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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Mal die ergreifendste Gewalt plastischen Ausdrucks bleibt. Es gehören diese
Figuren zu dem Allerbesten, was jemals auf diesem Felde ge¬
schaffen ist.

Kaulbach hat es im vorigen Jahr unternommen, Zeichnungen zum Shake¬
speare zu macheu, die im Stich erscheinen. Es sind mir jedoch davon nur drei
zum Macbeth und eine zum Sturm zugesichtgckommen. Auch von ihnen will
ich umsoweniger ausführlich reden, da ich sie nur einmal gesehen. --

Die Wahl der drei dargestellten Scenen kann ich nur billigen; es
ist -I) Macbeth mit den Heren auf der Haide, also der erste Anfangspunkt
seiner Thaten; und dann als höchste Spitzen tragischer Entwicklung, Lady
Macbeth im Wahnsinn, nachtwandelnd, und Macbeth, der sich zum letzten ver¬
zweifelten Kampfe rüstet. Während ich von der ersten Zeichnung für dies Mal
nur sage, daß sie wundervoll ist; daß die zweite, wenn ich auch wünschte, Lady
Macbeth wäre eine andre Gestalt, die das Gepräge trüge gewaltiger Leidenschaft
und des wenigstens ehedem "unbezwungenen Sto.ffs" --, doch nach ihrem geistigen
Inhalt richtig gefaßt ist, daß die Figur der Lady an sich tief ergreifend, die
des Arztes und der Kammerfrau höchst ausdrucksvoll sind: hat Kaulbach im
dritten sich leider von seiner Neigung zum Reflectiren und zur Allegorie aus
der naiven Auffassung verdrängen lassen. Während der Arzt Macbeth von
der unheilvollen Krankheit seiner Gemahlin berichtet, während die verzagten
Diener ihn zum Kampf rüsten, erscheint er selbst tiesgrübelnd über seine Thaten,
die als Erscheinung über seinem Hanpte versinnlicht sind; er greift an seine
Krone, als wollte er sie trotz allem festhalten. Wenn schon Macbeth auch sol¬
chen Moment gehabt haben mag, so ists nicht der, welcher für ihn jetzt der
bezeichnende ist; er grübelte vor seiner ersten That, er wurde bei den späteren
von seinem Gewissen noch geängstet, wie durch Banquos Geist; aber je weiter
er ging, destoweniger ließ er sich von seinem Gewissen anfechten, desto ent¬
schiedener und fester wurde er in seinem Thun; während Lady Macbeth als
Weib nur die Leidenschaft walten ließ und mit empörenden, frechem Leichtsinn
beginnt, am Eadc al'er den Folgen ihrer Thaten nicht gewachsen ist, da der
gequälte Geist in unheilbare Krankheit fällt; so steigert im Gegentheil bei dem
anfangs unschlüssiger und verzagten Macbeth, der vor der That an die Hölle
dachte, nachdem sie nun einmal geschehen, die Mannheit sich zum höchsten Trotz,
der zäher und wilder wird, je furchtbarer das Schicksal ihn bedroht, so daß er
es selbst herausfordert mit feinem "Brich ein, Verderben, den Harnisch auf
dem Rücken will ich sterben." In diesem verbrecherischen, doch männlichen
Trotz mußte er uns vorgeführt werden als vollkommener Gegensatz zur Lady;
nun erscheint auch er wie im brütenden Wahnsinn, tems mit dem Anlegen der
Rystung nicht recht Ernst ist, der es mehr geschehen läßt, als,daß er jenes
hastige Verlangen darnach trüge. Die Gestalten des Arztes und des "weiß-


Mal die ergreifendste Gewalt plastischen Ausdrucks bleibt. Es gehören diese
Figuren zu dem Allerbesten, was jemals auf diesem Felde ge¬
schaffen ist.

Kaulbach hat es im vorigen Jahr unternommen, Zeichnungen zum Shake¬
speare zu macheu, die im Stich erscheinen. Es sind mir jedoch davon nur drei
zum Macbeth und eine zum Sturm zugesichtgckommen. Auch von ihnen will
ich umsoweniger ausführlich reden, da ich sie nur einmal gesehen. —

Die Wahl der drei dargestellten Scenen kann ich nur billigen; es
ist -I) Macbeth mit den Heren auf der Haide, also der erste Anfangspunkt
seiner Thaten; und dann als höchste Spitzen tragischer Entwicklung, Lady
Macbeth im Wahnsinn, nachtwandelnd, und Macbeth, der sich zum letzten ver¬
zweifelten Kampfe rüstet. Während ich von der ersten Zeichnung für dies Mal
nur sage, daß sie wundervoll ist; daß die zweite, wenn ich auch wünschte, Lady
Macbeth wäre eine andre Gestalt, die das Gepräge trüge gewaltiger Leidenschaft
und des wenigstens ehedem „unbezwungenen Sto.ffs" —, doch nach ihrem geistigen
Inhalt richtig gefaßt ist, daß die Figur der Lady an sich tief ergreifend, die
des Arztes und der Kammerfrau höchst ausdrucksvoll sind: hat Kaulbach im
dritten sich leider von seiner Neigung zum Reflectiren und zur Allegorie aus
der naiven Auffassung verdrängen lassen. Während der Arzt Macbeth von
der unheilvollen Krankheit seiner Gemahlin berichtet, während die verzagten
Diener ihn zum Kampf rüsten, erscheint er selbst tiesgrübelnd über seine Thaten,
die als Erscheinung über seinem Hanpte versinnlicht sind; er greift an seine
Krone, als wollte er sie trotz allem festhalten. Wenn schon Macbeth auch sol¬
chen Moment gehabt haben mag, so ists nicht der, welcher für ihn jetzt der
bezeichnende ist; er grübelte vor seiner ersten That, er wurde bei den späteren
von seinem Gewissen noch geängstet, wie durch Banquos Geist; aber je weiter
er ging, destoweniger ließ er sich von seinem Gewissen anfechten, desto ent¬
schiedener und fester wurde er in seinem Thun; während Lady Macbeth als
Weib nur die Leidenschaft walten ließ und mit empörenden, frechem Leichtsinn
beginnt, am Eadc al'er den Folgen ihrer Thaten nicht gewachsen ist, da der
gequälte Geist in unheilbare Krankheit fällt; so steigert im Gegentheil bei dem
anfangs unschlüssiger und verzagten Macbeth, der vor der That an die Hölle
dachte, nachdem sie nun einmal geschehen, die Mannheit sich zum höchsten Trotz,
der zäher und wilder wird, je furchtbarer das Schicksal ihn bedroht, so daß er
es selbst herausfordert mit feinem „Brich ein, Verderben, den Harnisch auf
dem Rücken will ich sterben." In diesem verbrecherischen, doch männlichen
Trotz mußte er uns vorgeführt werden als vollkommener Gegensatz zur Lady;
nun erscheint auch er wie im brütenden Wahnsinn, tems mit dem Anlegen der
Rystung nicht recht Ernst ist, der es mehr geschehen läßt, als,daß er jenes
hastige Verlangen darnach trüge. Die Gestalten des Arztes und des „weiß-


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[0014] Mal die ergreifendste Gewalt plastischen Ausdrucks bleibt. Es gehören diese Figuren zu dem Allerbesten, was jemals auf diesem Felde ge¬ schaffen ist. Kaulbach hat es im vorigen Jahr unternommen, Zeichnungen zum Shake¬ speare zu macheu, die im Stich erscheinen. Es sind mir jedoch davon nur drei zum Macbeth und eine zum Sturm zugesichtgckommen. Auch von ihnen will ich umsoweniger ausführlich reden, da ich sie nur einmal gesehen. — Die Wahl der drei dargestellten Scenen kann ich nur billigen; es ist -I) Macbeth mit den Heren auf der Haide, also der erste Anfangspunkt seiner Thaten; und dann als höchste Spitzen tragischer Entwicklung, Lady Macbeth im Wahnsinn, nachtwandelnd, und Macbeth, der sich zum letzten ver¬ zweifelten Kampfe rüstet. Während ich von der ersten Zeichnung für dies Mal nur sage, daß sie wundervoll ist; daß die zweite, wenn ich auch wünschte, Lady Macbeth wäre eine andre Gestalt, die das Gepräge trüge gewaltiger Leidenschaft und des wenigstens ehedem „unbezwungenen Sto.ffs" —, doch nach ihrem geistigen Inhalt richtig gefaßt ist, daß die Figur der Lady an sich tief ergreifend, die des Arztes und der Kammerfrau höchst ausdrucksvoll sind: hat Kaulbach im dritten sich leider von seiner Neigung zum Reflectiren und zur Allegorie aus der naiven Auffassung verdrängen lassen. Während der Arzt Macbeth von der unheilvollen Krankheit seiner Gemahlin berichtet, während die verzagten Diener ihn zum Kampf rüsten, erscheint er selbst tiesgrübelnd über seine Thaten, die als Erscheinung über seinem Hanpte versinnlicht sind; er greift an seine Krone, als wollte er sie trotz allem festhalten. Wenn schon Macbeth auch sol¬ chen Moment gehabt haben mag, so ists nicht der, welcher für ihn jetzt der bezeichnende ist; er grübelte vor seiner ersten That, er wurde bei den späteren von seinem Gewissen noch geängstet, wie durch Banquos Geist; aber je weiter er ging, destoweniger ließ er sich von seinem Gewissen anfechten, desto ent¬ schiedener und fester wurde er in seinem Thun; während Lady Macbeth als Weib nur die Leidenschaft walten ließ und mit empörenden, frechem Leichtsinn beginnt, am Eadc al'er den Folgen ihrer Thaten nicht gewachsen ist, da der gequälte Geist in unheilbare Krankheit fällt; so steigert im Gegentheil bei dem anfangs unschlüssiger und verzagten Macbeth, der vor der That an die Hölle dachte, nachdem sie nun einmal geschehen, die Mannheit sich zum höchsten Trotz, der zäher und wilder wird, je furchtbarer das Schicksal ihn bedroht, so daß er es selbst herausfordert mit feinem „Brich ein, Verderben, den Harnisch auf dem Rücken will ich sterben." In diesem verbrecherischen, doch männlichen Trotz mußte er uns vorgeführt werden als vollkommener Gegensatz zur Lady; nun erscheint auch er wie im brütenden Wahnsinn, tems mit dem Anlegen der Rystung nicht recht Ernst ist, der es mehr geschehen läßt, als,daß er jenes hastige Verlangen darnach trüge. Die Gestalten des Arztes und des „weiß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/14>, abgerufen am 01.07.2024.