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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Die vier Armeen in der Krim.
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Russische Cavalerie und Infanterie.

Von Jemandem, der in Berlin Gelegenheit gehabt hatte, den verewigten
Zaren Nikolaus sich über die preußische Armee äußern zu hören, wurde mir
vor etwa drei Jahren erzählt, wie der russische Selbstherrscher im Besonderen
der Infanterie ein großes Lob gespendet habe. Unbestritten bekundet dieser Um¬
stand eine bedeutende Sicherheit des Urtheils seitens des Zaren; er mag uns aber
zugleich einen Beleg dasür geben, daß ungeachtet einer fünfzehnjährigen Dienstzeit
der russische Fußsoldat nicht zu der Bollendung der Ausbildung hat gebracht wer¬
ben können, welche der preußische innerhalb zwei bis drei Jahren erreicht. Wenn
auch der Kaiser Nikolaus die Inferiorität seiner Infanterie gegenüber der preu¬
ßischen nicht direct aussprach, so konnte, wie mein Gewährsmann mir ver¬
sicherte, dennoch niemand in Zweifel darüber sein, daß er selbst davon überzeugt
sei. Der preußischen Cavalerie schenkte der Zar nicht seinen Beifall. In Bezug auf
die Gangarten hatte er gegen das Tempo manchen Einwand zu machen; auch
weicht das preußische Reglement der Reiterei in vielen Hauptpunkten von dem
russischen ab, welches, wenn ich nicht irre, von Nikolaus selbst bearbeite! wurde
und das dieser ebendarum für vorzüglich hielt. Ich will hier zunächst die
zarische Infanterie des Näheren beleuchten und dann einige Worte der Cavalerie
widmen.

Wenn man sich der ausgezeichneten Leistungen der russischen Infanterie
in früheren Kriegen erinnert; ihrer Heldenthaten bei Novi, an der Trebbia, bei
Eylau, bei Borodino und Leipzig, und damit vergleicht, was sie vor sechs Jahren
in Ungarn ausrichtete und im vergangenen Sommer an der Donau leistete oder
vielmehr nicht leistete, mag die VermuthuUg uns anwandeln: daß diese Waffe
nicht nur im Laufe der vier Decennien, nach dem Schluß der napoleonischen
Kriege, keine Fortschritte gemacht, sondern von ihren besseren Eigenschaften so¬
gar einige verloren habe. Entschieden dieser Meinung ist der bekannte Jnsur-
rectionschef Mieroslawc ki und zwar hat dieser sie schon vor länger als zehn Jahren
(nämlich in seinem Werke: Vorlesungen über den Nationalkrieg) klar ausgespro¬
chen. Die betreffende Stelle ist so interessant, daß ich mich nicht enthalten kann,
sie ihrem ganzen Wortlaute nach hierher zu setzen: "Wo ist denn/' fragt er, "jene
Hartnäckigkeit, jene Ausdauer der Infanterie geblieben, die sich aus den Fel¬
dern von Zorndors, Eylau und Borodino gliederweise wie auf dem Halm
niedermähen ließ? Aus welches Zusammentreffen lassen sich denn im letzten
Lelbzuge (183-1) jene Worte Friedrichs it. anwenden: um einen Moskowiter zu
überwinden, ist es nicht genug, ihn todtzuschlagen; man muß seinen Leichnam


Die vier Armeen in der Krim.
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Russische Cavalerie und Infanterie.

Von Jemandem, der in Berlin Gelegenheit gehabt hatte, den verewigten
Zaren Nikolaus sich über die preußische Armee äußern zu hören, wurde mir
vor etwa drei Jahren erzählt, wie der russische Selbstherrscher im Besonderen
der Infanterie ein großes Lob gespendet habe. Unbestritten bekundet dieser Um¬
stand eine bedeutende Sicherheit des Urtheils seitens des Zaren; er mag uns aber
zugleich einen Beleg dasür geben, daß ungeachtet einer fünfzehnjährigen Dienstzeit
der russische Fußsoldat nicht zu der Bollendung der Ausbildung hat gebracht wer¬
ben können, welche der preußische innerhalb zwei bis drei Jahren erreicht. Wenn
auch der Kaiser Nikolaus die Inferiorität seiner Infanterie gegenüber der preu¬
ßischen nicht direct aussprach, so konnte, wie mein Gewährsmann mir ver¬
sicherte, dennoch niemand in Zweifel darüber sein, daß er selbst davon überzeugt
sei. Der preußischen Cavalerie schenkte der Zar nicht seinen Beifall. In Bezug auf
die Gangarten hatte er gegen das Tempo manchen Einwand zu machen; auch
weicht das preußische Reglement der Reiterei in vielen Hauptpunkten von dem
russischen ab, welches, wenn ich nicht irre, von Nikolaus selbst bearbeite! wurde
und das dieser ebendarum für vorzüglich hielt. Ich will hier zunächst die
zarische Infanterie des Näheren beleuchten und dann einige Worte der Cavalerie
widmen.

Wenn man sich der ausgezeichneten Leistungen der russischen Infanterie
in früheren Kriegen erinnert; ihrer Heldenthaten bei Novi, an der Trebbia, bei
Eylau, bei Borodino und Leipzig, und damit vergleicht, was sie vor sechs Jahren
in Ungarn ausrichtete und im vergangenen Sommer an der Donau leistete oder
vielmehr nicht leistete, mag die VermuthuUg uns anwandeln: daß diese Waffe
nicht nur im Laufe der vier Decennien, nach dem Schluß der napoleonischen
Kriege, keine Fortschritte gemacht, sondern von ihren besseren Eigenschaften so¬
gar einige verloren habe. Entschieden dieser Meinung ist der bekannte Jnsur-
rectionschef Mieroslawc ki und zwar hat dieser sie schon vor länger als zehn Jahren
(nämlich in seinem Werke: Vorlesungen über den Nationalkrieg) klar ausgespro¬
chen. Die betreffende Stelle ist so interessant, daß ich mich nicht enthalten kann,
sie ihrem ganzen Wortlaute nach hierher zu setzen: „Wo ist denn/' fragt er, „jene
Hartnäckigkeit, jene Ausdauer der Infanterie geblieben, die sich aus den Fel¬
dern von Zorndors, Eylau und Borodino gliederweise wie auf dem Halm
niedermähen ließ? Aus welches Zusammentreffen lassen sich denn im letzten
Lelbzuge (183-1) jene Worte Friedrichs it. anwenden: um einen Moskowiter zu
überwinden, ist es nicht genug, ihn todtzuschlagen; man muß seinen Leichnam


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[0151] Die vier Armeen in der Krim. . ^ ' / ^-' ' ^ ^ Russische Cavalerie und Infanterie. Von Jemandem, der in Berlin Gelegenheit gehabt hatte, den verewigten Zaren Nikolaus sich über die preußische Armee äußern zu hören, wurde mir vor etwa drei Jahren erzählt, wie der russische Selbstherrscher im Besonderen der Infanterie ein großes Lob gespendet habe. Unbestritten bekundet dieser Um¬ stand eine bedeutende Sicherheit des Urtheils seitens des Zaren; er mag uns aber zugleich einen Beleg dasür geben, daß ungeachtet einer fünfzehnjährigen Dienstzeit der russische Fußsoldat nicht zu der Bollendung der Ausbildung hat gebracht wer¬ ben können, welche der preußische innerhalb zwei bis drei Jahren erreicht. Wenn auch der Kaiser Nikolaus die Inferiorität seiner Infanterie gegenüber der preu¬ ßischen nicht direct aussprach, so konnte, wie mein Gewährsmann mir ver¬ sicherte, dennoch niemand in Zweifel darüber sein, daß er selbst davon überzeugt sei. Der preußischen Cavalerie schenkte der Zar nicht seinen Beifall. In Bezug auf die Gangarten hatte er gegen das Tempo manchen Einwand zu machen; auch weicht das preußische Reglement der Reiterei in vielen Hauptpunkten von dem russischen ab, welches, wenn ich nicht irre, von Nikolaus selbst bearbeite! wurde und das dieser ebendarum für vorzüglich hielt. Ich will hier zunächst die zarische Infanterie des Näheren beleuchten und dann einige Worte der Cavalerie widmen. Wenn man sich der ausgezeichneten Leistungen der russischen Infanterie in früheren Kriegen erinnert; ihrer Heldenthaten bei Novi, an der Trebbia, bei Eylau, bei Borodino und Leipzig, und damit vergleicht, was sie vor sechs Jahren in Ungarn ausrichtete und im vergangenen Sommer an der Donau leistete oder vielmehr nicht leistete, mag die VermuthuUg uns anwandeln: daß diese Waffe nicht nur im Laufe der vier Decennien, nach dem Schluß der napoleonischen Kriege, keine Fortschritte gemacht, sondern von ihren besseren Eigenschaften so¬ gar einige verloren habe. Entschieden dieser Meinung ist der bekannte Jnsur- rectionschef Mieroslawc ki und zwar hat dieser sie schon vor länger als zehn Jahren (nämlich in seinem Werke: Vorlesungen über den Nationalkrieg) klar ausgespro¬ chen. Die betreffende Stelle ist so interessant, daß ich mich nicht enthalten kann, sie ihrem ganzen Wortlaute nach hierher zu setzen: „Wo ist denn/' fragt er, „jene Hartnäckigkeit, jene Ausdauer der Infanterie geblieben, die sich aus den Fel¬ dern von Zorndors, Eylau und Borodino gliederweise wie auf dem Halm niedermähen ließ? Aus welches Zusammentreffen lassen sich denn im letzten Lelbzuge (183-1) jene Worte Friedrichs it. anwenden: um einen Moskowiter zu überwinden, ist es nicht genug, ihn todtzuschlagen; man muß seinen Leichnam

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/151>, abgerufen am 03.07.2024.