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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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noch umdrehen!? Und doch befand sich Rußland niemals einem gewandteren
und für dasselbe mörderischeren Gegner gegenüber, als es Friedrich II. war.
Aber die ihrem Charakter nach selbst verbissensten Völker erschlaffen zuletzt unter
übermäßigen Lasten, vergeuden ihr Herzblut unter dem Stocke und werden end¬
lich zu einer todten Masse, gut genug, die Livreeröcke des Reichs auszufüllen.
Der russische Soldat (und in Rußland ist die Armee das ganze Volk) hat sei"
Eberherz vor Leipzig gelassen. Unser Feldzug (von 1831) traf ihn be¬
reits als jene ausgestopfte und an einen Baum gelehnte Uniform an, die sich
nur beim Takte der Positionsgeschütze zu bewegen vermag, aber einmal aufge¬
schlitzt, alles aus sich herausläßt." Man kann nicht wegwerfender von einer
Waffe reden, als Microölawski in dieser Stelle von der zarischen Infanterie
und der russischen Armee im Allgemeinen spricht. Aber es ist bemerkenswerth,
daß er unmittelbar darnach hinzufügt: "Diese Mumie (nämlich der russische
Soldat) kehrte erst in unsern (den polnischen) Reihen zu ihrer ursprünglichen,
energischen Natur zurück. Derselbe Soldat, der bei Wawr, am Erlenwalde
und bei Jganie vor jedem Blinken unsrer Bajonette floh, stürzte sich in unsern
Reihen (mehre tausend russische Gefangene wurden von den Polen eingestellt)
bei Firlej, bei Ostrolenka, bei Rogoznica wie ein gereizter Löwe auf die Mos¬
kowiter. DaS war allerdings nicht mehr der Soldat von Zorndorf, Eylau und
Borodino, -- aber etwas Höheres! Denn wenn dir Seele der Völker sich ab¬
nutzt, so stirbt sie entweder in den Fesseln des Leibes, oder sie erwacht als eine >
andre und vollkommenere Seele." Ein ähnlicher Umschlag wie der hier in
poetischen Worten bezeichnete, hat rücksichtlich der russischen Bravour während
der letzten sechs oder sieben Monate stattgefunden. Augenzeugen, in deren Mit¬
theilungen ich nicht den leisesten Zweifel setzen darf, haben mir erzählt, wie sie
an der Donau im vergangenen Sommer in den Kämpfen vor Silistria und
aus den Inseln zwischen Giurgewo und Ruftschuck die Teten der russischen
Colonnen, bald nachdem sie das erste Kugelfeuer (nicht Kartätschfeuer) empfan¬
gen halten, stocken und letztlich umkehren sahen. An der Alma scheint sich
noch etwas Aehnliches wiederholt zu haben, aber schon bei Jnkerman stritten
die Russen mit einer sehr anerkennenswerther Bravour und dieselbe hat sich
seitdem in allen nachfolgenden Gefechten die Bewunderung der Gegner verdient.
Auf der Krim also, denn Angegriffenwerben in den eignen Grenzen, der feind¬
lichen Jnvasionsmacht gegenüber ging der Umschlag vor sich und noch weiß
man nicht, wohin er sichren wird.

Bei jeder taktischen Entscheidung ist indeß die Tapferkeit des gemeinen
Mannes nur einer von den Factoren, die das Resultat bestimmen. Kaum
von geringerer Bedeutung ist die Bewaffnung, die Fechtweise und letztlich die
Führung.


noch umdrehen!? Und doch befand sich Rußland niemals einem gewandteren
und für dasselbe mörderischeren Gegner gegenüber, als es Friedrich II. war.
Aber die ihrem Charakter nach selbst verbissensten Völker erschlaffen zuletzt unter
übermäßigen Lasten, vergeuden ihr Herzblut unter dem Stocke und werden end¬
lich zu einer todten Masse, gut genug, die Livreeröcke des Reichs auszufüllen.
Der russische Soldat (und in Rußland ist die Armee das ganze Volk) hat sei»
Eberherz vor Leipzig gelassen. Unser Feldzug (von 1831) traf ihn be¬
reits als jene ausgestopfte und an einen Baum gelehnte Uniform an, die sich
nur beim Takte der Positionsgeschütze zu bewegen vermag, aber einmal aufge¬
schlitzt, alles aus sich herausläßt." Man kann nicht wegwerfender von einer
Waffe reden, als Microölawski in dieser Stelle von der zarischen Infanterie
und der russischen Armee im Allgemeinen spricht. Aber es ist bemerkenswerth,
daß er unmittelbar darnach hinzufügt: „Diese Mumie (nämlich der russische
Soldat) kehrte erst in unsern (den polnischen) Reihen zu ihrer ursprünglichen,
energischen Natur zurück. Derselbe Soldat, der bei Wawr, am Erlenwalde
und bei Jganie vor jedem Blinken unsrer Bajonette floh, stürzte sich in unsern
Reihen (mehre tausend russische Gefangene wurden von den Polen eingestellt)
bei Firlej, bei Ostrolenka, bei Rogoznica wie ein gereizter Löwe auf die Mos¬
kowiter. DaS war allerdings nicht mehr der Soldat von Zorndorf, Eylau und
Borodino, — aber etwas Höheres! Denn wenn dir Seele der Völker sich ab¬
nutzt, so stirbt sie entweder in den Fesseln des Leibes, oder sie erwacht als eine >
andre und vollkommenere Seele." Ein ähnlicher Umschlag wie der hier in
poetischen Worten bezeichnete, hat rücksichtlich der russischen Bravour während
der letzten sechs oder sieben Monate stattgefunden. Augenzeugen, in deren Mit¬
theilungen ich nicht den leisesten Zweifel setzen darf, haben mir erzählt, wie sie
an der Donau im vergangenen Sommer in den Kämpfen vor Silistria und
aus den Inseln zwischen Giurgewo und Ruftschuck die Teten der russischen
Colonnen, bald nachdem sie das erste Kugelfeuer (nicht Kartätschfeuer) empfan¬
gen halten, stocken und letztlich umkehren sahen. An der Alma scheint sich
noch etwas Aehnliches wiederholt zu haben, aber schon bei Jnkerman stritten
die Russen mit einer sehr anerkennenswerther Bravour und dieselbe hat sich
seitdem in allen nachfolgenden Gefechten die Bewunderung der Gegner verdient.
Auf der Krim also, denn Angegriffenwerben in den eignen Grenzen, der feind¬
lichen Jnvasionsmacht gegenüber ging der Umschlag vor sich und noch weiß
man nicht, wohin er sichren wird.

Bei jeder taktischen Entscheidung ist indeß die Tapferkeit des gemeinen
Mannes nur einer von den Factoren, die das Resultat bestimmen. Kaum
von geringerer Bedeutung ist die Bewaffnung, die Fechtweise und letztlich die
Führung.


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[0152] noch umdrehen!? Und doch befand sich Rußland niemals einem gewandteren und für dasselbe mörderischeren Gegner gegenüber, als es Friedrich II. war. Aber die ihrem Charakter nach selbst verbissensten Völker erschlaffen zuletzt unter übermäßigen Lasten, vergeuden ihr Herzblut unter dem Stocke und werden end¬ lich zu einer todten Masse, gut genug, die Livreeröcke des Reichs auszufüllen. Der russische Soldat (und in Rußland ist die Armee das ganze Volk) hat sei» Eberherz vor Leipzig gelassen. Unser Feldzug (von 1831) traf ihn be¬ reits als jene ausgestopfte und an einen Baum gelehnte Uniform an, die sich nur beim Takte der Positionsgeschütze zu bewegen vermag, aber einmal aufge¬ schlitzt, alles aus sich herausläßt." Man kann nicht wegwerfender von einer Waffe reden, als Microölawski in dieser Stelle von der zarischen Infanterie und der russischen Armee im Allgemeinen spricht. Aber es ist bemerkenswerth, daß er unmittelbar darnach hinzufügt: „Diese Mumie (nämlich der russische Soldat) kehrte erst in unsern (den polnischen) Reihen zu ihrer ursprünglichen, energischen Natur zurück. Derselbe Soldat, der bei Wawr, am Erlenwalde und bei Jganie vor jedem Blinken unsrer Bajonette floh, stürzte sich in unsern Reihen (mehre tausend russische Gefangene wurden von den Polen eingestellt) bei Firlej, bei Ostrolenka, bei Rogoznica wie ein gereizter Löwe auf die Mos¬ kowiter. DaS war allerdings nicht mehr der Soldat von Zorndorf, Eylau und Borodino, — aber etwas Höheres! Denn wenn dir Seele der Völker sich ab¬ nutzt, so stirbt sie entweder in den Fesseln des Leibes, oder sie erwacht als eine > andre und vollkommenere Seele." Ein ähnlicher Umschlag wie der hier in poetischen Worten bezeichnete, hat rücksichtlich der russischen Bravour während der letzten sechs oder sieben Monate stattgefunden. Augenzeugen, in deren Mit¬ theilungen ich nicht den leisesten Zweifel setzen darf, haben mir erzählt, wie sie an der Donau im vergangenen Sommer in den Kämpfen vor Silistria und aus den Inseln zwischen Giurgewo und Ruftschuck die Teten der russischen Colonnen, bald nachdem sie das erste Kugelfeuer (nicht Kartätschfeuer) empfan¬ gen halten, stocken und letztlich umkehren sahen. An der Alma scheint sich noch etwas Aehnliches wiederholt zu haben, aber schon bei Jnkerman stritten die Russen mit einer sehr anerkennenswerther Bravour und dieselbe hat sich seitdem in allen nachfolgenden Gefechten die Bewunderung der Gegner verdient. Auf der Krim also, denn Angegriffenwerben in den eignen Grenzen, der feind¬ lichen Jnvasionsmacht gegenüber ging der Umschlag vor sich und noch weiß man nicht, wohin er sichren wird. Bei jeder taktischen Entscheidung ist indeß die Tapferkeit des gemeinen Mannes nur einer von den Factoren, die das Resultat bestimmen. Kaum von geringerer Bedeutung ist die Bewaffnung, die Fechtweise und letztlich die Führung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/152>, abgerufen am 03.07.2024.