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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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man ihn kaum in Gesellschaftszimmern findet, Geländer der Galerien und
Treppen sind mit blankem Eisenblech belegt, und die Schieferplatten der Trep¬
pen und Gänge alle so rein, als wären sie eben neu entstanden. --

Neben dieser großen Helle und Freundlichkeit verwunderten wir uns zu¬
nächst über ein starkes, summendes, schnurrendes Geräusch, wie von Dampf¬
maschinen, das in den hohen gewölbten Gängen lauten Widerhall findet, und
umsomehr überrascht, da man in das Reich deö Schweigens zu treten glaubt.
Dies Geräusch entsteht durch viele Webestühle, Spinnmaschinen und dergleichen,
die am Ende der Gänge aufgestellt sind und sich den ganzen Tag über in
voller Thätigkeit befinden. Ueberhaupt herrscht in den Gängen und Galerien
ein rasches, reges, wenn auch stummes Treiben. Gefangene gehen einzeln und
truppweise, d. h. immer einer hinter ,dem andern, hin und her, und man wird
schon daraus ersehen, was ich hierbei ausdrücklich bemerken will, daß das
strenge Jsolirsystem völlig aufgegeben worden ist, da es sich hier sowol wie
in Amerika durchaus nicht bewährt hat. Nur in einzelnen Ausnahmsfällen
wird es noch in voller Strenge angewandt. Man hat nur das Schweigsystem
beibehalten, das allerdings mit großer Konsequenz durchgeführt wird, so daß
die Gefangenen unter sich nie ein Wort zu wechseln im Stande sind, und
nur den Beamten Rede und Antwort zu stehen haben.

Das leitende Princip dieser Anstalt heißt nicht Absperrung, sondern
Arbeit, und diesem Princip getreu hat die Anstalt aus sich einen förmlichen
Arbeitsstaat geschaffen, der in folgender Weise geregelt ist.

Alles, was die Anstalt selbst an Arbeit bedarf, wird in derselben geleistet,
so daß von außen her nichts als das rohe Material hineingeliefert wird. Es
wird hier gesponnen, gewebt, genäht, geschneidert, gestrickt, geschustert, gemahlen,
gebacken, gewaschen u. s. w. und dadurch natürlich bedeutende Ersparnisse her¬
beigeführt; so z. B. erspart die Selbstbereitung des Brotes allein jährlich circa
dreitausend Thaler. -- Außerdem aber sind große Räume in den Kellergeschossen
und einem Nebengebäude in Fabriksäle umgewandelt, in denen etwa dreihundert
Arbeiter täglich vierzehn Stunden beschäftigt sind; (die in den Zellen wohnen¬
den haben ebensolange Arbeitszeit und wechseln häufig mit diesen.) Die ver¬
schiedensten Zweige der Industrie sind hier vertreten; so sahen wir eine Tabaks-,
eine Strohhut-, eine Filzfabrik, eine Tischlerei, eine Notenstecherei und Druckerei
u. in. a.; letztere beide sind ausschließlich für den Bockschen Verlag beschäftigt.
Außerdem befinden sich in den Zellen und Gängen noch bedeutende Seiden-
und Baumwollwirkereien, Tapezierer u. s. w. Die Leistungen sind so vor¬
züglich, daß Proben davon sich in diesem Augenblicke auf dem Wege zur Pa¬
riser Ausstellung befinden und dort die Concurrenz nicht zu scheuen haben; auch
machen jetzt die ersten Kaufleute der Stadt ihre Bestellungen hier, da der
Lohn etwas geringer ist, als für freie Arbeiter, und sie nur das eine Risiko


man ihn kaum in Gesellschaftszimmern findet, Geländer der Galerien und
Treppen sind mit blankem Eisenblech belegt, und die Schieferplatten der Trep¬
pen und Gänge alle so rein, als wären sie eben neu entstanden. —

Neben dieser großen Helle und Freundlichkeit verwunderten wir uns zu¬
nächst über ein starkes, summendes, schnurrendes Geräusch, wie von Dampf¬
maschinen, das in den hohen gewölbten Gängen lauten Widerhall findet, und
umsomehr überrascht, da man in das Reich deö Schweigens zu treten glaubt.
Dies Geräusch entsteht durch viele Webestühle, Spinnmaschinen und dergleichen,
die am Ende der Gänge aufgestellt sind und sich den ganzen Tag über in
voller Thätigkeit befinden. Ueberhaupt herrscht in den Gängen und Galerien
ein rasches, reges, wenn auch stummes Treiben. Gefangene gehen einzeln und
truppweise, d. h. immer einer hinter ,dem andern, hin und her, und man wird
schon daraus ersehen, was ich hierbei ausdrücklich bemerken will, daß das
strenge Jsolirsystem völlig aufgegeben worden ist, da es sich hier sowol wie
in Amerika durchaus nicht bewährt hat. Nur in einzelnen Ausnahmsfällen
wird es noch in voller Strenge angewandt. Man hat nur das Schweigsystem
beibehalten, das allerdings mit großer Konsequenz durchgeführt wird, so daß
die Gefangenen unter sich nie ein Wort zu wechseln im Stande sind, und
nur den Beamten Rede und Antwort zu stehen haben.

Das leitende Princip dieser Anstalt heißt nicht Absperrung, sondern
Arbeit, und diesem Princip getreu hat die Anstalt aus sich einen förmlichen
Arbeitsstaat geschaffen, der in folgender Weise geregelt ist.

Alles, was die Anstalt selbst an Arbeit bedarf, wird in derselben geleistet,
so daß von außen her nichts als das rohe Material hineingeliefert wird. Es
wird hier gesponnen, gewebt, genäht, geschneidert, gestrickt, geschustert, gemahlen,
gebacken, gewaschen u. s. w. und dadurch natürlich bedeutende Ersparnisse her¬
beigeführt; so z. B. erspart die Selbstbereitung des Brotes allein jährlich circa
dreitausend Thaler. — Außerdem aber sind große Räume in den Kellergeschossen
und einem Nebengebäude in Fabriksäle umgewandelt, in denen etwa dreihundert
Arbeiter täglich vierzehn Stunden beschäftigt sind; (die in den Zellen wohnen¬
den haben ebensolange Arbeitszeit und wechseln häufig mit diesen.) Die ver¬
schiedensten Zweige der Industrie sind hier vertreten; so sahen wir eine Tabaks-,
eine Strohhut-, eine Filzfabrik, eine Tischlerei, eine Notenstecherei und Druckerei
u. in. a.; letztere beide sind ausschließlich für den Bockschen Verlag beschäftigt.
Außerdem befinden sich in den Zellen und Gängen noch bedeutende Seiden-
und Baumwollwirkereien, Tapezierer u. s. w. Die Leistungen sind so vor¬
züglich, daß Proben davon sich in diesem Augenblicke auf dem Wege zur Pa¬
riser Ausstellung befinden und dort die Concurrenz nicht zu scheuen haben; auch
machen jetzt die ersten Kaufleute der Stadt ihre Bestellungen hier, da der
Lohn etwas geringer ist, als für freie Arbeiter, und sie nur das eine Risiko


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/190>, abgerufen am 01.07.2024.