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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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In erstrer Beziehung -- (in Hinsicht auf die Bewaffnung) -- kann sich
das moskowitische Fußvolk nicht rühmen, einen hohen Standpunkt erreicht zu
haben. In einem frühern Aufsatze bemerkte ich bereits, daß Kaiser Nikolaus
erst nach dem ungarischen Kriege das Percussionsgewehr einführte; etwa um
dieselbe Zeit scheint bei den Schützen die Spitzkugelbüchse in Gebrauch gekom¬
men zu sein. Beides war im Vergleich mit den Fortschritten in der Armirung,
welche bis dahin die Infanterie andrer Heere gemacht hatte, überraschend spät,
und umsomehr mag man darüber staunen, als bei dieser Verspätung un¬
möglich ökonomische Rücksichten Anlaß gewesen sein können. Außerdem sollen
Vie Gewehre ziemlich roh gearbeitet sein. Von den Spitzkugelbüchsen, die ich
im vorigen Jahre an der Donau zu sehen Gelegenheit hatte, gilt 'dies indeß
nicht; sie waren neu und sehr gediegen gearbeitet; einige hatten belgische
Fabrikzeichen, andre keine. Mit dieser vortrefflichen Waffe weiß der russische
Schütze (diejenigen, welche ich sah, waren den finnischen Jägern abgenommen
worden) gut umzugehen und es kam vor, daß sie auf tausend Schritt ihren
Mann trafen ; aber der mit dem gewöhnlichen glatten Gewehr bewaffnete Fu߬
soldat schießt nicht eben gut und es ist ganz sicher, daß er in dieser Hinsicht
weder mit dem preußischen Jnfanteristen, auf dessen Ausbildung seit einer
Reihe von Jahren schon ein großer Werth gelegt und viel Fleiß verwendet
wird, noch mir dem französischen, der ein angebornes Geschick zum zerstreuten
Feuergefecht hat, einen Vergleich aushalten kann. Thatsächlich ist auch die
Wirkung des russischen Fußvolks nicht auf die überlegene Anwendung der
Schußwaffe, als vielmehr aus den Stoß der Colonne, d. h. auf den Kampf
mit dem Bajonett berechnet und hierin vielleicht ist der Grund für die oben
gedachte Verspätung bei Einführung des Percussivnsgewehres, die jedenfalls etwas
Befremdendes hat, zu suchen. Kaiser Nikolaus scheint mit einiger Hartnäckigkeit
an jenem Princip festgehalten zu haben; die Bewegungen in piaster, geschlosse¬
nen Massen, die auf dem Paradeplatze sich so imposant ausnehmen und zu¬
gleich ungleich leichter als alle andern zu dirigiren sind, außerdem aber dem
nationalen Charakter (man wolle meinen vorausgegangenen Aufsatz über die
vier Armeen in der Krim sich ins Gedächtniß zurückrufen) wunderbar entsprechen,
sollten nach dem Willen des Zaren auch für die Zukunft die Träger .der Taktik
des russischen Fußvolks verbleiben; als er nach dem ungarischen Feldzuge dem
Preußischen General Gras Dohna bei Suwalki ein dort aufgestelltes Armeecorps
zeigte, legte er noch großen Werth aus das ausschließliche Manövriren mit
schweren Colonnen; aber er hatte wol schon damals die Ueberzeugung in sich
aufgenommen, daß dieselben in ihrer Ausschließlichkeit nicht der Mechanik der
neuern Schlachten entsprechen; daß die Auflosung eines Theils der Infanterie
in große Feuerketten ein Hauptmoment bei Vorbereitung der Entscheidung sei
und daß es auf Irrwege sich begeben heiße, wenn man den Versuch mache,


"Sirnijtwicu. II. .iLi^. > 19

In erstrer Beziehung — (in Hinsicht auf die Bewaffnung) — kann sich
das moskowitische Fußvolk nicht rühmen, einen hohen Standpunkt erreicht zu
haben. In einem frühern Aufsatze bemerkte ich bereits, daß Kaiser Nikolaus
erst nach dem ungarischen Kriege das Percussionsgewehr einführte; etwa um
dieselbe Zeit scheint bei den Schützen die Spitzkugelbüchse in Gebrauch gekom¬
men zu sein. Beides war im Vergleich mit den Fortschritten in der Armirung,
welche bis dahin die Infanterie andrer Heere gemacht hatte, überraschend spät,
und umsomehr mag man darüber staunen, als bei dieser Verspätung un¬
möglich ökonomische Rücksichten Anlaß gewesen sein können. Außerdem sollen
Vie Gewehre ziemlich roh gearbeitet sein. Von den Spitzkugelbüchsen, die ich
im vorigen Jahre an der Donau zu sehen Gelegenheit hatte, gilt 'dies indeß
nicht; sie waren neu und sehr gediegen gearbeitet; einige hatten belgische
Fabrikzeichen, andre keine. Mit dieser vortrefflichen Waffe weiß der russische
Schütze (diejenigen, welche ich sah, waren den finnischen Jägern abgenommen
worden) gut umzugehen und es kam vor, daß sie auf tausend Schritt ihren
Mann trafen ; aber der mit dem gewöhnlichen glatten Gewehr bewaffnete Fu߬
soldat schießt nicht eben gut und es ist ganz sicher, daß er in dieser Hinsicht
weder mit dem preußischen Jnfanteristen, auf dessen Ausbildung seit einer
Reihe von Jahren schon ein großer Werth gelegt und viel Fleiß verwendet
wird, noch mir dem französischen, der ein angebornes Geschick zum zerstreuten
Feuergefecht hat, einen Vergleich aushalten kann. Thatsächlich ist auch die
Wirkung des russischen Fußvolks nicht auf die überlegene Anwendung der
Schußwaffe, als vielmehr aus den Stoß der Colonne, d. h. auf den Kampf
mit dem Bajonett berechnet und hierin vielleicht ist der Grund für die oben
gedachte Verspätung bei Einführung des Percussivnsgewehres, die jedenfalls etwas
Befremdendes hat, zu suchen. Kaiser Nikolaus scheint mit einiger Hartnäckigkeit
an jenem Princip festgehalten zu haben; die Bewegungen in piaster, geschlosse¬
nen Massen, die auf dem Paradeplatze sich so imposant ausnehmen und zu¬
gleich ungleich leichter als alle andern zu dirigiren sind, außerdem aber dem
nationalen Charakter (man wolle meinen vorausgegangenen Aufsatz über die
vier Armeen in der Krim sich ins Gedächtniß zurückrufen) wunderbar entsprechen,
sollten nach dem Willen des Zaren auch für die Zukunft die Träger .der Taktik
des russischen Fußvolks verbleiben; als er nach dem ungarischen Feldzuge dem
Preußischen General Gras Dohna bei Suwalki ein dort aufgestelltes Armeecorps
zeigte, legte er noch großen Werth aus das ausschließliche Manövriren mit
schweren Colonnen; aber er hatte wol schon damals die Ueberzeugung in sich
aufgenommen, daß dieselben in ihrer Ausschließlichkeit nicht der Mechanik der
neuern Schlachten entsprechen; daß die Auflosung eines Theils der Infanterie
in große Feuerketten ein Hauptmoment bei Vorbereitung der Entscheidung sei
und daß es auf Irrwege sich begeben heiße, wenn man den Versuch mache,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/153>, abgerufen am 03.07.2024.