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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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im Schönen und Häßlichen, im Einfachen und Humoristischen, in Meuschen-
und Thiergestalten bis auf den Kern der Natur, verschmäht zufälliges Detail
und gibt uns nur die großen bezeichnenden Züge. Und so kommt es denn, daß
wir bei ihm die extremste" Gegensätze in durchgesührtester Weise finden. Auf der
einen Seite die reinste, schönste und edelste Form, wie sie das Antike vorgezeich¬
net und wie sie nur noch Raphael wiedergewonnen hat; aus der andern Seite
die schärfsten, ausgeprägtesten Gestalten, sobald es ihm darauf ankommt, nicht
mehr das einfach Schöne zu geben, sondern eine besondere Richtung, sei es
eine geistige oder, körperliche, eine individuelle oder nationale Anlage in einer
Figur vorwalten zu lassen. Finden sich hierzu schon überall Beispiele in Kaul-
bachs Werken, so möchte ich doch an eins der in dieser Hinsicht bezeichnendsten,
an den babylonischen Thurmbau erinnern, wo der nationale Unterschied in Sitte
und geistiger Richtung mit schlagendster Prägnanz und in sinnlich wahrnehm¬
barster Weise gegeben ist, soweit, daß selbst die begleitenden Thiere, Rinder,
und Schafe der Semiten, die Büffel Hams und die Rosse der Japhetiten aufs
entschiedenste und passendste charakterisirt sind.

Soll ich noch Beispiele nennen von besonders einfacher edler Schönheit,
so erinnere ich an manche Figuren auf der Blüte Griechenlands und an die
Frauengruppe in der Hunnenschlacht; oder für Figuren von individuellster Eigen¬
thümlichkeit, so denke man an den Verbrecher aus Verlorner Ehre, an die
Zeichnung zum "Sturm", an die Compositionen zur neuen Pinakothek, wo auch
Porträtgestalten in dieser großen, entschiedenen Weise behandelt sind, (soweit
sie nicht durch die flüchtige Ausführung verdorben wurden). Endlich denke man
an den Reineke Fuchs, wo jedes Thier in seinem ganzen Wesen in gleich
prägnanter Schärfe charakterisirt ist.

So scheint Kaulbach jeder Aufgabe gewachsen, und dennoch liegt auch
hier grade wieder in der besondern Weise seiner Begabung die Gefahr für ihn.
Nach der Seite des I dea is die Einfa es l)eit suchend und darin zu weit gehend,
hat er manche zu allgemeine Gestalten geschaffen, die bisweilen wiederkehrend
zu einem Typus werden, welcher nicht genug individuelles Leben hat. Auf
der andern Seite wieder zu weitgehend im Aufsuchen deö Ausdrucks geistiger
Eigenthümlichkeit hat er darüber das allgemein Menschliche verloren. Und
so finden wir bei ihm wieder manche Figur, die ohne rechte Wahrheit und
Wärme des Lebens mehr wie ein verkörperter Begriff, wie der Repräsentant
einer besondern Id^-e aussieht, deren Erscheinung etwas Fremdes, Dämonisches,
fast Grauenerregendes hat, wie z. B. auf dem babylonischen Thurmba" die
Arbeiter, die den Baumeister erschlagen. Natürlich läßt Kaulbachs ganze
geistige Richtung, die gern zur Reflexion und Abstraktion neigt, diese Seite noch
starker hervortreten oder ist vielmehr der tiefere Grund derselben.

Dazu kommt auch noch ein äußeres Moment: Knall'ach scheint fast zu


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im Schönen und Häßlichen, im Einfachen und Humoristischen, in Meuschen-
und Thiergestalten bis auf den Kern der Natur, verschmäht zufälliges Detail
und gibt uns nur die großen bezeichnenden Züge. Und so kommt es denn, daß
wir bei ihm die extremste» Gegensätze in durchgesührtester Weise finden. Auf der
einen Seite die reinste, schönste und edelste Form, wie sie das Antike vorgezeich¬
net und wie sie nur noch Raphael wiedergewonnen hat; aus der andern Seite
die schärfsten, ausgeprägtesten Gestalten, sobald es ihm darauf ankommt, nicht
mehr das einfach Schöne zu geben, sondern eine besondere Richtung, sei es
eine geistige oder, körperliche, eine individuelle oder nationale Anlage in einer
Figur vorwalten zu lassen. Finden sich hierzu schon überall Beispiele in Kaul-
bachs Werken, so möchte ich doch an eins der in dieser Hinsicht bezeichnendsten,
an den babylonischen Thurmbau erinnern, wo der nationale Unterschied in Sitte
und geistiger Richtung mit schlagendster Prägnanz und in sinnlich wahrnehm¬
barster Weise gegeben ist, soweit, daß selbst die begleitenden Thiere, Rinder,
und Schafe der Semiten, die Büffel Hams und die Rosse der Japhetiten aufs
entschiedenste und passendste charakterisirt sind.

Soll ich noch Beispiele nennen von besonders einfacher edler Schönheit,
so erinnere ich an manche Figuren auf der Blüte Griechenlands und an die
Frauengruppe in der Hunnenschlacht; oder für Figuren von individuellster Eigen¬
thümlichkeit, so denke man an den Verbrecher aus Verlorner Ehre, an die
Zeichnung zum „Sturm", an die Compositionen zur neuen Pinakothek, wo auch
Porträtgestalten in dieser großen, entschiedenen Weise behandelt sind, (soweit
sie nicht durch die flüchtige Ausführung verdorben wurden). Endlich denke man
an den Reineke Fuchs, wo jedes Thier in seinem ganzen Wesen in gleich
prägnanter Schärfe charakterisirt ist.

So scheint Kaulbach jeder Aufgabe gewachsen, und dennoch liegt auch
hier grade wieder in der besondern Weise seiner Begabung die Gefahr für ihn.
Nach der Seite des I dea is die Einfa es l)eit suchend und darin zu weit gehend,
hat er manche zu allgemeine Gestalten geschaffen, die bisweilen wiederkehrend
zu einem Typus werden, welcher nicht genug individuelles Leben hat. Auf
der andern Seite wieder zu weitgehend im Aufsuchen deö Ausdrucks geistiger
Eigenthümlichkeit hat er darüber das allgemein Menschliche verloren. Und
so finden wir bei ihm wieder manche Figur, die ohne rechte Wahrheit und
Wärme des Lebens mehr wie ein verkörperter Begriff, wie der Repräsentant
einer besondern Id^-e aussieht, deren Erscheinung etwas Fremdes, Dämonisches,
fast Grauenerregendes hat, wie z. B. auf dem babylonischen Thurmba» die
Arbeiter, die den Baumeister erschlagen. Natürlich läßt Kaulbachs ganze
geistige Richtung, die gern zur Reflexion und Abstraktion neigt, diese Seite noch
starker hervortreten oder ist vielmehr der tiefere Grund derselben.

Dazu kommt auch noch ein äußeres Moment: Knall'ach scheint fast zu


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[0017] im Schönen und Häßlichen, im Einfachen und Humoristischen, in Meuschen- und Thiergestalten bis auf den Kern der Natur, verschmäht zufälliges Detail und gibt uns nur die großen bezeichnenden Züge. Und so kommt es denn, daß wir bei ihm die extremste» Gegensätze in durchgesührtester Weise finden. Auf der einen Seite die reinste, schönste und edelste Form, wie sie das Antike vorgezeich¬ net und wie sie nur noch Raphael wiedergewonnen hat; aus der andern Seite die schärfsten, ausgeprägtesten Gestalten, sobald es ihm darauf ankommt, nicht mehr das einfach Schöne zu geben, sondern eine besondere Richtung, sei es eine geistige oder, körperliche, eine individuelle oder nationale Anlage in einer Figur vorwalten zu lassen. Finden sich hierzu schon überall Beispiele in Kaul- bachs Werken, so möchte ich doch an eins der in dieser Hinsicht bezeichnendsten, an den babylonischen Thurmbau erinnern, wo der nationale Unterschied in Sitte und geistiger Richtung mit schlagendster Prägnanz und in sinnlich wahrnehm¬ barster Weise gegeben ist, soweit, daß selbst die begleitenden Thiere, Rinder, und Schafe der Semiten, die Büffel Hams und die Rosse der Japhetiten aufs entschiedenste und passendste charakterisirt sind. Soll ich noch Beispiele nennen von besonders einfacher edler Schönheit, so erinnere ich an manche Figuren auf der Blüte Griechenlands und an die Frauengruppe in der Hunnenschlacht; oder für Figuren von individuellster Eigen¬ thümlichkeit, so denke man an den Verbrecher aus Verlorner Ehre, an die Zeichnung zum „Sturm", an die Compositionen zur neuen Pinakothek, wo auch Porträtgestalten in dieser großen, entschiedenen Weise behandelt sind, (soweit sie nicht durch die flüchtige Ausführung verdorben wurden). Endlich denke man an den Reineke Fuchs, wo jedes Thier in seinem ganzen Wesen in gleich prägnanter Schärfe charakterisirt ist. So scheint Kaulbach jeder Aufgabe gewachsen, und dennoch liegt auch hier grade wieder in der besondern Weise seiner Begabung die Gefahr für ihn. Nach der Seite des I dea is die Einfa es l)eit suchend und darin zu weit gehend, hat er manche zu allgemeine Gestalten geschaffen, die bisweilen wiederkehrend zu einem Typus werden, welcher nicht genug individuelles Leben hat. Auf der andern Seite wieder zu weitgehend im Aufsuchen deö Ausdrucks geistiger Eigenthümlichkeit hat er darüber das allgemein Menschliche verloren. Und so finden wir bei ihm wieder manche Figur, die ohne rechte Wahrheit und Wärme des Lebens mehr wie ein verkörperter Begriff, wie der Repräsentant einer besondern Id^-e aussieht, deren Erscheinung etwas Fremdes, Dämonisches, fast Grauenerregendes hat, wie z. B. auf dem babylonischen Thurmba» die Arbeiter, die den Baumeister erschlagen. Natürlich läßt Kaulbachs ganze geistige Richtung, die gern zur Reflexion und Abstraktion neigt, diese Seite noch starker hervortreten oder ist vielmehr der tiefere Grund derselben. Dazu kommt auch noch ein äußeres Moment: Knall'ach scheint fast zu Grenzbvtett. it. -IW- 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/17>, abgerufen am 01.07.2024.