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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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haben, erscheint es denn auch zu viel, daß noch in dritter Reihe die Christen
von Engeln geleitet, der ewige Jude von Dämonen hinausgetrieben wird, wir
möchten gern selbstständig handelnde Menschen sehen. Ich hege die Ueber¬
zeugung, wenn Titus mit seinem einziehenden Heer mehr als Urheber dar-
gestellt wäre und man mehr den Eindruck erhielte, daß durch sein Erscheinen
die Tragödie zum Schluß kommt, während jenes Motiv des himmlischen Ein¬
flusses mehr angedeutet über dem Ganzen schwebte, würde mehr Zusammenhang
und Einheit in das Bild gekommen sein, ohne daß das einzelne darum von
seiner Bedeutung hätte verlieren dürfen. Ich sagte oben, daß die Zer¬
störung Jerusalems ein glänzendes Zeugniß von Kaulbachs Begabung ablege;
sie thut eS durch die ergreifende Gewalt des Ausdrucks, die mit wenigen Aus¬
nahmen in die handelnden Personen der tragischen Katastrophe gelegt ist. Zu
den Ausnahmen zähle ich namentlich den Hohenpriester, der etwas Theatra¬
lisches und den ewigen Juden, dessen Ausdruck etwas Gemachtes, nicht recht
Innerliches hat. Zu dem Schönsten, was Kaulbach überhaupt gemacht hat,
gehört die Gruppe der ausziehenden Christen, obwol grade sie besonders
zusammenhanglos in dem Ganzen dasteht.

Nunmehr ward Kaulbach von dem Könige von Preußen berufen, das Treppen¬
haus des neuen Museums in Berlin mit Bildern zu schmücken. Die Aufgabe
war, in sechs großen Bildern die wichtigsten, weltbewegenden Abschnitte der
Geschichte darzustellen. Ornamentale Zwischenglieder, grau in grau gemalt,
(namentlich aus die Culturgeschichte Bezug nehmend) und einige einzelne
Figuren, gleichfalls zwischen den großen Bildern, sollten alles zu einem
organischen Ganzen gestalten. Gewiß war niemand dieser Aufgabe mehr ge¬
wachsen, als Kaulbach, wenn wir auch auf der andern Seite gestehen müssen,
daß für ihn in derselben eine große Versuchung lag, seinem Hange zur
Spekulation nachzugehen, da die naive Auffassung und Darstellung nicht der
alleinige Zweck blieb, sondern das Ganze mit einer sozusagen didaktischen
Nebentendenz angelegt werden sollte. , .

Diese sechs Bilder sind der historischen Reihenfolge nach: der Thurmbau
zu Babel; der singende Homer; die Zerstörung Jerusalems durch die Römer;
die Hunnenschlacht; die Kreuzfahrer vor Jerusalem; der Inhalt des sechsten,
welcher für Preußens Hauptstadt in würdiger Weise nur ein Stoff aus der
Reformation sein kann, ist noch unentschieden; die jetzt herrschende Richtung
ist der Darstellung Luthers abgeneigt und es ist dem Vernehmen nach schon
für die merkwürdigsten Vorschläge an entscheidender Stelle supplieirt worden,
z. B. für die Wiederaufnahme des Kölner Dombaues durch die Person des
jetztlebenden Königs von Preußen.

Von den drei bis jetzt vollendeten Bildern: Babel, der singende Homer,
die Zerstörung Jerusalems, ist früher bereits in diesen Blättern eine auffuhr-


haben, erscheint es denn auch zu viel, daß noch in dritter Reihe die Christen
von Engeln geleitet, der ewige Jude von Dämonen hinausgetrieben wird, wir
möchten gern selbstständig handelnde Menschen sehen. Ich hege die Ueber¬
zeugung, wenn Titus mit seinem einziehenden Heer mehr als Urheber dar-
gestellt wäre und man mehr den Eindruck erhielte, daß durch sein Erscheinen
die Tragödie zum Schluß kommt, während jenes Motiv des himmlischen Ein¬
flusses mehr angedeutet über dem Ganzen schwebte, würde mehr Zusammenhang
und Einheit in das Bild gekommen sein, ohne daß das einzelne darum von
seiner Bedeutung hätte verlieren dürfen. Ich sagte oben, daß die Zer¬
störung Jerusalems ein glänzendes Zeugniß von Kaulbachs Begabung ablege;
sie thut eS durch die ergreifende Gewalt des Ausdrucks, die mit wenigen Aus¬
nahmen in die handelnden Personen der tragischen Katastrophe gelegt ist. Zu
den Ausnahmen zähle ich namentlich den Hohenpriester, der etwas Theatra¬
lisches und den ewigen Juden, dessen Ausdruck etwas Gemachtes, nicht recht
Innerliches hat. Zu dem Schönsten, was Kaulbach überhaupt gemacht hat,
gehört die Gruppe der ausziehenden Christen, obwol grade sie besonders
zusammenhanglos in dem Ganzen dasteht.

Nunmehr ward Kaulbach von dem Könige von Preußen berufen, das Treppen¬
haus des neuen Museums in Berlin mit Bildern zu schmücken. Die Aufgabe
war, in sechs großen Bildern die wichtigsten, weltbewegenden Abschnitte der
Geschichte darzustellen. Ornamentale Zwischenglieder, grau in grau gemalt,
(namentlich aus die Culturgeschichte Bezug nehmend) und einige einzelne
Figuren, gleichfalls zwischen den großen Bildern, sollten alles zu einem
organischen Ganzen gestalten. Gewiß war niemand dieser Aufgabe mehr ge¬
wachsen, als Kaulbach, wenn wir auch auf der andern Seite gestehen müssen,
daß für ihn in derselben eine große Versuchung lag, seinem Hange zur
Spekulation nachzugehen, da die naive Auffassung und Darstellung nicht der
alleinige Zweck blieb, sondern das Ganze mit einer sozusagen didaktischen
Nebentendenz angelegt werden sollte. , .

Diese sechs Bilder sind der historischen Reihenfolge nach: der Thurmbau
zu Babel; der singende Homer; die Zerstörung Jerusalems durch die Römer;
die Hunnenschlacht; die Kreuzfahrer vor Jerusalem; der Inhalt des sechsten,
welcher für Preußens Hauptstadt in würdiger Weise nur ein Stoff aus der
Reformation sein kann, ist noch unentschieden; die jetzt herrschende Richtung
ist der Darstellung Luthers abgeneigt und es ist dem Vernehmen nach schon
für die merkwürdigsten Vorschläge an entscheidender Stelle supplieirt worden,
z. B. für die Wiederaufnahme des Kölner Dombaues durch die Person des
jetztlebenden Königs von Preußen.

Von den drei bis jetzt vollendeten Bildern: Babel, der singende Homer,
die Zerstörung Jerusalems, ist früher bereits in diesen Blättern eine auffuhr-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/12>, abgerufen am 01.07.2024.