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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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jene Begeisterung auf, die mit ihren Freiwilligen und ihrer Landwehr alle
Völker Deutschlands zu einem großen Siegesheere verbrüderte. Deutschland
hatte sich selbst erkannt, und die Herzen, einmal vom Hohen berührt, wurden
auch für die großen Erinnerungen der Vorzeit wieder empfänglich. Damals
wies Herr von Schön, Oberpräsident von Preußen, auf die verlassene Marien¬
burg hin. Durch eignes Verschulden wie durch deS Geschickes Ungunst aus¬
einandergerissen, standen Ost- und Westpreußen Jahrhunderte lang sich fremd
gegenüber; in jenem war daS ursprünglich deutsche Leben gesichert, in die¬
sem aber wurde es durch polnisch-slawischen Geist beengt und bedrückt. Des
unsterblichen Friedrich Hand vereinte wieder, was nie hätte getrennt werden
sollen. Aber die so lange Getrennten hatten ihren gemeinsamen Ursprung
vergessen und sich als Brüder zu betrachten verlernt. Als zwei Provinzen
standen die Länder da, die doch nur ein Land sind.. Der Ostpreuße legte
den ehrenden Beinamen ,,Altpreuße" sich zu, um sich von dem Bruder zu
unterscheiden, der einst im thörichten Sinne das gemeinschaftliche Familienband
zerrissen hatte. Mit der Vereinigung unter einen Herrscherstab war die Ver¬
schmelzung zu einem Volke noch nicht bewirkt. Sollte dies geschehen, so mußte
das Volk in sein gemeinsames Vaterhaus zurückgeführt werden; die Marienburg
sollte deshalb erstehen in ihrer alten Pracht, die Preußen aus Ost und West
zu erinnern "an die alte Einheit". Herr von Schön hat die Wiederherstellung
geleitet und soweit zu Ende gebracht, als sie geführt werden konnte. Ist der
Name deö ersten Erbauers vergessen, so darf doch niemand, der von der
Marienburg spricht, versäumen, den Namen deS zweiten mit hohen Ehren zu
nennen. Wie ein zweiter Plauen achtete er jede Mühe und Gefahr für gering,
um seine Burg aus den Händen von Barbaren zu retten. Mit leerer Hand*),
aber im hochherzigen Vertrauen, daß alles Edle und Große sich selbst Bahn
breche, ging er getrost ans Werk, im Vertrauen auf die Mitwirkung des ganzen
Volkes, ein Vertrauen, das des Arbeitsgenossen eines von Stein und Scharn-
horst würdig war; er überwand muthig manche kleine Ungunst und zweisel-
süchtige Gleichgiltigkeit und hat in dem wiederhergestellten Riesenbau, ohne es
zu wissen und zu wollen, sich selbst das schönste und unvergänglichste Monu¬
ment errichtet. So wurde denn seit 1817 frisch Hand an die Arbeit gelegt.
Prediger Häbler suchte aus der Erinnerung noch Lebender und aus alten
Urkunden die Maße und Formen des alten Baues festzustellen; Baumeister
Gersdorf half als Techniker an Ort und Stelle, Professor Voigt in Königs¬
berg stand mit seinen archivarischen Schätzen unterstützend bei; Bürgermeister



*) Der erste ursprüngliche Beitrag zur Wiederherstellung des Schlosses bestand aus fünf¬
tausend Thalern, die uicht aus öffentlichen Fonds kamen, -- vorhandene Kriegsbcutegcldcr,
ein herrenloses Gut.

jene Begeisterung auf, die mit ihren Freiwilligen und ihrer Landwehr alle
Völker Deutschlands zu einem großen Siegesheere verbrüderte. Deutschland
hatte sich selbst erkannt, und die Herzen, einmal vom Hohen berührt, wurden
auch für die großen Erinnerungen der Vorzeit wieder empfänglich. Damals
wies Herr von Schön, Oberpräsident von Preußen, auf die verlassene Marien¬
burg hin. Durch eignes Verschulden wie durch deS Geschickes Ungunst aus¬
einandergerissen, standen Ost- und Westpreußen Jahrhunderte lang sich fremd
gegenüber; in jenem war daS ursprünglich deutsche Leben gesichert, in die¬
sem aber wurde es durch polnisch-slawischen Geist beengt und bedrückt. Des
unsterblichen Friedrich Hand vereinte wieder, was nie hätte getrennt werden
sollen. Aber die so lange Getrennten hatten ihren gemeinsamen Ursprung
vergessen und sich als Brüder zu betrachten verlernt. Als zwei Provinzen
standen die Länder da, die doch nur ein Land sind.. Der Ostpreuße legte
den ehrenden Beinamen ,,Altpreuße" sich zu, um sich von dem Bruder zu
unterscheiden, der einst im thörichten Sinne das gemeinschaftliche Familienband
zerrissen hatte. Mit der Vereinigung unter einen Herrscherstab war die Ver¬
schmelzung zu einem Volke noch nicht bewirkt. Sollte dies geschehen, so mußte
das Volk in sein gemeinsames Vaterhaus zurückgeführt werden; die Marienburg
sollte deshalb erstehen in ihrer alten Pracht, die Preußen aus Ost und West
zu erinnern „an die alte Einheit". Herr von Schön hat die Wiederherstellung
geleitet und soweit zu Ende gebracht, als sie geführt werden konnte. Ist der
Name deö ersten Erbauers vergessen, so darf doch niemand, der von der
Marienburg spricht, versäumen, den Namen deS zweiten mit hohen Ehren zu
nennen. Wie ein zweiter Plauen achtete er jede Mühe und Gefahr für gering,
um seine Burg aus den Händen von Barbaren zu retten. Mit leerer Hand*),
aber im hochherzigen Vertrauen, daß alles Edle und Große sich selbst Bahn
breche, ging er getrost ans Werk, im Vertrauen auf die Mitwirkung des ganzen
Volkes, ein Vertrauen, das des Arbeitsgenossen eines von Stein und Scharn-
horst würdig war; er überwand muthig manche kleine Ungunst und zweisel-
süchtige Gleichgiltigkeit und hat in dem wiederhergestellten Riesenbau, ohne es
zu wissen und zu wollen, sich selbst das schönste und unvergänglichste Monu¬
ment errichtet. So wurde denn seit 1817 frisch Hand an die Arbeit gelegt.
Prediger Häbler suchte aus der Erinnerung noch Lebender und aus alten
Urkunden die Maße und Formen des alten Baues festzustellen; Baumeister
Gersdorf half als Techniker an Ort und Stelle, Professor Voigt in Königs¬
berg stand mit seinen archivarischen Schätzen unterstützend bei; Bürgermeister



*) Der erste ursprüngliche Beitrag zur Wiederherstellung des Schlosses bestand aus fünf¬
tausend Thalern, die uicht aus öffentlichen Fonds kamen, — vorhandene Kriegsbcutegcldcr,
ein herrenloses Gut.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/178>, abgerufen am 03.07.2024.