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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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durch eine gesteigerte Verwendung der Artillerie in der Sphäre des zerstreu¬
ten Gefechts die für dasselbe nothwendige Infanteriewaffe zu reduciren..

Wenn ich die gegenwärtigen Kämpfe vor Sebastopol richtig auffasse, so
sind sie eine große Schule für die russische Armee im Allgemeinen, ganz im
Besondern aber für das Fußvolk. Die französische Eigenliebe hat nicht unter-
lassen, schon vor längrer Zeit auszuposaunen, wie die Moskowiter in auffallen¬
der Weise die Taktik -- der Zuaven nachzuahmen sich bemühten und wie die
Gefangenen und Deserteure nicht genug das Staunen, die Anerkennung und
stellenweise den Schrecken auszumalen wußten, welchen die Fechtart dieser
Truppe in den feindlichen Reihen erregt hätte. Ich will hier nicht erörtern,
wie viel an solchem Geschwätz wahr ist; aber das scheint festzustehen, daß die
französische Taktik neuerdings einen tiefen Eindruck auf die russischen Führer
in den höchsten Stellen gemacht hat und daß derselbe nothwendig, rühr aber
für die spätere Zukunft als schon jetzt,, eine weitgreifende Rückwirkung äußern
muß.

Bevor ich die Erörterung über die russische Infanterie hier schließe, wollen
Sie mir gestalten, noch einige Bemerkungen in Betreff der Verwendung der
Schützen oder Jäger bei der Vertheidigung von Sebastopol hinzuzufügen. Was
diese Waffe angeht, so konnte selbstverständlich der Zar das oben erwähnte
Princip, den Hauptgebrauch des Fußvolks in der Colonnenformation zu machen,
nicht auf sie anwenden Und zwar aus dem einfachen und überzeugenden Grüne-e,
weil dies durchaus ihrer Natur zuwider gewesen sein würde. Ihre Gebrauchs¬
weise wurde daher von Anfang an durch keine falsche Ansicht des Zaren be¬
einträchtigt und hiermit eben scheint es in Verbindung,zu stehen, wenn die
Schützen der- russischen Armee im gegenwärtigen Kriege uel'en der Artillerie
das meiste, ja vielleicht mehr wie diese geleistet haben. Sämmtliche Offiziere
der Besatzung von Silistria, die ich Gelegenheit hatte, ihre Ansicht darüber
aussprechen zu hören, waren einig darüber, daß die russischen Kanoniere zwar
sehr gut träfen, aber daß ihr Feuer doch bei weitem, von einzelnen zumal,
nicht so zu fürchten sei, wie das der aus eine Entfernung von 1000 bis
1200 Schritt von den Wällen postirten Jäger. Ich glaube nicht zu irren,
daß, wenn die französische" Offiziere sich darüber aufrichtig außer" wollen, sie
aus Grund der bis dahin vor Sebastopol gemachten Erfahrungen ein ähnliches
Urtheil abgeben werden. Schon jetzt gestehe" sie ein, daß die Verwendung
der russischen Schütze" außerhalb der Werke, im Besonderen auf dem Terrain
zwischen diesen und den Angriffsarbeiten der Belagerer eine meisterhafte sei.
Die Büchse, welche eine Defensivwaffe ist, gelangt durch Vorpousstrung ver
Jäger in Gräben uno hinter Auswürfe sozusagen zu einer offensiven Wirkung.
Die Bedemung davon ist eine um so größere, als die bis über 1000 Schrill
gesteigerte Tragweite deS gezogenen Gewehr dasselbe zur BestreichungS (Enfilade-)


durch eine gesteigerte Verwendung der Artillerie in der Sphäre des zerstreu¬
ten Gefechts die für dasselbe nothwendige Infanteriewaffe zu reduciren..

Wenn ich die gegenwärtigen Kämpfe vor Sebastopol richtig auffasse, so
sind sie eine große Schule für die russische Armee im Allgemeinen, ganz im
Besondern aber für das Fußvolk. Die französische Eigenliebe hat nicht unter-
lassen, schon vor längrer Zeit auszuposaunen, wie die Moskowiter in auffallen¬
der Weise die Taktik — der Zuaven nachzuahmen sich bemühten und wie die
Gefangenen und Deserteure nicht genug das Staunen, die Anerkennung und
stellenweise den Schrecken auszumalen wußten, welchen die Fechtart dieser
Truppe in den feindlichen Reihen erregt hätte. Ich will hier nicht erörtern,
wie viel an solchem Geschwätz wahr ist; aber das scheint festzustehen, daß die
französische Taktik neuerdings einen tiefen Eindruck auf die russischen Führer
in den höchsten Stellen gemacht hat und daß derselbe nothwendig, rühr aber
für die spätere Zukunft als schon jetzt,, eine weitgreifende Rückwirkung äußern
muß.

Bevor ich die Erörterung über die russische Infanterie hier schließe, wollen
Sie mir gestalten, noch einige Bemerkungen in Betreff der Verwendung der
Schützen oder Jäger bei der Vertheidigung von Sebastopol hinzuzufügen. Was
diese Waffe angeht, so konnte selbstverständlich der Zar das oben erwähnte
Princip, den Hauptgebrauch des Fußvolks in der Colonnenformation zu machen,
nicht auf sie anwenden Und zwar aus dem einfachen und überzeugenden Grüne-e,
weil dies durchaus ihrer Natur zuwider gewesen sein würde. Ihre Gebrauchs¬
weise wurde daher von Anfang an durch keine falsche Ansicht des Zaren be¬
einträchtigt und hiermit eben scheint es in Verbindung,zu stehen, wenn die
Schützen der- russischen Armee im gegenwärtigen Kriege uel'en der Artillerie
das meiste, ja vielleicht mehr wie diese geleistet haben. Sämmtliche Offiziere
der Besatzung von Silistria, die ich Gelegenheit hatte, ihre Ansicht darüber
aussprechen zu hören, waren einig darüber, daß die russischen Kanoniere zwar
sehr gut träfen, aber daß ihr Feuer doch bei weitem, von einzelnen zumal,
nicht so zu fürchten sei, wie das der aus eine Entfernung von 1000 bis
1200 Schritt von den Wällen postirten Jäger. Ich glaube nicht zu irren,
daß, wenn die französische» Offiziere sich darüber aufrichtig außer» wollen, sie
aus Grund der bis dahin vor Sebastopol gemachten Erfahrungen ein ähnliches
Urtheil abgeben werden. Schon jetzt gestehe» sie ein, daß die Verwendung
der russischen Schütze» außerhalb der Werke, im Besonderen auf dem Terrain
zwischen diesen und den Angriffsarbeiten der Belagerer eine meisterhafte sei.
Die Büchse, welche eine Defensivwaffe ist, gelangt durch Vorpousstrung ver
Jäger in Gräben uno hinter Auswürfe sozusagen zu einer offensiven Wirkung.
Die Bedemung davon ist eine um so größere, als die bis über 1000 Schrill
gesteigerte Tragweite deS gezogenen Gewehr dasselbe zur BestreichungS (Enfilade-)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/154>, abgerufen am 03.07.2024.