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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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lich die Natur selbst schon auf die Polygamie hindeute. Sie versichern endlich,
daß dieselbe das alleinige Mittel der Abhilfe gegenüber der entsetzlichen Sitten-
verderbniß unsrer Zeit sei. Daß die Frauen ihre Stellung namentlich da, wo
sie ihre Rechte mit Dutzenden .von Versiegelten theilen müssen, einsam und un¬
behaglich finden, ist gewiß. Dennoch sieht man in den Gesellschaften fast nur
lächelnde und zufriedene Gesichter, und für alle, welche aus Pflichtgefühl und
Schwärmerei sich in das Joch fügen, ist es ein leichtes.

Die Frau des Propheten Joseph lehnte sich gegen die Neuerung auf und
erklärte, wenn er bei seinem Sinne beharre, so werde sie ihn verlassen und
einen anderen heirathen. Aber die einzige Antwort, die sie erhielt, war die,
"daß ein Prophet dem Herrn gehorchen müsse." Wenn jetzt derartiger Wider¬
spruch vorkommt, so zieht die Frau, die sich beklagt, vor der öffentlichen Mei¬
nung jedes Mal den Kürzeren. Eine durchaus tugendhafte Dame im Utahthale,
welche sich von ihrem Gatten aus dem Grunde trennte, weil er sich eine zweite
Frau hatte versiegeln lassen, und die hierauf sich anderweit verheirnthete, gilt
unter den Heiligen als Ehebrecherin und ist darum von allen gesellschaftlichen
Cirkeln ausgeschlossen.

Ein anderes Beispiel für die Strenge der Mormonen in diesem Punkte
erzählt Gunnison, der ein Jahr als Landvermesser unter den Ansiedlern am
Salzsee lebte, folgenvermaßen:

"Wir befanden uns am Bear River. Ein Auswandrer aus der Socia-
listencolonie Cadets in Nauvoo hatte den Winter in der Salzseestadt zugebracht
und war im Frühjahr weiter nach Californien gezogen. Er hatte eine junge
Frau mit einem Kinde von zwei Jahren bei sich, die ihn gebeten hatte, sie mit
nach dem Goldlande zu nehmen. Dieselbe war mit einem hohen Würdenträger
in Neujerusalem versiegelt; dieser jedoch hatte ihr bereits drei Jahre weder
einen Besuch gemacht, noch sie irgendwie unterstützt. Dagegen war sie im Stil¬
len mit einem jungen Manne versprochen, welcher sich in Californien aufhielt,
und sie dachte sich dort nach den Gesetzen des Landes mit ihm zu verheirathen.
DaS hatte dem Socialisten das Herz gerührt, und er hatte sie mitgenommen.
Sie waren bereits gegen hundert Meilen (englisch) von der Salzseestadt ent¬
fernt, als ein Haufe berittener Mormonen sie einholte und die sofortige Rück¬
kehr der jungen Frau zu ihrem gesetzlichen Gatten forderte. Der Franzose fragte
uns um Rath, ob er dem willfahren solle. Die Uebermacht verbot alle Wei¬
gerung, und die Dame mußte wohl oder übel umkehren."

Gunnison sagt, daß er in Deseret mehre Vorfälle ähnlicher Art erlebt
habe, und glaubt daraus den Schluß ziehen zu müssen, daß die Neuerung der
Vielweiberei noch nicht recht in den Gemüthern Wurzel geschlagen habe, und
daß die guten Früchte, die von ihr erwartet worden, noch nicht zum Vorschein
gekommen sind. Er fügt indeß hinzu, daß in den verschiedenen Gemeinden


lich die Natur selbst schon auf die Polygamie hindeute. Sie versichern endlich,
daß dieselbe das alleinige Mittel der Abhilfe gegenüber der entsetzlichen Sitten-
verderbniß unsrer Zeit sei. Daß die Frauen ihre Stellung namentlich da, wo
sie ihre Rechte mit Dutzenden .von Versiegelten theilen müssen, einsam und un¬
behaglich finden, ist gewiß. Dennoch sieht man in den Gesellschaften fast nur
lächelnde und zufriedene Gesichter, und für alle, welche aus Pflichtgefühl und
Schwärmerei sich in das Joch fügen, ist es ein leichtes.

Die Frau des Propheten Joseph lehnte sich gegen die Neuerung auf und
erklärte, wenn er bei seinem Sinne beharre, so werde sie ihn verlassen und
einen anderen heirathen. Aber die einzige Antwort, die sie erhielt, war die,
„daß ein Prophet dem Herrn gehorchen müsse." Wenn jetzt derartiger Wider¬
spruch vorkommt, so zieht die Frau, die sich beklagt, vor der öffentlichen Mei¬
nung jedes Mal den Kürzeren. Eine durchaus tugendhafte Dame im Utahthale,
welche sich von ihrem Gatten aus dem Grunde trennte, weil er sich eine zweite
Frau hatte versiegeln lassen, und die hierauf sich anderweit verheirnthete, gilt
unter den Heiligen als Ehebrecherin und ist darum von allen gesellschaftlichen
Cirkeln ausgeschlossen.

Ein anderes Beispiel für die Strenge der Mormonen in diesem Punkte
erzählt Gunnison, der ein Jahr als Landvermesser unter den Ansiedlern am
Salzsee lebte, folgenvermaßen:

„Wir befanden uns am Bear River. Ein Auswandrer aus der Socia-
listencolonie Cadets in Nauvoo hatte den Winter in der Salzseestadt zugebracht
und war im Frühjahr weiter nach Californien gezogen. Er hatte eine junge
Frau mit einem Kinde von zwei Jahren bei sich, die ihn gebeten hatte, sie mit
nach dem Goldlande zu nehmen. Dieselbe war mit einem hohen Würdenträger
in Neujerusalem versiegelt; dieser jedoch hatte ihr bereits drei Jahre weder
einen Besuch gemacht, noch sie irgendwie unterstützt. Dagegen war sie im Stil¬
len mit einem jungen Manne versprochen, welcher sich in Californien aufhielt,
und sie dachte sich dort nach den Gesetzen des Landes mit ihm zu verheirathen.
DaS hatte dem Socialisten das Herz gerührt, und er hatte sie mitgenommen.
Sie waren bereits gegen hundert Meilen (englisch) von der Salzseestadt ent¬
fernt, als ein Haufe berittener Mormonen sie einholte und die sofortige Rück¬
kehr der jungen Frau zu ihrem gesetzlichen Gatten forderte. Der Franzose fragte
uns um Rath, ob er dem willfahren solle. Die Uebermacht verbot alle Wei¬
gerung, und die Dame mußte wohl oder übel umkehren."

Gunnison sagt, daß er in Deseret mehre Vorfälle ähnlicher Art erlebt
habe, und glaubt daraus den Schluß ziehen zu müssen, daß die Neuerung der
Vielweiberei noch nicht recht in den Gemüthern Wurzel geschlagen habe, und
daß die guten Früchte, die von ihr erwartet worden, noch nicht zum Vorschein
gekommen sind. Er fügt indeß hinzu, daß in den verschiedenen Gemeinden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/100>, abgerufen am 03.07.2024.