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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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allem Anscheine nach gute Sitten herrschen; ja er meint sogar, daß ein Ver¬
gleich Deserets mit irgendeinem andern Staate der Union in dieser Hinsicht
zum Vortheile des erstern ausfallen würde.

Eine andere Methode, vermöge welcher die Häupter der Kirche ihren Haushalt
mehren, ist die Annahme mehrer Personen an Kindesstatt. Sehr häufig geschieht
es, daß Apostel oder Hohepriester ganze Familien als Theile der ihrigen aufneh¬
men. Die Häupter dieser Familien suchen eine Ehre darin, Kinder des Sehers
oder Söhne des Präsidenten durch Adoption zu heißen. Sie wohnen entweder
bei ihrem Adoptivvater oder doch in seiner Nähe, arbeiten für ihn, empfangen
Nahrung und Kleidung von ihm und verhalten sich überhaupt, obwol sie oft
schon Männer von sehr reifem Alter sind, vollkommen als Kinder gegen ihn.
Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung mag wol der gewesen sein, daß die
Führer der Sekte sich dnrch Heranbildung einer starken, durch Dankbarkeit mit
ihnen verbundenen Clientel für alle Fälle ihre Macht zu sichern bestrebt waren.
Sie haben aber diesen Zweck, der sowenig mit der Liebe zur Unabhängigkeit
und allen damit zusammenhängenden Reminiscenzen eines Amerikaners und
Engländers übereinstimmt, gut verborgen, dem Ganzen einen patriarchalischen
Anstrich verliehen und demselben dadurch, daß sie lehren, das Verhältniß werde
sich in jene Welt erstrecken, eine religiöse Weihe zu geben gewußt, über wel¬
cher der Fanatismus ihrer Anhänger wie so manches Andere auch seine Liebe
zur Freiheit und Gleichheit vergißt.

Die Berichte aller Reisenden klagen viel über das häufige Schwören und
Fluchen der Mormonen, dessen sie sich selbst ans ter Kanzel nicht enthalten.
In der That, ihre Reden sind wie die aller gemeinen Amerikaner, Jrländer und
Engländer auf das reichlichste mit Flüchen gespickt und eine derartige Sprache
schneidet dem Gebildeten schon bei gewöhnlicher Unterhaltung durch das Ohr,
um wie viel mehr aber, wenn sie wie hier bei öffentlichen Vorträgen und sogar
beim Predigen gebraucht wird, und wenn selbst Seine Ercellenz der Gouverneur,
Präsident, Seher und Offenbarer bisweilen wie ein Stückknecht flucht. Die
Mormonen entschuldigen sich damit, daß sie bei ihren Flüchen nie den Namen
Gottes mißbrauchen. Dies nämlich ist streng untersagt. Den Namen des
Höchsten in den Mund zu nehmen ist (außer in religiöser Rede) nur bei ganz
feierlichen Verfluchungen zulässig. So z. B. als der Prophet Joseph den
Gouverneur Boggö von Missouri wegen seiner grausamen Maßregeln gegen
die Heiligen verfluchte und dabei' prophezeite, er werde ein Bettler werden, ge¬
plagt mit einem bösen Geschwür, sich und allen seinen Freunden ein Gräuel
und Abscheu, nach dem Tode sich sehnend, ohne sterben zu können. So
serner, als Brigham Noung den alten Sünder Rigdon aus der Gemeinde
stieß und ihn den Händen des Satans überantwortete u, s. w.

Nicht selten kommen in ihren Versammlungen lächerliche Scenen vor, wie


allem Anscheine nach gute Sitten herrschen; ja er meint sogar, daß ein Ver¬
gleich Deserets mit irgendeinem andern Staate der Union in dieser Hinsicht
zum Vortheile des erstern ausfallen würde.

Eine andere Methode, vermöge welcher die Häupter der Kirche ihren Haushalt
mehren, ist die Annahme mehrer Personen an Kindesstatt. Sehr häufig geschieht
es, daß Apostel oder Hohepriester ganze Familien als Theile der ihrigen aufneh¬
men. Die Häupter dieser Familien suchen eine Ehre darin, Kinder des Sehers
oder Söhne des Präsidenten durch Adoption zu heißen. Sie wohnen entweder
bei ihrem Adoptivvater oder doch in seiner Nähe, arbeiten für ihn, empfangen
Nahrung und Kleidung von ihm und verhalten sich überhaupt, obwol sie oft
schon Männer von sehr reifem Alter sind, vollkommen als Kinder gegen ihn.
Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung mag wol der gewesen sein, daß die
Führer der Sekte sich dnrch Heranbildung einer starken, durch Dankbarkeit mit
ihnen verbundenen Clientel für alle Fälle ihre Macht zu sichern bestrebt waren.
Sie haben aber diesen Zweck, der sowenig mit der Liebe zur Unabhängigkeit
und allen damit zusammenhängenden Reminiscenzen eines Amerikaners und
Engländers übereinstimmt, gut verborgen, dem Ganzen einen patriarchalischen
Anstrich verliehen und demselben dadurch, daß sie lehren, das Verhältniß werde
sich in jene Welt erstrecken, eine religiöse Weihe zu geben gewußt, über wel¬
cher der Fanatismus ihrer Anhänger wie so manches Andere auch seine Liebe
zur Freiheit und Gleichheit vergißt.

Die Berichte aller Reisenden klagen viel über das häufige Schwören und
Fluchen der Mormonen, dessen sie sich selbst ans ter Kanzel nicht enthalten.
In der That, ihre Reden sind wie die aller gemeinen Amerikaner, Jrländer und
Engländer auf das reichlichste mit Flüchen gespickt und eine derartige Sprache
schneidet dem Gebildeten schon bei gewöhnlicher Unterhaltung durch das Ohr,
um wie viel mehr aber, wenn sie wie hier bei öffentlichen Vorträgen und sogar
beim Predigen gebraucht wird, und wenn selbst Seine Ercellenz der Gouverneur,
Präsident, Seher und Offenbarer bisweilen wie ein Stückknecht flucht. Die
Mormonen entschuldigen sich damit, daß sie bei ihren Flüchen nie den Namen
Gottes mißbrauchen. Dies nämlich ist streng untersagt. Den Namen des
Höchsten in den Mund zu nehmen ist (außer in religiöser Rede) nur bei ganz
feierlichen Verfluchungen zulässig. So z. B. als der Prophet Joseph den
Gouverneur Boggö von Missouri wegen seiner grausamen Maßregeln gegen
die Heiligen verfluchte und dabei' prophezeite, er werde ein Bettler werden, ge¬
plagt mit einem bösen Geschwür, sich und allen seinen Freunden ein Gräuel
und Abscheu, nach dem Tode sich sehnend, ohne sterben zu können. So
serner, als Brigham Noung den alten Sünder Rigdon aus der Gemeinde
stieß und ihn den Händen des Satans überantwortete u, s. w.

Nicht selten kommen in ihren Versammlungen lächerliche Scenen vor, wie


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[0101] allem Anscheine nach gute Sitten herrschen; ja er meint sogar, daß ein Ver¬ gleich Deserets mit irgendeinem andern Staate der Union in dieser Hinsicht zum Vortheile des erstern ausfallen würde. Eine andere Methode, vermöge welcher die Häupter der Kirche ihren Haushalt mehren, ist die Annahme mehrer Personen an Kindesstatt. Sehr häufig geschieht es, daß Apostel oder Hohepriester ganze Familien als Theile der ihrigen aufneh¬ men. Die Häupter dieser Familien suchen eine Ehre darin, Kinder des Sehers oder Söhne des Präsidenten durch Adoption zu heißen. Sie wohnen entweder bei ihrem Adoptivvater oder doch in seiner Nähe, arbeiten für ihn, empfangen Nahrung und Kleidung von ihm und verhalten sich überhaupt, obwol sie oft schon Männer von sehr reifem Alter sind, vollkommen als Kinder gegen ihn. Der eigentliche Zweck dieser Einrichtung mag wol der gewesen sein, daß die Führer der Sekte sich dnrch Heranbildung einer starken, durch Dankbarkeit mit ihnen verbundenen Clientel für alle Fälle ihre Macht zu sichern bestrebt waren. Sie haben aber diesen Zweck, der sowenig mit der Liebe zur Unabhängigkeit und allen damit zusammenhängenden Reminiscenzen eines Amerikaners und Engländers übereinstimmt, gut verborgen, dem Ganzen einen patriarchalischen Anstrich verliehen und demselben dadurch, daß sie lehren, das Verhältniß werde sich in jene Welt erstrecken, eine religiöse Weihe zu geben gewußt, über wel¬ cher der Fanatismus ihrer Anhänger wie so manches Andere auch seine Liebe zur Freiheit und Gleichheit vergißt. Die Berichte aller Reisenden klagen viel über das häufige Schwören und Fluchen der Mormonen, dessen sie sich selbst ans ter Kanzel nicht enthalten. In der That, ihre Reden sind wie die aller gemeinen Amerikaner, Jrländer und Engländer auf das reichlichste mit Flüchen gespickt und eine derartige Sprache schneidet dem Gebildeten schon bei gewöhnlicher Unterhaltung durch das Ohr, um wie viel mehr aber, wenn sie wie hier bei öffentlichen Vorträgen und sogar beim Predigen gebraucht wird, und wenn selbst Seine Ercellenz der Gouverneur, Präsident, Seher und Offenbarer bisweilen wie ein Stückknecht flucht. Die Mormonen entschuldigen sich damit, daß sie bei ihren Flüchen nie den Namen Gottes mißbrauchen. Dies nämlich ist streng untersagt. Den Namen des Höchsten in den Mund zu nehmen ist (außer in religiöser Rede) nur bei ganz feierlichen Verfluchungen zulässig. So z. B. als der Prophet Joseph den Gouverneur Boggö von Missouri wegen seiner grausamen Maßregeln gegen die Heiligen verfluchte und dabei' prophezeite, er werde ein Bettler werden, ge¬ plagt mit einem bösen Geschwür, sich und allen seinen Freunden ein Gräuel und Abscheu, nach dem Tode sich sehnend, ohne sterben zu können. So serner, als Brigham Noung den alten Sünder Rigdon aus der Gemeinde stieß und ihn den Händen des Satans überantwortete u, s. w. Nicht selten kommen in ihren Versammlungen lächerliche Scenen vor, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/101>, abgerufen am 03.07.2024.