strasjahre, der Ort, wo er her ist
und eine römische Zahl befinden, die dem Beamten*) sagt, welches Verbrechen der
Inhaber der Zelle begangen hat. An den meisten Thüren, weit über die Hälfte,
fanden wir die IX., das Zeichen des einfachen Diebstahls (und des wiederholten),
doch fand sich auch mehrmals l. und it.: Mord und Mordversuch, natürlich immer
mit lebenswieriger Strafe. Ferner ist auf dem Täfelchen die Classe angegeben,
zu welcher der Gefangene gehört. Es gibt nämlich zwei Classen; zur ersten
gehören die, welche zum ersten Male im Zuchthause sind oder sich durch gutes
Betragen auszeichnen, zur zweiten die, bei denen das eine oder das andre nicht
der Fall ist. —

In den Physiognomien jedoch ist dieser Classenunterschied nicht bemerkbar;
die meisten sind ebenso schwer zu entziffernde Tafeln, wie die der nicht einge¬
sperrten Menschen und ebenso vergeblich sucht der Blick aus den Zügen die
Stimmung der Seele zu lesen, ja in manchen Falles, wo ein ganz besonders
menschlicher, man möchte sagen reiner Ausdruck in den Zügen geschrieben stand
oder auch ein besonders roher, da stand auf dem Zettel an der Thüre das Gegen¬
theil davon. Doch — wer weiß, ob nicht auch dort ein Irrthum vorwaltete? —

Das geringste Strafmaß, das hier verbüßt wird, beträgt 2 Jahre, das
größte ist lebenswierig. Bei den lebenswierig Verurteilten darf erst nach Verlauf
von 23 Jahren auf Begnadigung angetragen werden, den andern jedoch kann
schon früher eine Verkürzung des Strafmaßes gewährt werden, aber immer nur >
im Wege der Gnade und wenn die Anstalt über sehr gute Führung zu berich¬
ten hat, was auch schon während der Strafzeit kleine Auszeichnungen zur
Folge hat. Bei Eröffnung der Anstalt wurde sie von dem Ueberfluß zehn
andrer Zuchthäuser belegt, gegenwärtig aber von Berlin bevölkert.

Wir kehren zur Mitte zurück, von wo gewundne Steintreppen in die
Kellergeschosse führen. Hier herrscht dieselbe Reinlichkeit bis ins minutiöseste
Detail wie oben. Es befinden sich hier die Schlafsäle für die Arbeiter, die
den Tag über in den Fabriken beschäftigt werden, ferner die Küche, in der
sich nichts befindet, als mehre riesenhafte Kessel, deren einer 900 Quart ent¬
hält, die alle init doppelten Wänden versehen sind, außen Holz, innen



") Deren sich übrigens verhältnißmäßig durchaus nicht viele in der Anstalt befinden.
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[0192] wendigkeit gebraucht, so erfolgt die Lattenstrafe, überhaupt die einzige Bestra¬ fungsart, die hier angewandt wird. Sie ist dieselbe wie beim Militär, nur daß die Lattenzelle hier dunkel ist. Vierundzwanzig Stunden sind das geringste Straf¬ maß, sechs Wochen das höchste, das, wenn es' in ganzer Strenge angewandt würde, wahrscheinlich den Tod zur Folge hätte. Bei groben Widersetzlichkeiten ist dem Beamten erlaubt, sogleich von, der scharfen Waffe Gebrauch zu machen. — Außerhalb der Zelle ist ein Täfelchen angebracht, worauf sich außer dem Namen des Verbrechers die Anzahl seiner Strasjahre, der Ort, wo er her ist und eine römische Zahl befinden, die dem Beamten*) sagt, welches Verbrechen der Inhaber der Zelle begangen hat. An den meisten Thüren, weit über die Hälfte, fanden wir die IX., das Zeichen des einfachen Diebstahls (und des wiederholten), doch fand sich auch mehrmals l. und it.: Mord und Mordversuch, natürlich immer mit lebenswieriger Strafe. Ferner ist auf dem Täfelchen die Classe angegeben, zu welcher der Gefangene gehört. Es gibt nämlich zwei Classen; zur ersten gehören die, welche zum ersten Male im Zuchthause sind oder sich durch gutes Betragen auszeichnen, zur zweiten die, bei denen das eine oder das andre nicht der Fall ist. — In den Physiognomien jedoch ist dieser Classenunterschied nicht bemerkbar; die meisten sind ebenso schwer zu entziffernde Tafeln, wie die der nicht einge¬ sperrten Menschen und ebenso vergeblich sucht der Blick aus den Zügen die Stimmung der Seele zu lesen, ja in manchen Falles, wo ein ganz besonders menschlicher, man möchte sagen reiner Ausdruck in den Zügen geschrieben stand oder auch ein besonders roher, da stand auf dem Zettel an der Thüre das Gegen¬ theil davon. Doch — wer weiß, ob nicht auch dort ein Irrthum vorwaltete? — Das geringste Strafmaß, das hier verbüßt wird, beträgt 2 Jahre, das größte ist lebenswierig. Bei den lebenswierig Verurteilten darf erst nach Verlauf von 23 Jahren auf Begnadigung angetragen werden, den andern jedoch kann schon früher eine Verkürzung des Strafmaßes gewährt werden, aber immer nur > im Wege der Gnade und wenn die Anstalt über sehr gute Führung zu berich¬ ten hat, was auch schon während der Strafzeit kleine Auszeichnungen zur Folge hat. Bei Eröffnung der Anstalt wurde sie von dem Ueberfluß zehn andrer Zuchthäuser belegt, gegenwärtig aber von Berlin bevölkert. Wir kehren zur Mitte zurück, von wo gewundne Steintreppen in die Kellergeschosse führen. Hier herrscht dieselbe Reinlichkeit bis ins minutiöseste Detail wie oben. Es befinden sich hier die Schlafsäle für die Arbeiter, die den Tag über in den Fabriken beschäftigt werden, ferner die Küche, in der sich nichts befindet, als mehre riesenhafte Kessel, deren einer 900 Quart ent¬ hält, die alle init doppelten Wänden versehen sind, außen Holz, innen ") Deren sich übrigens verhältnißmäßig durchaus nicht viele in der Anstalt befinden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/192>, abgerufen am 03.07.2024.