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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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ist noch jetzt die sprichwörtliche Frage in des Volkes Mund, wenn das Auge das
Nächste und Deutlichste übersieht. Durch hohe architektonische Schönheit und Ge¬
nialität übt die Marienburg auch aus den Ungebildeten einen Einfluß aus. Jedes
schöne Gewölbe ist eine Andeutung des Himmels. Die Marienburg hat aber
der edeln Gewölbe und herrlichen Säle soviele, daß man wahrhaft mit An¬
dacht erfüllt wird, wenn man in dieselben eintritt. Dies gilt vorzüglich vom
Untern "Conv mehrend er", dessen zarte luftige Gewölbe wie hingehaucht
auf drei schlanken Pfeilern ruhen. Wir sind zum öftern Zeuge gewesen, wie
einfache Leute, wenn sie diesen Saal betraten, unwillkürlich die Hände zum
Gebet falteten.

Der Sonnenglanz einer großartigen Vorzeit umstrahlt die alten Mauern
dieser Hochmeisterresidenz; -- die Erinnerung an das große Leben eines ver¬
gangenen Geschlechts spricht noch mahnend aus den großartigen Formen der
ehrwürdigen Ruine; die Umgestaltung eines heidnischen Landes in ein christliches,
die Begründung eines deutschen Lebens am fernen Bernsteinmeere, die Grund¬
legung der Verfassung des heutigen Preußenlandeö: -- alles führt auf die
Marienburg, wie auf einen Brennpunkt in dem historischen Leben Preußens
zurück, und wenn die Burg, mit Künstleraugen betrachtet, auch bei weitem
nicht so, herrlich dastände, schon das geschichtliche Denkmal hätte verdient, als
ein Ehrendenkmal preußischer Vorzeit vor den Augen des Volkes wiederher¬
gestellt zu werden.

Die Burg verfiel mit ihrer Pracht, als der Orden nicht mehr würdig war,
sie zu behaupten, und erstand in neuester Zeit erst wieder, als das Preußen¬
volk sich werth gezeigt hatte, sie zu behalten. Man hatte mit der ehrwürdigen
Burg große Schmach getrieben. Sie war nach Vertreibung deö letzten Hoch¬
meisters hinabgesunken zum Wohnsitze polnischer Starosten, die, nur kleinlichen
Vortheilen nachgehend, den schönen Prachtbau des Schlosses nach dem Unge-
schmacke damaliger Zeit durch verunglimpfende Veränderungen zerstückten. Doch
muß billiges Urtheil den Ordensfeinden nachsagen, daß sie weniger zerstörten,
als durch Zuthaten verunzierten, und daß sie stehen ließen, was nicht grade
einstürzen mußte. Dann kam die Burg an Preußens großen Friedrich, und
jetzt wurde leider aus Utilitätsrücksichten in kurzer Zeit mehr verwüstet, als die
polnische Zeit je verdorben hatte, ja Minister von Schroeter hatte -1804 so¬
gar den Befehl zur gänzlichen Abtragung des Schlosses erlassen. Zwar wurde
durch Mar von Schenkendvrf im Jahre -1806 die Wiederherstellung des Baues
angeregt, aber das hereinbrechende Kriegsunglück hatte keine Zeit zu solchem
Vorhaben. Erst als im Brande von Moskau das blutige Morgenroth einer
neuen Zeit mahnend emporleuchtete, stieg auch für die schlecht behandelte Burg.
eine Zeit der Ehre wieder auf. Preußen hatte den Umschwung der politischen
Geschicke zuerst von allen deutschen Gauen erfahren und von ihm aus flammte


Grenzboten. II. -I8SS. 22

ist noch jetzt die sprichwörtliche Frage in des Volkes Mund, wenn das Auge das
Nächste und Deutlichste übersieht. Durch hohe architektonische Schönheit und Ge¬
nialität übt die Marienburg auch aus den Ungebildeten einen Einfluß aus. Jedes
schöne Gewölbe ist eine Andeutung des Himmels. Die Marienburg hat aber
der edeln Gewölbe und herrlichen Säle soviele, daß man wahrhaft mit An¬
dacht erfüllt wird, wenn man in dieselben eintritt. Dies gilt vorzüglich vom
Untern „Conv mehrend er", dessen zarte luftige Gewölbe wie hingehaucht
auf drei schlanken Pfeilern ruhen. Wir sind zum öftern Zeuge gewesen, wie
einfache Leute, wenn sie diesen Saal betraten, unwillkürlich die Hände zum
Gebet falteten.

Der Sonnenglanz einer großartigen Vorzeit umstrahlt die alten Mauern
dieser Hochmeisterresidenz; — die Erinnerung an das große Leben eines ver¬
gangenen Geschlechts spricht noch mahnend aus den großartigen Formen der
ehrwürdigen Ruine; die Umgestaltung eines heidnischen Landes in ein christliches,
die Begründung eines deutschen Lebens am fernen Bernsteinmeere, die Grund¬
legung der Verfassung des heutigen Preußenlandeö: — alles führt auf die
Marienburg, wie auf einen Brennpunkt in dem historischen Leben Preußens
zurück, und wenn die Burg, mit Künstleraugen betrachtet, auch bei weitem
nicht so, herrlich dastände, schon das geschichtliche Denkmal hätte verdient, als
ein Ehrendenkmal preußischer Vorzeit vor den Augen des Volkes wiederher¬
gestellt zu werden.

Die Burg verfiel mit ihrer Pracht, als der Orden nicht mehr würdig war,
sie zu behaupten, und erstand in neuester Zeit erst wieder, als das Preußen¬
volk sich werth gezeigt hatte, sie zu behalten. Man hatte mit der ehrwürdigen
Burg große Schmach getrieben. Sie war nach Vertreibung deö letzten Hoch¬
meisters hinabgesunken zum Wohnsitze polnischer Starosten, die, nur kleinlichen
Vortheilen nachgehend, den schönen Prachtbau des Schlosses nach dem Unge-
schmacke damaliger Zeit durch verunglimpfende Veränderungen zerstückten. Doch
muß billiges Urtheil den Ordensfeinden nachsagen, daß sie weniger zerstörten,
als durch Zuthaten verunzierten, und daß sie stehen ließen, was nicht grade
einstürzen mußte. Dann kam die Burg an Preußens großen Friedrich, und
jetzt wurde leider aus Utilitätsrücksichten in kurzer Zeit mehr verwüstet, als die
polnische Zeit je verdorben hatte, ja Minister von Schroeter hatte -1804 so¬
gar den Befehl zur gänzlichen Abtragung des Schlosses erlassen. Zwar wurde
durch Mar von Schenkendvrf im Jahre -1806 die Wiederherstellung des Baues
angeregt, aber das hereinbrechende Kriegsunglück hatte keine Zeit zu solchem
Vorhaben. Erst als im Brande von Moskau das blutige Morgenroth einer
neuen Zeit mahnend emporleuchtete, stieg auch für die schlecht behandelte Burg.
eine Zeit der Ehre wieder auf. Preußen hatte den Umschwung der politischen
Geschicke zuerst von allen deutschen Gauen erfahren und von ihm aus flammte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/177>, abgerufen am 03.07.2024.