Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

danken, die seinem gewaltigen Innern entsprungen, verständlich und aus¬
drucksvoll mitzutheilen, mochte die Härte des Ausdrucks auch Mißtrauen er¬
regen gegen die Kunst des Inhalts, so erkannte Kaulbach, daß in der Kunst,
deren Vermittlerin die Sinne sind, erst diese gewonnen werden müssen, da¬
mit das, was ein Geist gewährt, die andern freudig empfangen.

Und so bleibt, wenn schon sonst, namentlich hierdurch Kaulbachs Erschei¬
nen ein Ereignis; für unsre Kunstperiode. Ist Cornelius der gewaltige
Kriegsheld, der mit seinen Genossen das Reich des Zopfes vernichtete,
und statt des alten Schlendrians mit dictatorischer Härte sein eignes Gesetz
aufstellte, so ist Kaulbach der reiche Fürst deS Friedens, der auf dem frei-
gewordenen Boden das Schöne blühen und gedeihen läßt.

Indem Kaulbach seine Form zu immer größerer Freiheit entwickelte, hat er
sich allmälig iuunermehr von den zu harten früheren Gesetzen emancipirt, da
er auch die Weise, seine Form zu geben, anders und weiter ausbildete.
Sich früher fast ausschließlich der strengen Ausbildung des Conturs zuwen¬
dend und sich bemühend, in ihn allen Ausdruck und Bewegung des Lebens zu
legen, bekundet er jetzt in jedem Werke mehr das Bestreben, die Form in ihrem
ganzen Umfange durchzubilden und zu plastischem Leben zu gestalten. Sehr
bemerklich ist dieser Fortschritt bei den Cartons fürs neue Museum; man stelle
z. B. die Sage neben die Wissenschaft, das erste Stück des Kinderfrieses gegen
die letzten, so sehen wir bei jenen die Linie und gradezu den Strich der
Kohle in Fleisch und Gewändern vorherrschen, während in den letzten der
harte Condur und der Strich des Materials mehr zurücktritt und bei nicht
größerer Ausführung eine verhältnißmäßig viel stofflichere^ malerischere Wirkung
erreicht ist.

Um endlich noch von Kaulbachs malerischer Seite zu reden, so dürfen
wir hier ^n vornherein nicht die Ansprüche machen, wie an französische und
belgische Meister, oder einige deutsche, die einen den Fremden ähnlichen Weg ein¬
schlagen haben und deren Streben hauptsächlich daraufgerichtet ist, der Natur bis
M Illusion nahe oder womöglich gleichzukommen. Kaulbachs ganze Richtung und
Anlage geht ,,n Verhältniß zu jenen doch überall mehr dahin, die reine Form
und die Linie zur Geltung zu bringen, wenn er sich von Cornelius und der alten
Münchner Schule hierin auch noch soweit entfernt hat. Seine Compositionen
sind doch immer eher darauf geschaffen, daß die Figuren und Gruppen in der
Breitenausdehnung gegeneinanderwirken durch die rythmische Bewegung der
Linien, als in der Tiefe durch Bertheilung malerischer Massen.

Wäre es schon an und für sich unverständig, hieraus Kaulbach einen
directen Vorwurf zu machen, so dürfen wir es umsoweniger, da die Dar-
stellmigsmiltel, welche die Wandmalerei bietet, sich eher dazu eignen, jene,
als diese Wirkung zu größerer Geltung zu bringen. Diejenige Seite Kant-


2*

danken, die seinem gewaltigen Innern entsprungen, verständlich und aus¬
drucksvoll mitzutheilen, mochte die Härte des Ausdrucks auch Mißtrauen er¬
regen gegen die Kunst des Inhalts, so erkannte Kaulbach, daß in der Kunst,
deren Vermittlerin die Sinne sind, erst diese gewonnen werden müssen, da¬
mit das, was ein Geist gewährt, die andern freudig empfangen.

Und so bleibt, wenn schon sonst, namentlich hierdurch Kaulbachs Erschei¬
nen ein Ereignis; für unsre Kunstperiode. Ist Cornelius der gewaltige
Kriegsheld, der mit seinen Genossen das Reich des Zopfes vernichtete,
und statt des alten Schlendrians mit dictatorischer Härte sein eignes Gesetz
aufstellte, so ist Kaulbach der reiche Fürst deS Friedens, der auf dem frei-
gewordenen Boden das Schöne blühen und gedeihen läßt.

Indem Kaulbach seine Form zu immer größerer Freiheit entwickelte, hat er
sich allmälig iuunermehr von den zu harten früheren Gesetzen emancipirt, da
er auch die Weise, seine Form zu geben, anders und weiter ausbildete.
Sich früher fast ausschließlich der strengen Ausbildung des Conturs zuwen¬
dend und sich bemühend, in ihn allen Ausdruck und Bewegung des Lebens zu
legen, bekundet er jetzt in jedem Werke mehr das Bestreben, die Form in ihrem
ganzen Umfange durchzubilden und zu plastischem Leben zu gestalten. Sehr
bemerklich ist dieser Fortschritt bei den Cartons fürs neue Museum; man stelle
z. B. die Sage neben die Wissenschaft, das erste Stück des Kinderfrieses gegen
die letzten, so sehen wir bei jenen die Linie und gradezu den Strich der
Kohle in Fleisch und Gewändern vorherrschen, während in den letzten der
harte Condur und der Strich des Materials mehr zurücktritt und bei nicht
größerer Ausführung eine verhältnißmäßig viel stofflichere^ malerischere Wirkung
erreicht ist.

Um endlich noch von Kaulbachs malerischer Seite zu reden, so dürfen
wir hier ^n vornherein nicht die Ansprüche machen, wie an französische und
belgische Meister, oder einige deutsche, die einen den Fremden ähnlichen Weg ein¬
schlagen haben und deren Streben hauptsächlich daraufgerichtet ist, der Natur bis
M Illusion nahe oder womöglich gleichzukommen. Kaulbachs ganze Richtung und
Anlage geht ,,n Verhältniß zu jenen doch überall mehr dahin, die reine Form
und die Linie zur Geltung zu bringen, wenn er sich von Cornelius und der alten
Münchner Schule hierin auch noch soweit entfernt hat. Seine Compositionen
sind doch immer eher darauf geschaffen, daß die Figuren und Gruppen in der
Breitenausdehnung gegeneinanderwirken durch die rythmische Bewegung der
Linien, als in der Tiefe durch Bertheilung malerischer Massen.

Wäre es schon an und für sich unverständig, hieraus Kaulbach einen
directen Vorwurf zu machen, so dürfen wir es umsoweniger, da die Dar-
stellmigsmiltel, welche die Wandmalerei bietet, sich eher dazu eignen, jene,
als diese Wirkung zu größerer Geltung zu bringen. Diejenige Seite Kant-


2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99405"/>
          <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36"> danken, die seinem gewaltigen Innern entsprungen, verständlich und aus¬<lb/>
drucksvoll mitzutheilen, mochte die Härte des Ausdrucks auch Mißtrauen er¬<lb/>
regen gegen die Kunst des Inhalts, so erkannte Kaulbach, daß in der Kunst,<lb/>
deren Vermittlerin die Sinne sind, erst diese gewonnen werden müssen, da¬<lb/>
mit das, was ein Geist gewährt, die andern  freudig empfangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_38"> Und so bleibt, wenn schon sonst, namentlich hierdurch Kaulbachs Erschei¬<lb/>
nen ein Ereignis; für unsre Kunstperiode. Ist Cornelius der gewaltige<lb/>
Kriegsheld, der mit seinen Genossen das Reich des Zopfes vernichtete,<lb/>
und statt des alten Schlendrians mit dictatorischer Härte sein eignes Gesetz<lb/>
aufstellte, so ist Kaulbach der reiche Fürst deS Friedens, der auf dem frei-<lb/>
gewordenen Boden das Schöne blühen und gedeihen läßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39"> Indem Kaulbach seine Form zu immer größerer Freiheit entwickelte, hat er<lb/>
sich allmälig iuunermehr von den zu harten früheren Gesetzen emancipirt, da<lb/>
er auch die Weise, seine Form zu geben, anders und weiter ausbildete.<lb/>
Sich früher fast ausschließlich der strengen Ausbildung des Conturs zuwen¬<lb/>
dend und sich bemühend, in ihn allen Ausdruck und Bewegung des Lebens zu<lb/>
legen, bekundet er jetzt in jedem Werke mehr das Bestreben, die Form in ihrem<lb/>
ganzen Umfange durchzubilden und zu plastischem Leben zu gestalten. Sehr<lb/>
bemerklich ist dieser Fortschritt bei den Cartons fürs neue Museum; man stelle<lb/>
z. B. die Sage neben die Wissenschaft, das erste Stück des Kinderfrieses gegen<lb/>
die letzten, so sehen wir bei jenen die Linie und gradezu den Strich der<lb/>
Kohle in Fleisch und Gewändern vorherrschen, während in den letzten der<lb/>
harte Condur und der Strich des Materials mehr zurücktritt und bei nicht<lb/>
größerer Ausführung eine verhältnißmäßig viel stofflichere^ malerischere Wirkung<lb/>
erreicht ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40"> Um endlich noch von Kaulbachs malerischer Seite zu reden, so dürfen<lb/>
wir hier ^n vornherein nicht die Ansprüche machen, wie an französische und<lb/>
belgische Meister, oder einige deutsche, die einen den Fremden ähnlichen Weg ein¬<lb/>
schlagen haben und deren Streben hauptsächlich daraufgerichtet ist, der Natur bis<lb/>
M Illusion nahe oder womöglich gleichzukommen. Kaulbachs ganze Richtung und<lb/>
Anlage geht ,,n Verhältniß zu jenen doch überall mehr dahin, die reine Form<lb/>
und die Linie zur Geltung zu bringen, wenn er sich von Cornelius und der alten<lb/>
Münchner Schule hierin auch noch soweit entfernt hat. Seine Compositionen<lb/>
sind doch immer eher darauf geschaffen, daß die Figuren und Gruppen in der<lb/>
Breitenausdehnung gegeneinanderwirken durch die rythmische Bewegung der<lb/>
Linien, als in der Tiefe durch Bertheilung malerischer Massen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_41" next="#ID_42"> Wäre es schon an und für sich unverständig, hieraus Kaulbach einen<lb/>
directen Vorwurf zu machen, so dürfen wir es umsoweniger, da die Dar-<lb/>
stellmigsmiltel, welche die Wandmalerei bietet, sich eher dazu eignen, jene,<lb/>
als diese Wirkung zu größerer Geltung zu bringen.  Diejenige Seite Kant-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 2*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] danken, die seinem gewaltigen Innern entsprungen, verständlich und aus¬ drucksvoll mitzutheilen, mochte die Härte des Ausdrucks auch Mißtrauen er¬ regen gegen die Kunst des Inhalts, so erkannte Kaulbach, daß in der Kunst, deren Vermittlerin die Sinne sind, erst diese gewonnen werden müssen, da¬ mit das, was ein Geist gewährt, die andern freudig empfangen. Und so bleibt, wenn schon sonst, namentlich hierdurch Kaulbachs Erschei¬ nen ein Ereignis; für unsre Kunstperiode. Ist Cornelius der gewaltige Kriegsheld, der mit seinen Genossen das Reich des Zopfes vernichtete, und statt des alten Schlendrians mit dictatorischer Härte sein eignes Gesetz aufstellte, so ist Kaulbach der reiche Fürst deS Friedens, der auf dem frei- gewordenen Boden das Schöne blühen und gedeihen läßt. Indem Kaulbach seine Form zu immer größerer Freiheit entwickelte, hat er sich allmälig iuunermehr von den zu harten früheren Gesetzen emancipirt, da er auch die Weise, seine Form zu geben, anders und weiter ausbildete. Sich früher fast ausschließlich der strengen Ausbildung des Conturs zuwen¬ dend und sich bemühend, in ihn allen Ausdruck und Bewegung des Lebens zu legen, bekundet er jetzt in jedem Werke mehr das Bestreben, die Form in ihrem ganzen Umfange durchzubilden und zu plastischem Leben zu gestalten. Sehr bemerklich ist dieser Fortschritt bei den Cartons fürs neue Museum; man stelle z. B. die Sage neben die Wissenschaft, das erste Stück des Kinderfrieses gegen die letzten, so sehen wir bei jenen die Linie und gradezu den Strich der Kohle in Fleisch und Gewändern vorherrschen, während in den letzten der harte Condur und der Strich des Materials mehr zurücktritt und bei nicht größerer Ausführung eine verhältnißmäßig viel stofflichere^ malerischere Wirkung erreicht ist. Um endlich noch von Kaulbachs malerischer Seite zu reden, so dürfen wir hier ^n vornherein nicht die Ansprüche machen, wie an französische und belgische Meister, oder einige deutsche, die einen den Fremden ähnlichen Weg ein¬ schlagen haben und deren Streben hauptsächlich daraufgerichtet ist, der Natur bis M Illusion nahe oder womöglich gleichzukommen. Kaulbachs ganze Richtung und Anlage geht ,,n Verhältniß zu jenen doch überall mehr dahin, die reine Form und die Linie zur Geltung zu bringen, wenn er sich von Cornelius und der alten Münchner Schule hierin auch noch soweit entfernt hat. Seine Compositionen sind doch immer eher darauf geschaffen, daß die Figuren und Gruppen in der Breitenausdehnung gegeneinanderwirken durch die rythmische Bewegung der Linien, als in der Tiefe durch Bertheilung malerischer Massen. Wäre es schon an und für sich unverständig, hieraus Kaulbach einen directen Vorwurf zu machen, so dürfen wir es umsoweniger, da die Dar- stellmigsmiltel, welche die Wandmalerei bietet, sich eher dazu eignen, jene, als diese Wirkung zu größerer Geltung zu bringen. Diejenige Seite Kant- 2*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/19>, abgerufen am 01.07.2024.