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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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haben, daß sie Stoffe, die etwa durch Ungeschick oder Bosheit verdorben we"
den, sich durch Lohnabzüge ersetzen können, wie dies bei freien Arbeitern
geschieht. Doch kommt dieser Fall äußerst selten vor. --

Der Ertrag aller dieser Arbeiten, die pro Mann und Tag bezahlt werden,
beträgt jährlich etwa dreißigtausend Thaler und wird in sechs Theile getheilt.
Fünf Theile davon fließen der Anstalt zu ihrer eignen Erhaltung zu und der
sechste Theil des jedem Arbeiter zustehenden Lohnes wird ihm gutgeschrieben, so
daß er bei seiner Entlassung ein kleines Capital in die Hände bekommt; von
der Hälfte dieses ihm zustehenden sechsten Theils jedoch darf er bei guter
Führung sogleich Gebrauch machen, indem er das Recht hat, sich dafür
einige Genüsse zu verschaffen, bestehend in Heringen, Schnupftabak, Butter,
Schmalz, Kartoffeln, Wurst oder dergleichen mehr als bescheidnen Leckerbissen.
Fleisch wird nämlich für gewöhnlich gar nicht verabreicht, sondern "ur viermal
im Jahre, nämlich an den drei großen Festtagen und zu Königs Geburtstag,
wie überhaupt die Bedürfnisse alle auf ein Minimum reducirt sind.

Doch kehren wir zu den Zellen zurück.

Wir wenden uns von dem Mittelraume aus in einen der Gänge und
lassen uns irgendeine der Zellen öffnen; sie gleichen einander sämmtlich aufs
genaueste. Zu unserm Erstaunen finden wir nur wenige Thüren fest verschlos¬
sen, die meisten sind offen oder angelehnt; letzteres immer, wenn die gegenüber¬
stehende Thür offen ist, rHn so jede Communication unmöglich zu machen; jede
Thür enthält eine verschließbare Oeffyung, um die Speise" hineinzureichen, da
das Gebäude noch auf Jsolirsystem eingerichtet wurde, und ein Guckloch für
den Beamten.

Die Zelle selbst ist etwa 8 -- 9 Fuß tief und 3 -- 6 Fuß breit und
enthält nichts als Tisch, Stuhl, ein Eckbret mit dem zinnernen Wahns-, Trink-
und Eßgefäß, und über der Thüre ein Bret zu Büchern, auf dem sich immer
Bibel und Gesangbuch, zuweilen aber auch andre Lectüre befindet, von der
wir weiter unten reden werden. Die Schlafstelle wird bereitet, indem eine den
Tag über zusammengerollte Hängematte quer über die Zelle gespannt und an
zwei in den Mauern befindlichen Haken befestigt wird. Nur für schwächliche
Personen gibt es Bettstellen. Außerdem befindet sich in der Zelle ein ge¬
schlossener Abzugskanal und ein Klingelzug. Das Fenster ist hoch gegenüber
der Thüre gelegen, und durch eine einfache Vorrichtung kann der Gefangene
jeden Augenblick frische Luft zulassen, ohne daß das Fenster jemals geöffnet
werden kann. Ebenso .wie diese Einrichtung in allen Zellen dieselbe ist, so ist
es auch die größte Reinlichkeit, die beispiellos genannt werden kann; so sieht
Z. B. alles Geschirr aus, als wäre es ganz neues Silber. Der Klingelzug
ist da, damit der Beamte benachrichtigt werden kann, wenn der Gefangene keine
Arbeit mehr hat oder ihm sonst etwas zustößt. Wird dies Zeichen ohne Noth-


haben, daß sie Stoffe, die etwa durch Ungeschick oder Bosheit verdorben we»
den, sich durch Lohnabzüge ersetzen können, wie dies bei freien Arbeitern
geschieht. Doch kommt dieser Fall äußerst selten vor. —

Der Ertrag aller dieser Arbeiten, die pro Mann und Tag bezahlt werden,
beträgt jährlich etwa dreißigtausend Thaler und wird in sechs Theile getheilt.
Fünf Theile davon fließen der Anstalt zu ihrer eignen Erhaltung zu und der
sechste Theil des jedem Arbeiter zustehenden Lohnes wird ihm gutgeschrieben, so
daß er bei seiner Entlassung ein kleines Capital in die Hände bekommt; von
der Hälfte dieses ihm zustehenden sechsten Theils jedoch darf er bei guter
Führung sogleich Gebrauch machen, indem er das Recht hat, sich dafür
einige Genüsse zu verschaffen, bestehend in Heringen, Schnupftabak, Butter,
Schmalz, Kartoffeln, Wurst oder dergleichen mehr als bescheidnen Leckerbissen.
Fleisch wird nämlich für gewöhnlich gar nicht verabreicht, sondern «ur viermal
im Jahre, nämlich an den drei großen Festtagen und zu Königs Geburtstag,
wie überhaupt die Bedürfnisse alle auf ein Minimum reducirt sind.

Doch kehren wir zu den Zellen zurück.

Wir wenden uns von dem Mittelraume aus in einen der Gänge und
lassen uns irgendeine der Zellen öffnen; sie gleichen einander sämmtlich aufs
genaueste. Zu unserm Erstaunen finden wir nur wenige Thüren fest verschlos¬
sen, die meisten sind offen oder angelehnt; letzteres immer, wenn die gegenüber¬
stehende Thür offen ist, rHn so jede Communication unmöglich zu machen; jede
Thür enthält eine verschließbare Oeffyung, um die Speise» hineinzureichen, da
das Gebäude noch auf Jsolirsystem eingerichtet wurde, und ein Guckloch für
den Beamten.

Die Zelle selbst ist etwa 8 — 9 Fuß tief und 3 — 6 Fuß breit und
enthält nichts als Tisch, Stuhl, ein Eckbret mit dem zinnernen Wahns-, Trink-
und Eßgefäß, und über der Thüre ein Bret zu Büchern, auf dem sich immer
Bibel und Gesangbuch, zuweilen aber auch andre Lectüre befindet, von der
wir weiter unten reden werden. Die Schlafstelle wird bereitet, indem eine den
Tag über zusammengerollte Hängematte quer über die Zelle gespannt und an
zwei in den Mauern befindlichen Haken befestigt wird. Nur für schwächliche
Personen gibt es Bettstellen. Außerdem befindet sich in der Zelle ein ge¬
schlossener Abzugskanal und ein Klingelzug. Das Fenster ist hoch gegenüber
der Thüre gelegen, und durch eine einfache Vorrichtung kann der Gefangene
jeden Augenblick frische Luft zulassen, ohne daß das Fenster jemals geöffnet
werden kann. Ebenso .wie diese Einrichtung in allen Zellen dieselbe ist, so ist
es auch die größte Reinlichkeit, die beispiellos genannt werden kann; so sieht
Z. B. alles Geschirr aus, als wäre es ganz neues Silber. Der Klingelzug
ist da, damit der Beamte benachrichtigt werden kann, wenn der Gefangene keine
Arbeit mehr hat oder ihm sonst etwas zustößt. Wird dies Zeichen ohne Noth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/191>, abgerufen am 03.07.2024.