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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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lebrigen Hundes", der in angstvoller Hast Macbeth die Sporen anschnallt, sind
vortrefflich, auch ist die Erscheinung der von Macbeth Gemordeten, da sie ein¬
mal da ist, zu einem wundervollen Ganzen gerundet, von dem im Trunk ge¬
mordeten Kämmerer Dunkans bis zu Macduffs Frau und Kindern. -- Die
Zeichnung zum Sturm zeigt uns Stephan" und Trinculo mit Caliban, auf
der Insel umherstreifend und verwundert, da Ariel mit seinem luftigen Gefolge
ihnen unsichtbar eine zauberhafte Musik beginnt. Diese schwebende Schar ist
von unendlichem Reiz, dagegen Trinculo und Stephan" und der kriechende Ca¬
liban mit allen den Igeln, Schlangen und giftigen Insekten, die ihn eben
stechen und zwicken wollen, vom wundervollsten Humor, kurz die ganze Zeich¬
nung ist vollendet.

Wenn Kaulbach in den erwähnten Zeichnungen einiges vergriffen, so ist-
der Schaden einmal da, und das kann niemand aufrichtiger bedauern,
als der Verfasser. Auf der andern Seile hat aber Kaulbach grade in diesen
Zeichnungen (wenn wirs nicht aus seinen übrigen Werken gesehen hätten) ge¬
zeigt, daß er der Mann ist, der sich an Shakespeare wagen darf. Selbst die
Fehler, die er begangen, sind nicht die des Unvermögens, sondern Mißgriffe,
wie sie bei einer reichen und eigenthümlichen Natur schon vorkommen. Und
wenn ich glaube, es möchten sich Künstler finden, vie eines oder das andere
aus Shakespeare wiederzugeben im Stande wären, so muß ich doch bekennen,
daß trotz jener Fehler Kaulbach der einzige ist, der es vermag, möglichst viele
Seiten des Dichters wiederzugeben. Soviel ist gewiß, daß der humoristischen
nur er gewachsen ist. Und so dürfen wir von dem Unternehmen das Beste
hoffen. Von dem in der letzten Zeit Vollendeten berichte ich Ihnen später.

Endlich bleibt uns noch von Kaulbachs humoristischer Seite zu reden.
Außer manchen einzelnen und kleinern Werken eristiren zwei umfangreiche be¬
deutende Arbeiten Kaulbachtz auf diesem Felde: der Reineke Fuchs und der
Kinderfrieö fürs neue Museum. Es herrscht über diese Schöpfungen nur eine
Stimme -- sie sind Meisterwerke und einzig in ihrer Art; und der Reineke
Fuchs ist wahrhaft volkstümlich gewmden. Und dennoch hat man grade bei
dieser allgemeinen Anerkennung Kaulbach einiges Unrecht gethan. Es ist
nämlich vielfach ausgesprochen, daß dies sein eigentliches Feld sei und selbst
verständigere Beurtheiler haben jene humoristischen Schöpfungen seine besten
und bedeutendsten genannt. Ich muß gestehen, daß mich dieses Urtheil,
wenn ichs schon begreife, dennoch überrascht hat; da es eben nur in der Natur
des Humoristischen liegt, sich den verhältnißmäßig größten und festesten
Anhang zu erwerben. Sobald man die einfache gewohnte Anschauungsweise
einmal aufgegeben hat, hat man den Maßstab der Kritik verloren. Man er¬
wartet alles anders zu sehen, da die Standpunkte von vornherein verrückt
siud. Und dies läßt man sich gern gefallen, man hat sich einmal in die


lebrigen Hundes", der in angstvoller Hast Macbeth die Sporen anschnallt, sind
vortrefflich, auch ist die Erscheinung der von Macbeth Gemordeten, da sie ein¬
mal da ist, zu einem wundervollen Ganzen gerundet, von dem im Trunk ge¬
mordeten Kämmerer Dunkans bis zu Macduffs Frau und Kindern. — Die
Zeichnung zum Sturm zeigt uns Stephan» und Trinculo mit Caliban, auf
der Insel umherstreifend und verwundert, da Ariel mit seinem luftigen Gefolge
ihnen unsichtbar eine zauberhafte Musik beginnt. Diese schwebende Schar ist
von unendlichem Reiz, dagegen Trinculo und Stephan» und der kriechende Ca¬
liban mit allen den Igeln, Schlangen und giftigen Insekten, die ihn eben
stechen und zwicken wollen, vom wundervollsten Humor, kurz die ganze Zeich¬
nung ist vollendet.

Wenn Kaulbach in den erwähnten Zeichnungen einiges vergriffen, so ist-
der Schaden einmal da, und das kann niemand aufrichtiger bedauern,
als der Verfasser. Auf der andern Seile hat aber Kaulbach grade in diesen
Zeichnungen (wenn wirs nicht aus seinen übrigen Werken gesehen hätten) ge¬
zeigt, daß er der Mann ist, der sich an Shakespeare wagen darf. Selbst die
Fehler, die er begangen, sind nicht die des Unvermögens, sondern Mißgriffe,
wie sie bei einer reichen und eigenthümlichen Natur schon vorkommen. Und
wenn ich glaube, es möchten sich Künstler finden, vie eines oder das andere
aus Shakespeare wiederzugeben im Stande wären, so muß ich doch bekennen,
daß trotz jener Fehler Kaulbach der einzige ist, der es vermag, möglichst viele
Seiten des Dichters wiederzugeben. Soviel ist gewiß, daß der humoristischen
nur er gewachsen ist. Und so dürfen wir von dem Unternehmen das Beste
hoffen. Von dem in der letzten Zeit Vollendeten berichte ich Ihnen später.

Endlich bleibt uns noch von Kaulbachs humoristischer Seite zu reden.
Außer manchen einzelnen und kleinern Werken eristiren zwei umfangreiche be¬
deutende Arbeiten Kaulbachtz auf diesem Felde: der Reineke Fuchs und der
Kinderfrieö fürs neue Museum. Es herrscht über diese Schöpfungen nur eine
Stimme — sie sind Meisterwerke und einzig in ihrer Art; und der Reineke
Fuchs ist wahrhaft volkstümlich gewmden. Und dennoch hat man grade bei
dieser allgemeinen Anerkennung Kaulbach einiges Unrecht gethan. Es ist
nämlich vielfach ausgesprochen, daß dies sein eigentliches Feld sei und selbst
verständigere Beurtheiler haben jene humoristischen Schöpfungen seine besten
und bedeutendsten genannt. Ich muß gestehen, daß mich dieses Urtheil,
wenn ichs schon begreife, dennoch überrascht hat; da es eben nur in der Natur
des Humoristischen liegt, sich den verhältnißmäßig größten und festesten
Anhang zu erwerben. Sobald man die einfache gewohnte Anschauungsweise
einmal aufgegeben hat, hat man den Maßstab der Kritik verloren. Man er¬
wartet alles anders zu sehen, da die Standpunkte von vornherein verrückt
siud. Und dies läßt man sich gern gefallen, man hat sich einmal in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/15>, abgerufen am 01.07.2024.